Beata legt kurzerhand den Finger in die schlimmsten Wunden. Kämpfen wie Mutter kann keiner. Magda hat versäumt, ihre Söhne diese Kunst zu lehren. Viehkäufer sind grundsätzlich Betrüger und zahlen immer am liebsten weniger als die Hälfte. Odo weiß das und muss eingestehen, dem doch nicht gewachsen zu sein. Kochen ist dabei noch das kleinste Problem.
„Aber was sollen wir machen? Wirst du zu uns ziehen und uns helfen? Methildis muss auch versorgt werden. Mutter hat gesagt, du hilfst uns immer.“
„Ich werde euch immer helfen, da hat Mutter nicht gelogen, doch wird meine Hilfe nicht immer so aussehen, wie ihr sie euch wünscht. Und mit der Beerdigung wartet ihr bitte, bis ich wieder zurück bin. Ich werde morgen, wie geplant, mit Guda weiter ziehen und Eringus aufsuchen. Ich will heraus finden, wer unsre Mutter getötet hat. Ich habe den Pfeil und Frieder hat den Täter gesehen. Die nächsten paar Tage bleibt die Schänke und Herberge geschlossen. Ihr kümmert euch um Feld und Vieh und Methildis wird von Frieder betreut. In dieser Zeit wird sicher nichts geschehen. Bis dahin weiß ich, wie es weiter gehen wird.“
Im Grunde ist Odo froh, dass seine große Schwester doch die Führung der Familie übernommen hat. Es ist schwer ohne Anleitung selbständig zu werden.
Frieder ist dankbar, dass Beata ihm eine Aufgabe gegeben hat, die er übernehmen kann. Mehr als die Betreuung des kleinen Mädchens schafft er nicht mehr. Doch das was er kann, will er mit ganzer Hingabe erfüllen.
* * * * *
„Achtet darauf, dass Mutter unversehrt bleibt.“, ist Beatas letzte Anweisung am Morgen bevor sich die beiden Frauen auf den Weg zum Drachen machen. Noch lange haben die zwei in der Nacht zusammen geredet. Nun sieht auch Guda einen Sinn darin, den Drachen als Freund zu haben. Mit einem letzten Winken sind sie den Blicken der Jungs entschwunden. Die kleine Methildis winkt noch ein wenig länger, während Frieder sie fest an der Hand hält.
Am Morgen, als Beata und Guda den mütterlichen Hof verlassen, ist auch König Sigurd zu einem Entschluss gekommen. Aus Kleyberch sind bisher noch keine neuen, geschweige denn guten Nachrichten eingetroffen.
„Nichts Schlimmes ist schon mal was Gutes.“, versucht Hemma ihren Mann zu beruhigen.
„Wie kannst du nur so gelassen bleiben?“ Zwar rennt Sigurd nicht mehr ständig im Kreise herum, aber er hat offensichtlich immer noch keine Ruhe im Hintern.
„Gottvertrauen, mein Lieber. Reines unschuldiges Gottvertrauen. Gabbro wird alles zum Guten wenden. Du wirst sehen.“
„Und wie kriege ich solch Gottvertrauen? Es geht um unsere Tochter.“, lamentiert ihr Gatte.
„Bete. Das gibt Ruhe und Sicherheit.“
Zweifelnd blickt der König sein Weib an und schüttelt dann den Kopf.
„Du weißt, ich glaube an Gabbro und ich bete auch immer. Doch wie kann ich Vertrauen finden, wenn ich ihn, unseren Gott, als Urheber der Not ansehe?“ Unter weiter fortgesetztem Schütteln ergänzt er: „Nein, Hemma, das kann ich nicht.“
„Dann geh doch zu Eringus. Das habe ich dir auch schon ein paar Mal geraten. Vielleicht findest du bei dem Drachen Rat und Hilfe.“
„Ja, du hast recht. Das werde ich tun. Mal sehen was einer, der nicht an Götter glaubt, zu diesem Problem zu sagen hat. Ich denke, heute Abend werde ich wieder zu Hause sein.“
Mit einem Kuss für sein Weib verabschiedet er sich und verlässt den Berg durch den königlichen Garten.
* * * * *
Eringus liegt nicht vor seiner Höhle in Lindenau, seinem absoluten Lieblingsplatz im ganzen Tal. Gerbera Liebstöckel, die amtierende Dorfmeisterin, hat unbedingt darauf bestanden, auch die Drachenhöhle mit einem Frühjahrsputz zu bedenken. Selbst heftigster Protest durch den Drachen verhallte ignorant ungehört. Ein ganzer Trupp von Halblingen hat ihn im wahrsten Sinne des Wortes vor die Tür gefegt. Ihm blieb nur die Flucht auf eine tiefer und näher an der Chynz gelegene Lichtung. Hier hat er es sich gemütlich gemacht. Er döst zufrieden mit geschlossenen Augen in der Sonne und trotzt dem Geschwätz von Jade.
„Hast du das auch mitbekommen?“, will Jade wissen.
„Und was?“ Eringus ist immer gelangweilt, wenn er solch, für sein Verständnis, dumme Fragen gestellt bekommt. Wie soll er sagen können, ob er was mitbekommen hat, wenn er nicht weiß, was er mitbekommen haben soll, weil nicht gesagt wird, was er hätte mitbekommen müssen.
„Ja diese Fliegenwanderung. Die haben mich ja fast umgeflogen, heute Morgen.“ Die Traumfee ist entrüstet.
„Ach was.“
„Ja, doch. Und kaum waren die Fliegen durch, sind die Vögel hinterdrein. Mit Müh und Not hab ich mich hinter einen Baum in Deckung bringen können.“
„Ist doch klar, wo die Fliegen hin fliegen, fliegen auch die Fliegenfresser hin.“ Wie kann man sich nur über solche Banalitäten Gedanken machen. Ist doch alles klar, logisch und natürlich. War schon immer so gewesen.
„Das weiß ich auch. Ich wollte damit nur andeuten, dass seit gestern der Luftdruck deutlich runter gegangen ist. Ich spür das. Du nicht?“ Jade fühlt sich missverstanden.
„Jeder spürt das, der fliegen kann. Ist ja lebenswichtig. Am Ende fällst du beim Fliegen runter.“ Eringus will mit diesem Hinweis das unnötige Gespräch beenden. Ohne Glück.
„Ha, Ha. Veralbern kann ich mich selbst.“
„Das macht aber sicher nicht so viel Spaß.“
Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass diese Unterhaltung rein gedanklich abläuft? Drachen können ja nicht mit dem Mund reden und Traumfeen hört man nicht so recht.
Jade überhört diese Bemerkung und fährt fort: „Das ist aber doch sehr ungewöhnlich. Ich hab den Eindruck, die Mauersegler, die jetzt gerade kommen, drehen einfach wieder ab, als wollten sie nicht hier bleiben. Da stimmt doch was nicht.“
Eringus gähnt und antwortet nicht.
„Hey, ich rede mit dir.“ Jade wird zornig. Sie sieht da ein Problem und dieser einfältige faule Drache will nicht mit ihr darüber reden. Sie fliegt ihm auf die Nase und trampelt wütend mit den kleinen Füßchen auf. Wie alle Traumfeen ist ihr ganzer Körper dicht kurz behaart, was sie vor großer Hitze und Kälte schützt. Lediglich das Gesicht, die Innenseiten der Hände und die Fußsohlen sind unbehaart und offenbaren eine Haut in zartrosa. Die tiefschwarzen Augen blitzen im Moment wütend. Ihre Arme hat sie vor der Brust verschränkt. Da Traumfeen ihren Nachwuchs nicht säugen, ist diese einfach nur flach. Sie steht aufrecht. Im Gegensatz zu den braunen Haaren des Oberkörpers ist, nach einer sehr dünnen Taille, der langgestreckte Hinterleib in jadegrün leuchtend. Praktisch, denn auf diese Weise kennt man sofort den Namen einer Traumfee. Der Unterleib ist deutlich länger als die Beine und dient Jade beim Stehen als zusätzliche Stütze, denn er ist beweglich und kann nach vorne oder nach hinten gebogen werden. Die kleine Traumfee, die man mit bloßem Auge fast gar nicht sehen kann, bewirkt mit ihrem zur Schau getragenen Zorn bei dem Drachen natürlich überhaupt nichts. Ungerührt bleibt Eringus liegen.
„Ich weiß, dass die Fliegen sich nach dem Luftdruck richten und die Fliegenfresser folgen und alles. Ist klar, Dicker.“, beginnt Jade erneut. „Aber der Luftdruckabsturz ist doch merkwürdig. Für diese Jahreszeit und in diesem Ausmaße! Das ist doch auffällig. Hast du nicht selbst gesagt, da käme was auf uns zu?“
Jetzt endlich kommt Bewegung in den Drachen; ein wenig zumindest. Er öffnet das linke Auge.
„Du meinst, das hinge damit zusammen?“
„Warum nicht? Denkbar wäre es. Wann hast du das letzte Mal nach dieser merkwürdigen Wetterfront gesehen?“
„Ähem. Schon ein wenig her.“ In Wahrheit hat Eringus die Angelegenheit vergessen. Es hat so lange gedauert, bis er Bewegung in der schwarzen Wolke sehen konnte, dass er ihr keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt hat. „Ich sollte mir das wohl mal wieder ansehen. Ob sie schon näher gekommen ist, die Wolke.“, gibt er zu.
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