»Leidet sie sehr?« Ich warf den Rechen hin und setzte meine Haube auf.
»Ich glaube ja, obwohl sie gut aussieht. Und sie redet, als würde sie es noch erleben, daß ihr Junge ein Mann wird. Ganz außer sich vor Freude ist sie, über ihr prächtiges Kind. An ihrer Stelle würde ich bestimmt nicht sterben, bei seinem bloßen Anblick ginge es mir besser, dem Doktor Kenneth zum Trotz. Ich war so wütend auf ihn! Frau Archer brachte das Engelchen zum Herrn hinunter, und Mr. Hindleys Gesicht leuchtete auf. Da geht der alte Unglücksrabe auf ihn zu und krächzt: ›Earnshaw, es ist ein Segen, daß Ihre Frau noch am Leben blieb, bis Sie den Jungen bekommen haben. Bei ihrer Ankunft war ich überzeugt, wir würden sie nur noch kurze Zeit behalten, und jetzt muß ich Ihnen in der Tat sagen, im Winter wird es wohl mit ihr zu Ende gehen. Nehmen Sie es sich nicht zu sehr zu Herzen; es ist nicht zu ändern. Übrigens hätten Sie sich nicht ein so gebrechliches Mädchen aussuchen sollen.‹«
»Und was antwortete der Herr?«
»Ich glaube, er fluchte. Aber ich achtete nicht auf ihn, weil ich gespannt darauf war, das Kindchen zu sehen.«
Wieder begann sie, es begeistert zu beschreiben. Nicht weniger eifrig lief ich nach Haus, um es meinerseits zu bewundern, obwohl mir Hindley leid tat. Sein Herz hatte nur Raum für zwei Götzen: für seine Frau und für sich. Er war von beiden eingenommen und betete den einen an. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie er den Verlust ertragen würde.
Er stand am Eingang von Wuthering Heights. Ich fragte beim Eintreten: »Wie geht es dem Baby?«
»Es kann schon fast laufen, Nell!« Er lächelte strahlend.
»Und die gnädige Frau?« wagte ich weiter zu fragen. »Der Doktor sagt, sie –«
Er wurde rot. »Der verdammte Doktor! Frances ist ganz in Ordnung. Nächste Woche um diese Zeit ist sie wieder gesund. Gehst du hinauf? Dann sage ihr, daß ich zu ihr komme, wenn sie verspricht, kein Wort zu reden. Ich ging hinaus, weil sie den Mund nicht halten wollte. Sie muß – sage ihr, Mr. Kenneth hat angeordnet, daß sie ruhig sein muß.«
Ich überbrachte seine Botschaft Mrs. Earnshaw. Sie schien ganz gut aufgelegt und erwiderte heiter: »Ich habe kaum ein Wort gesprochen, Ellen, und sogleich ist er weinend hinausgegangen, zweimal! Also ich verspreche ihm, nicht zu reden, aber das wird mich nicht hindern, über ihn zu lachen!«
Armes Ding. Noch in der Woche vor ihrem Tode bewahrte sie ihre Fröhlichkeit, und ihr Mann bestand hartnäckig, ja wütend darauf, ihr Befinden bessere sich mit jedem Tag. Als Kenneth ihm mitteilte, seine Arzneien seien in diesem Stadium der Krankheit nutzlos, und man brauche ja für die Behandlung keine völlig unnötigen Ausgaben zu machen, antwortete Hindley:
»Sie sind allerdings unnötig, ich weiß es, denn sie ist gesund und braucht Ihre Behandlung nicht mehr! Sie hat niemals die Schwindsucht gehabt. Es war ein gewöhnliches Fieber, das vorbei ist. Ihr Puls schlägt jetzt so langsam wie meiner, ihre Wangen sind ebenso kühl.«
Das gleiche Märchen erzählte er seiner Frau; sie schien ihm zu glauben. Doch eines Abends, als sie, an seine Schulter gelehnt, gerade sagte, morgen würde sie aufstehen können, bekam sie einen Hustenanfall, einen ganz leichten. Er richtete sie in seinen Armen auf, sie legte noch beide Arme um seinen Nacken – ihr Gesicht veränderte sich, sie war tot.
Wie das Mädchen vorausgesagt hatte, gab man den kleinen Hareton ganz in meine Pflege. Solange Mr. Earnshaw das Kind gesund sah und nicht schreien hörte, war er insoweit zufrieden. Doch seine eigene Verzweiflung war desto tiefer, obwohl sie sich nicht in Klagen äußerte. Weder weinte noch betete er. Er fluchte und trotzte, verwünschte Gott und die Welt und überließ sich wilden Ausbrüchen. Seine Leute konnten dies böse herrische Benehmen nicht lange ertragen; Josef und ich hielten als die einzigen bei ihm aus. Denn ich vermochte meinen Schützling nicht zu verlassen, und Sie wissen, ich war Mr. Earnshaws Milchschwester gewesen; daher entschuldigte ich ihn bereitwilliger, als ein Fremder es getan hätte. Josef aber blieb, um die Pächter und Arbeiter zu plagen. Außerdem fühlte er die Berufung in sich, an einer Stelle zu weilen, wo viel Schlechtigkeit zu tadeln war.
Dies Auftreten des Herrn und seine Freunde gaben ein schlimmes Vorbild für Catherine und Heathcliff. Die Art, wie er den Burschen behandelte, hätte auch aus einem Heiligen einen Teufel machen können. Manchmal hatte man nun den Eindruck, als sei Heathcliff vom bösen Geist besessen. Er zeigte ganz deutlich seine Freude darüber, daß Hindley sich vor seinen Augen rettungslos entwürdigte und von Tag zu Tag finsterer und verruchter wurde. Ich kann Ihnen höchstens andeuten, welche Hölle wir in diesem Hause erlebten. Der Geistliche hörte auf, zu uns zu kommen. Schließlich wagte sich kein anständiger Mensch mehr in unsere Nähe, mit Ausnahme von Edgar Linton, der Miß Cathy besuchte.
Mit fünfzehn Jahren war sie die Königin unseres Bezirks. Sie hatte nicht ihresgleichen, auch an Hochmut und an Eigenwillen! Ich war gar nicht mehr mit ihr einverstanden, seit sie der Kindheit entwachsen war, und ich reizte sie, weil ich ihren Dünkel bekämpfte. Trotzdem blieb sie mir immer zugetan; sie war überhaupt in ihren alten Zuneigungen sehr beständig. Auch ihr Gefühl für Heathcliff wandelte sich nicht. Der junge Linton fand es bei all seinen Vorzügen recht schwierig, einen ebenso tiefen Eindruck auf sie zu machen. Bei ihm war ich dann in Stellung, bis er starb; dort über dem Kamin hängt sein Bild. Früher hing auf der anderen Seite das Bild seiner Frau, aber es ist entfernt worden, sonst könnten Sie sich eine Vorstellung machen, wie sie aussah. – Sehen Sie ihn so?«
Mrs. Dean hob die Kerze, und ich erkannte das sanfte Gesicht eines Mannes, der jungen Dame in Wuthering Heights überaus ähnlich, doch nachdenklicher und liebenswürdiger. Es war ein reizvolles Bild: Die langen blonden Haare waren an den Schläfen leicht gelockt, die Augen groß und ernst, die Gestalt beinahe zu zierlich. Jedenfalls hätte ich mich nicht gewundert, wenn Catherine Earnshaw ihren ersten Freund über einer solchen Erscheinung vielleicht vergessen haben würde. Dagegen verstand ich nicht, daß er eine Catherine Earnshaw lieben konnte, wenn sein Wesen seinem Äußern entsprach.
»Ein sehr anziehendes Bildnis. Ist es ähnlich?«
»Ja. Er sah sogar besser aus, wenn er angeregt war. Dies war sein Alltagsgesicht. Im allgemeinen fehlte es ihm an Schwung. – Cathy hatte den Verkehr mit den Lintons nach ihrem fünfwöchigen Aufenthalt bei ihnen fortgesetzt. Da sie hier nicht in Versuchung kam, ihre raue Seite hervorzukehren, und da sie gegenüber einer stets gleichbleibenden Höflichkeit nicht unklug und nicht ungezogen sein wollte, täuschte sie eigentlich die Eltern Linton durch ihre immer neue Herzlichkeit, gewann sich Isabellas Bewunderung und das Herz und die Seele Edgars. Diese Eroberungen schmeichelten ihr anfangs, denn sie hatte Ehrgeiz. Also nahm sie ein doppeltes Wesen an, ohne jemanden bewußt betrügen zu wollen. In dem fremden Hause, wo man Heathcliff als flegelhaft und roher denn ein Tier bezeichnete, gab sie sich Mühe, sich nicht ebenso zu betragen. Daheim versuchte sie in keiner Weise, höflich zu sein, worüber doch nur gelacht worden wäre, oder ihre Unbeherrschtheit zu zügeln, was ihr weder Lob noch Ehre eingetragen hätte.
Mr. Edgar hatte selten den Mut, Wuthering Heights offen zu besuchen. Er fürchtete Earnshaws Ruf und wollte ihm nach Möglichkeit nicht begegnen. Dabei empfingen wir ihn stets mit aller Höflichkeit, und der Herr selbst vermied alles, was ihn beleidigen konnte, denn er wußte, warum Edgar kam. Wenn er zu Freundlichkeiten nicht gestimmt war, ging er dem Gast wenigstens aus dem Wege. Übrigens glaube ich nicht, daß Catherine sich über diese Besuche freute. Sie war keiner Verstellung und Koketterie fähig und wollte nicht, daß ihre beiden Freunde sich überhaupt trafen. Denn wenn Heathcliff in Lintons Gegenwart diesem seine Verachtung ausdrückte, konnte sie nicht so kräftig zustimmen, wie sie es in dessen Abwesenheit tat! Und wenn Linton Abscheu und Feindschaft gegen Heathcliff bekundete, so konnten sie solche Empfindungen nicht gleichgültig lassen, als gehe sie die Verurteilung ihres Spielgefährten nichts an! Ich lachte oft über ein solches Durcheinander, über ihre geheimen Kümmernisse, die sie doch umsonst vor meinem Spott zu verbergen suchte. Das klingt wohl bösartig? Sie war tatsächlich so stolz, daß man sie unmöglich bemitleiden konnte, ehe sie nicht ein bißchen demütiger geworden war. Schließlich überwand sie sich zu einer Beichte; außer mir war ja keine Seele da, der sie sich anvertrauen konnte.
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