Es dauert ein paar Minuten, bis sich mein Puls wieder beruhigt hat. Ich schließe die Augen. Zur Ablenkung, von der unschwer zu erkennenden Tatsache, dass ich mich jahrelang mit einem Mann herumgeschlagen habe, der bis auf die Tätigkeiten als Kammerjäger, prinzipiell unbrauchbar für die meisten meiner angestrebten Zwecke war, versuche ich mir meine neue Zukunft vorzustellen. Ich könnte zum Beispiel UN - Botschafterin werden, wie die Jolie. Kindern in armen Ländern und Krisengebieten zu helfen, ist wirklich eine gute Sache und dazu eine echte Herausforderung, könnte aber eine Nummer zu groß für mich werden. Ich schaffe es schließlich kaum, mich selbst über die Runden zu bringen. Hm, irgendwas Gutes wird mir bestimmt noch einfallen. Die Hauptsache ist doch, dass ich bereit und offen für alles bin, …außer für solche lächerlichen Charity - Veranstaltungen, wie sie diverse Promi - Ladys alle naselang veranstalten, und bei denen allerhand Berühmtheiten ihre Kohle (für den angeblich guten Zweck), quasi um die Wette, zum Fenster rausschmeißen, indem sie literweise Champagner schlürfen und selbstverständlich auch der Glamourfaktor nicht zu knapp vorhanden sein darf. In meinen Augen die reinste Verschwendung. Die Kohle für das ganze extravagante Drumherum könnte immerhin ein komplettes Dorf in Sierra Leone ernähren.
Apropos Kohle, Asche, Kröten, Pinunsen…wie man es auch nennen mag, ich besitze eindeutig zu wenig davon – das meiste geht für die Drei - Zimmer - Wohnung drauf, die ich also seit heute allein bewohne. Vielleicht sollte ich mir einen Mitbewohner suchen oder zurück zu meinen Eltern ziehen. Und nach einer Geldquelle muss ich mich natürlich auch umsehen. Ich bin nicht der Typ, der seinen Eltern auf der Tasche liegt und mit Arbeitslosengeld lässt sich auch nicht gerade ein wünschenswertes Image kultivieren. Notgedrungen muss ich mir wohl einen Job suchen, zumindest bis ich meine wahre Berufung als »Engel« gefunden habe.
Die Samstagszeitung quillt über vor Jobangeboten, wobei mindestens die Hälfte davon von dubiosen Barbesitzern inseriert wurde. Die andere Hälfte besteht vornehmlich aus Mini - Jobs bei Mac Pizza, Burger Queen, Jumping-Donuts oder wie auch immer die heißen. Halloo?! Ich will doch was Gutes tun. Haufenweise ungesunde Kalorienbomben, in unwirtschaftlichen Pappverpackungen zu verkaufen, gehört definitiv nicht dazu.
Kürzlich stand ich mal sonntags um die Mittagszeit vor so einem Burgerlokal; ich hatte den Bus verpasst. Von der Bushaltestelle aus, fing ich aus reiner Langeweile an, die überdurchschnittlich genährten Leute zu zählen, die zielstrebig auf die Fast - Food - Filiale zusteuerten. Und die Zahl, die nach 43 Minuten dabei herauskam, war wirklich alarmierend, zumal ein Drittel der Burgerkonsumenten minderjährig war. Also zu meiner Zeit gab es so was nicht. Zumindest nicht in diesem Ausmaß. Da legte man noch sehr viel mehr Wert auf gesunde Ernährung. Ich glaube, ich habe als Kind ganze fünf Mal in einer Pommesbude gegessen; und zwar Krautsalat.
Nein, so geht das nicht weiter. In Zeiten von Adipositas und Diabetes mellitus Typ II im Vorschulalter muss man endlich etwas dagegen unternehmen.
Ich könnte beispielsweise so eine Art Gesundheitsbewusstseins - Kampagne starten. Eine gute Sache so was. Es bedarf definitiv mehr Aufklärung in solchen Dingen. Es wird Zeit diese »Maxi - Sparmenü - inklusive - XXL - Getränke - Generation« wieder auf den richtigen Weg zu bringen.
Für einen kurzen Moment sehe ich mich schon, als Retterin der Menschheit, am Straßenrand stehen und gratis frisch gepressten Obstsaft verteilen – zum Wohle der Gesundheit, oder zumindest ein paar Gurkenmasken; falsche Ernährung schadet nämlich auch der Haut ungemein. Und die begnadeten Schreiber makrobiotischer Kochbücher sollten – meinem Beispiel folgend – die Dinger lieber verschenken, anstatt zu Wucherpreisen zu veräußern.
Hach ja, man könnte soooo viel Gutes tun.
Ich will die Zeitung gerade zur Seite legen, da springt mir eine interessante Anzeige ins Auge.
DRINGEND: Nanny gesucht
Beruflich voll ausgelastetes Elternpaar benötigt dringend qualifiziertes Kindermädchen für 14-Monate altes Baby und 6-jährige Tochter. 24h, komfortable Wohnmöglichkeit vorhanden. Sehr gute Bezahlung.
Manche Kinder haben es nicht leicht im Leben. Vorzugsweise die hässlichen. Insbesondere der Nachwuchs von Workaholics hat kein erfreuliches Los gezogen. Arbeit stellt den Inbegriff des Erdentreibens dieser sonderbaren Spezies dar. Verlorene Zeit wird widerspruchslos mit teuren Mitbringseln kompensiert. Was für ein bitterer Nachgeschmack für die Kleinen. Ich kann von Glück sagen, dass meine Mutter Zeit meines Lebens mit Leib und Seele Hausfrau ist. Obwohl …so langsam könnte sie sich ruhig sinnvolleren Tätigkeiten hingeben, anstatt mich dreimal täglich anzurufen, um zu fragen, ob ich schon gegessen habe. Würde ich jedes Mal die Wahrheit sagen, stapelten sich höchstwahrscheinlich dutzende von Tupperdosen, mit deftiger Hausmannskost in meinem Kühlschrank. Und jede Menge Rotbäckchensaft.
Ich überfliege die Anzeige noch einmal und bin mir ziemlich sicher: Ein ultimativer Workaholic - Fall! Welche Familie benötigt rund um die Uhr ein Kindermädchen? Es sei denn, es handelt sich um Eltern, die zufällig zur selben Zeit einen spektakulären Hollywoodstreifen drehen. Ich frage mich, wieso solche Leute überhaupt auf die Idee kommen, Kinder in die Welt zu setzen, wenn sie sowieso keine Zeit für sie haben. Wo liegt da der Sinn?
Ist ja auch egal, jedenfalls zieht diese Annonce mich auf seltsame Weise in ihren Bann. Und auf einmal steigt Neugier in mir auf. Keine Frage, die sehr gute Bezahlung würde meiner aktuellen Lebenslage sicherlich den einen oder anderen Nutzen abwerfen. Sekunden später habe ich mein Handy gezückt und tippe die beistehende Telefonnummer ein. Ich spüre förmlich, dass mich hier etwas erwartet. Etwas, das genau mein Ding ist, wie man so schön sagt. Außerdem war ich immer ein riesiger Fan von Mary Poppins.
Es tutet.
»Ja bitte?…« dringt eine scharfe Frauenstimme an mein Ohr.
»Guten Tag…äh…ich rufe wegen der Stelle als Kindermädchen bei Ihnen an. Ist die noch zu haben?«
»Natürlich ist die noch zu haben, sonst hätte sie doch heute nicht in der Zeitung gestanden!«
Ich bin ganz erschrocken über den rauen Tonklang, am anderen Ende der Leitung.
»Schreiben Sie eine Bewerbung und Ihren Lebenslauf, und schicken Sie mir Ihre Zeugnisse und Referenzen zu. Sie erhalten dann unter Umständen eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch.«
»Oh äh… natürlich«, stammle ich, ein wenig stutzig über ihre emotionslose Botschaft. In Windeseile gibt mir die Dame am Telefon eine Adresse durch. So schnell kann ich ja kaum mitschreiben. Ich will mich gerade bedanken und verabschieden, doch sie hat schon längst aufgelegt.
***
Ich liege frisch geduscht und entspannt auf meinem weißen Sofa. Den ganzen Nachmittag habe ich damit verbracht, meine Bewerbung und den dazugehörigen Lebenslauf zu schreiben. Alle meine Bewerbungsunterlagen sind fein säuberlich in einer Mappe abgeheftet und in einem großen Postumschlag verpackt.
Ich schließe meine Augen. Im Hintergrund läuft leise ein Musikvideosender. Doch zum Ausruhen bleibt mir nicht viel Zeit. Heute steht mir ein langer Abend bevor. Zusammen mit meiner besten Freundin Yasemin und deren Studienkollegin Silvana, will ich in einen neuen exklusiven Club in Düsseldorf gehen, der sich e. Club nennt . e. für exquisite .
Ottonormalverbraucher hat dort keinen Zutritt. Normalerweise. Aber Silvanas neuer Freund ist irgend so ein reicher Schnösel mit sämtlichen Privilegien und Sonderlizenzen.
Читать дальше