LUNATA
Sturmhöhe
Sturmhöhe
© 1847 by Emily Brontë
Originaltitel Wuthering Heights
Aus dem Englischen von Alfred Wolfenstein
© Lunata Berlin 2020
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Achtundzwanzigstes Kapitel
Neunundzwanzigstes Kapitel
Dreißigstes Kapitel
Einunddreißigstes Kapitel
Zweiunddreißigstes Kapitel
Dreiunddreißigstes Kapitel
Vierunddreißigstes Kapitel
Über die Autorin
1801. Soeben bin ich von einem Besuche bei meinem Verpächter zurückgekehrt. Dieser einsame Gutsnachbar wird mich noch manche Aufregung kosten. Aber die Landschaft ist schön. In ganz England hätte ich mich in keiner Gegend niederlassen können, die so vollkommen abseits vom gesellschaftlichen Betriebe liegt. Ein Schlaraffenland für Menschenfeinde – und Mr. Heathcliff und ich sind das richtige Paar, um die Einsamkeit miteinander zu teilen. Ein Prachtmensch. Er ahnte kaum, wie herzlich mein Wesen ihm entgegenkam, während seine schwarzen Augen bei meinem Heranreiten argwöhnisch unter den Brauen verschwanden – und beim Hören meines Namens vergruben sich seine Hände mit abweisender Gebärde tiefer in seinem Wams.
»Mister Heathcliff?«
Er antwortete mit einem Nicken.
»Mr. Lockwood, Ihr neuer Pächter. Ich gestatte mir, sogleich nach meiner Ankunft bei Ihnen vorzusprechen. Es hat Sie hoffentlich nicht verdrossen, daß ich mich so hartnäckig um Thrushcross Grange beworben habe. Gestern hörte ich, Sie wollten –«
»Thrushcross Grange ist mein Eigentum, Herr«, unterbrach er mich schroff, »und wenn ich nicht einverstanden bin, kann niemand etwas bei mir erreichen. Treten Sie ein.«
Dies »Treten Sie ein«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. Es hieß in Wahrheit: »Gehen Sie zum Teufel.« Sogar die Gattertür, auf die er sich lehnte, machte zu seinen Worten nicht die mindeste gastliche Bewegung. Nur aus einem Grunde hatte ich überhaupt noch Lust, einer derartigen Einladung zu folgen: Ein Mann, der noch zurückhaltender auftrat als ich selbst, zog mich tatsächlich an.
Als mein Pferd mit der Brust gegen das Gatter zu drücken begann, streckte er endlich die Hand aus und löste die Kette der Tür. Verdrossen ging er vor mir her und rief beim Betreten des Hofes: »Josef, nimm das Pferd des Mr. Lockwood und hole Wein herauf.«
Bei dieser umfassenden Anordnung dachte ich: Da haben wir wohl das gesamte Gesinde beisammen! Kein Wunder, wenn Gras zwischen den Steinen wächst und nur das Vieh für das Stutzen der Hecken sorgt.
Josef war ein ältlicher, vielmehr ein alter oder sogar sehr alter Mann, doch kräftig und sehnig. »Gott steh uns bei!« brummte er, während er mir vom Pferde half. Dabei sah er mir so trübe und mißvergnügt ins Gesicht, daß ich den mitleidigen Schluß zog, er könne wohl sein Essen nur mit dem Beistand Gottes verdauen und sein frommer Seufzer beziehe sich nicht auf meine unerwartete Ankunft.
Wuthering Heights nennt sich Mr. Heathcliffs Besitztum – »Umwitterte Höhen«. Der mundartliche Ausdruck Wuthering bezeichnet sehr klangvoll das Luftgefühl, das sich hier bei unruhigem Wetter entwickelt. Hier oben wird man vom Luftzug durch und durch gereinigt. Mit welcher Gewalt der Nordwind um die Ecke bläst, läßt sich an den paar armseligen schiefen Föhren am Hausende erkennen. Auch die Reihe kahler Dornbüsche sieht aus, als bitte sie mit ihren nach einer einzigen Richtung gestreckten Armen die Sonne um ein Almosen. Doch der Baumeister hat mit aller Vorsicht das Haus recht fest errichtet. Die Fenster sind tief in die Mauer eingeschnitten, die Ecken geschützt durch vorspringende breite Steine.
Bevor ich die Schwelle überschritt, bewunderte ich noch rasch die vielen grotesken Schnitzereien an der Vorderseite, zumal am Haupteingang. Darüber bemerkte ich in einem Gewimmel von Figuren, zerbröckelnden Greifen und lustig-nackten Putten die Jahreszahl 1500 und den Namen Hareton Earnshaw. Gern hätte ich von dem wortkargen Eigentümer eine kurze Geschichte seines Anwesens erfahren. Aber seine Haltung an der Tür forderte meinen unverzüglichen Eintritt oder endgültigen Abzug! Ich wollte seine Ungeduld nicht weiter reizen, ehe ich das Allerheiligste besichtigt hatte.
Ohne Diele, ohne Flur führte eine Stufe unmittelbar in den Wohnraum der Familie, hier zusammenfassend »Das Haus« genannt. Dieses Gemach vereint gewöhnlich Empfangszimmer und Küche; in Wuthering Heights lag die Küche offenbar in einem anderen Teile des Gebäudes. Ich hörte aus dem Innern Geklirr von Geräten und Gewirr von Stimmen. An der mächtigen Feuerstätte des Wohnraums sah ich kein Anzeichen, daß man hier auch briet und buk, an der Wand glänzte keine kupferne Pfanne, kein zinnenes Sieb. Licht und Glut spiegelten sich mit starken Schimmern nur in den Reihen gewaltiger Zinnschüsseln, die sich abwechselnd mit silbernen Kannen und Krügen auf der eichenen Anrichte Schicht über Schicht bis zum Dach auftürmten. Unter diesem Dach war nie eine Zimmerdecke gezogen worden; man sah sein nacktes Gerippe. Nur an einer Stelle verbarg es sich hinter einem hölzernen Gerüst, das mit Haferkuchen und mit Riesenmengen von Hammel- und Rindskeulen und Schinken beladen war. Über dem Kamin hingen alte Räuberflinten sowie ein paar Reiterpistolen. Die drei sonderbar bemalten Blechbüchsen auf dem Sims sollten wohl eine Art Schmuck sein. Der Fußboden war glatter weißer Stein. Hinter den einfach geformten, grün gestrichenen Lehnstühlen standen noch schattenhaft einige dunkle Sessel. Unter der Anrichte streckte sich eine mächtige Hühnerhündin von fahler Farbe aus, rings um sie quiekten ihre Jungen; andere Hunde lagen in den Winkeln.
Zimmer und Einrichtung hätten zu einem einfachen Landwirt des Nordens gepaßt, zu einem Manne mit grobem Gesicht, für dessen derbe Glieder Kniehose und Gamaschen die richtige Tracht sind. Solche Leute, nach dem Mittagessen in ihrem Lehnstuhl sitzend, den Krug mit dem schäumenden Ale-Bier vor sich auf dem runden Tisch, sind im Umkreis von fünf, sechs Meilen rings um diese Anhöhen überall anzutreffen. Mr. Heathcliff steht in merkwürdigem Gegensatz zu seiner Behausung und Lebensart. Er sieht mit seiner dunklen Haut wie ein Zigeuner aus, aber Anzug und Umgangsform sind die eines Gentleman, nämlich in dem Sinne, wie mancher Landwirt ein Gentleman ist: etwas unordentlich, dennoch in der Erscheinung angenehm, weil vortrefflich gewachsen, dabei immer etwas beunruhigend. Vielleicht vermuten manche bei ihm einen gewissen ungebildeten Hochmut. Ich fühle eine verwandte Saite klingen, weil ich bei ihm eher an eine bestimmte Abneigung glaube, die eignen Gefühle zur Schau zu stellen und sich selbst rückhaltlos preiszugeben. Seine Liebe und sein Haß, beide wollen sich verbergen. Ja, er hielte es vielleicht für eine Anmaßung, wollte man ihn wiederlieben und wiederhassen!
Aber ich gehe wohl zu weit, indem ich ihm allzusehr meine persönlichen Eigenschaften unterlege. Mr. Heathcliff kann ganz andere Gründe haben, wenn er vor demjenigen, der seine Bekanntschaft sucht, seine Hand versteckt. Möge meine Charakteranlage sich lieber nicht zu häufig im Leben finden! Meine gute Mutter pflegte zu sagen, ich würde niemals ein gemütliches Zuhause besitzen. In der Tat habe ich mir erst im letzten Sommer eine solche Möglichkeit zerstört. Als ich bei herrlichem Wetter einen Monat an der See verlebte, lernte ich eine ganz wundervolle Frau kennen, eine wahre Göttin in meinen Augen – solange sie mich nicht beachtete. »Ich tat nie meine Liebe kund«, in Worten wenigstens. Mein Blick sagte jedem beliebigen Menschen, daß ich grenzenlos verliebt war. Allmählich verstand sie mich und antwortete mir mit den süßesten Blicken, die man sich vorstellen kann. Was tat ich? Mit Scham muß ich gestehen, daß ich mich plötzlich kalt wie eine Schnecke in mich selbst zurückzog; daß ich bei jedem neuen Blick frostiger und fremder wurde. Schließlich zweifelte die arme Unschuld an der Gültigkeit ihrer eigenen Gefühle, und ganz niedergeschlagen von ihrem angeblichen Irrtum, drängte sie ihre Mutter zur Abreise. Durch solche unnatürliche Anlage habe ich mir den Ruf bewußter Herzlosigkeit erworben. Wie wenig dies zutrifft, kann ich allein beurteilen.
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