»Hareton, treibe die zwölf Schafe in die vordere Scheune. Sie schneien ein, wenn sie die ganze Nacht in der Hürde bleiben. Lege eine Planke vor«, sagte Heathcliff.
»Was soll ich nur machen?« fuhr ich mit steigendem Ärger fort. Niemand antwortete. Ich drehte mich um und sah nur noch Josef, der einen Eimer Brei für die Hunde brachte, und Mrs. Heathcliff, die sich damit vergnügte, über das Feuer gebeugt ein Bündel Streichhölzer zu verbrennen. Als das Faktotum seine Last abgesetzt hatte, schoß es einen kritischen Blick ab und krächzte:
»Möchte wissen, was das für eine Art und Weise ist, so faul herumzustehen und Feuerwerk mit Streichhölzern zu machen! Sie sind ja zu nichts nutze. Hat keinen Sinn, darüber zu reden, Sie werden sich niemals bessern, gehen Sie zum Teufel, wie Ihre Mutter!«
Ich dachte einen Augenblick lang, diese Ansprache sei an mich gerichtet. Wütend ging ich auf das alte Gestell los, um es zur Tür hinauszuwerfen. Aber Mrs. Heathcliffs Antwort hinderte mich daran:
»Du scheußlicher alter Heuchler! Hast du keine Angst, daß dich der Teufel bei lebendigem Leibe holt, wenn du seinen Namen aussprichst? Reize mich nicht noch einmal, sonst erbitte ich von ihm als besondere Gunst, daß er dich schmoren läßt! Sieh her, Josef«, sie riß ein großes dunkles Buch vom Brett herunter, »ich will dir zeigen, wie weit ich in der Schwarzen Kunst gekommen bin! Bald bin ich so weit, daß ich das Haus in der Hand habe! Die rote Kuh ist nicht durch Zufall krepiert, dein Rheumatismus nicht vom Himmel geschickt worden!«
»O du gottloses, gottloses –« keuchte der Alte. »Der Herr erlöse uns von dem Übel!«
»Du Verworfner! Du Auswurf! Du – hebe dich hinweg oder ich mache Ernst mit dir! Euch alle will ich mir in Wachs und Ton nachbilden, und der erste, der die Zaubergrenze überschreitet – ich sage dir nicht, was mit ihm geschieht! Aber du wirst sehen! Ich habe ein Auge auf dich! Geh!«
Die kleine Hexe gab ihren Augen einen Ausdruck von spielerischer Bosheit, und zitternd, in aufrichtiger Furcht stürzte Josef hinaus, betend und die Gottlose verwünschend. Ich hielt ihr Benehmen für einen etwas traurigen Scherz; als wir allein waren, versuchte ich, sie für meine Sorgen in Anspruch zu nehmen:
»Mrs. Heathcliff, entschuldigen Sie, wenn ich Sie behellige, aber mit einem Gesicht wie dem Ihren kann man doch gar nicht anders als gutherzig sein. Geben Sie mir einige Andeutungen, wie ich den Heimweg finden kann. Ich weiß es ebensowenig, wie Sie den Weg nach London fänden.«
»Gehen Sie genau so, wie Sie gekommen sind.« Sie schmiegte sich in einen Stuhl, eine Kerze und das aufgeschlagene große Buch vor sich. »Der Rat ist kurz, aber ich kann Ihnen keinen richtigeren geben.«
»Wenn Sie also hören werden, daß man mich im Sumpf oder in einer Schneegrube tot aufgefunden hat, wird Ihnen Ihr Gewissen nicht sagen, Sie seien daran mitschuldig?«
»Wieso? Soll ich Sie etwa begleiten? Nicht einmal bis zur Gartenmauer würde man mich gehen lassen.«
»Sie selbst! Sie selbst würde ich doch nicht bitten, meinetwegen in einer solchen Nacht das Zimmer zu verlassen. Ich bitte Sie nur, mir den Weg zu beschreiben, nicht, ihn mir zu zeigen, oder Mr. Heathcliff zu überreden, daß er mir einen Führer mitschickt.«
»Wen? Hier wohnen außer ihm nur Earnshaw, Zillah, Josef und ich. Wen wollen Sie haben?«
»Sind auf dem Gut keine Knechte?«
»Nein, sonst niemand.«
»Dann bin ich gezwungen, zu bleiben.«
»Das müssen Sie mit Ihrem Gastfreund abmachen.«
»Ich hoffe, es wird Ihnen eine Lehre sein, auf diesen Höhen keine Ausflüge mehr zu machen!« hörte ich Heathcliffs dunkle Stimme von der Küchentüre her. »Ich bin jedenfalls nicht auf Bequemlichkeiten für Gäste angewiesen. Wollen Sie das Bett mit Hareton oder Josef teilen?«
»Ich kann auf einem Stuhl in diesem Zimmer schlafen.«
»Nein, nein. Ein Fremder ist ein Fremder, ob er reich oder arm ist. Es paßt mir nicht, daß irgend jemand sich hier aufhält, solange ich ihn nicht überwachen kann.«
Bei dieser Beleidigung war selbst meine Geduld zu Ende. Mit einem zornigen Ausruf drängte ich mich an ihm vorbei, zum Hof, und rannte in meiner Hast gegen Earnshaw. Es war so dunkel, daß ich den Ausgang nicht sehen konnte. Als ich mich herumtastete, erhielt ich eine neue Probe ihres schönen Benehmens gegeneinander. Zunächst war der junge Mann bereit: »Ich will mit ihm bis zum Ende des Gartens gehen.«
»Bis zur Hölle kannst du mit ihm gehen!« schrie sein Herr (oder was er für ihn sein mochte). »Wer soll inzwischen die Pferde besorgen, he?«
»Auf ein Menschenleben kommt es mehr an als darauf, daß die Pferde an einem Abend nicht versorgt werden«, bemerkte Mrs. Heathcliff freundlicher als erwartet. »Jemand muß mitgehen.«
»Nicht, wenn du es befiehlst«, entgegnete wiederum Hareton. »Wenn du Wert auf ihn legst, solltest du es lieber nicht zeigen.«
»Dann hoffe ich, sein Geist wird dich verfolgen, und Heathcliff soll keinen neuen Pächter finden, bis Grange eine Ruine ist!«
»Hören Sie, hören Sie, wie sie ihnen flucht!« flüsterte Josef, auf den ich zusteuerte. Er saß in Hörweite und melkte die Kühe beim Licht einer Laterne. Diese nahm ich ohne Umschweife, rief ihm zu, ich würde sie morgen zurückschicken, und stürzte zur nächsten Hintertür.
»Herr, Herr, er stiehlt die Laterne«, schrie der Alte, während er mich verfolgte. »He, Gnasher! He, alle Hunde! He, faß, faß!«
Als ich die kleine Tür öffnete, sprangen mir zwei zottige Ungetüme an die Kehle, rissen mich nieder, das Licht verlöschte, während Heathcliff und Hareton ein ungeheures Gelächter ausstießen. Das war der Gipfel meiner Demütigung. Indessen schienen die Bestien nur daran gewöhnt, die Tatzen zu strecken, mit den Schwänzen zu wedeln und das Maul lieber zum Gähnen als zum Beißen zu öffnen. Sie ließen mich allerdings nicht aufstehen, ich mußte stillhalten, bis ihre boshaften Herren geruhten, mich zu befreien. Ohne Hut, außer mir vor Zorn, forderte ich die Schurken auf, mich hinauszulassen. Ich drohte ihnen für jeden anderen Fall mit Wiedervergeltung, in der verwirrten und giftigen Art des König Lear. Vor Aufregung bekam ich heftiges Nasenbluten, und immer noch lachte Heathcliff, und ich schimpfte weiter. Ich weiß nicht, wie der Auftritt geendet hätte, wäre nicht jemand hinzugekommen, vernünftiger als ich und gutartiger als mein Gastgeber. Zillah, die dicke Haushälterin, erschien und fragte, was hier vor sich gehe. Sie glaubte, jemand habe mich körperlich angegriffen, und da sie sich an ihren Herrn nicht heran wagte, schoß sie ihre Worte gegen den jüngeren Halunken ab:
»Na, Mr. Earnshaw, ich bin neugierig, was Sie noch anstellen! Soll in unserm Hause nächstens jemand ermordet werden? Oh, in diese Wirtschaft passe ich nicht! Seht den armen Herrn, er ist halb erstickt! Kommen Sie, so können Sie nicht gehen, ich helfe Ihnen, halten Sie still!«
Sie goß mir mit jähem Schwung eisiges Wasser über den Kopf und zog mich in die Küche. Mr. Heathcliff folgte, und seine ungewöhnliche Heiterkeit ging wieder in sein mürrisches Wesen über. Ich fühlte mich schwach, schwindlig, krank. So war ich gezwungen, die Gastlichkeit dieses Daches in Anspruch zu nehmen. Er ließ mir durch Zillah Branntwein geben und ging ins Haus zurück. Als mich das freundlich gereichte Getränk etwas belebt hatte, führte sie mich zu meinem Schlafraum.
Auf der Treppe riet sie mir, das Kerzenlicht zu verbergen und kein Geräusch zu verursachen. Ihr Herr mache merkwürdig viel von diesem Zimmer her und würde freiwillig keinen Menschen dort wohnen lassen. Sie kenne den Grund nicht, seit zwei Jahren sei sie erst hier und wolle bei den wunderlichen Leuten nicht zudringlich sein.
Ich war meinerseits zu betäubt, um Neugier zu empfinden. Als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, sah ich mich nach dem Bett um. Die gesamte Einrichtung bestand aus einem Stuhl, einem Kleiderschrank und einer auffallend großen eichenen Truhe. Aus der Seitenwand dieses Kastens waren nahe dem Deckel Vierecke herausgeschnitten, die wie Fenster eines Wagens aussahen. Ich stellte mich vor das seltsame Möbel und blickte hinein: es bildete gewissermaßen ein kleines Kabinett für sich und enthielt eine merkwürdige altmodische Art von Lagerstätte. Das Ganze war eigentlich recht zweckmäßig ausgedacht; dadurch hatte man noch einen eigenen Raum für ein Familienmitglied geschaffen. Der breite Sims, der an einem der Fensterausschnitte entlang führte, diente als Tisch.
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