« Bonjour Monsieur , Inspecteur Fougasse, hätten Sie wohl fünf Minuten für mich? Sie müssen Monsieur Lacroix sein, richtig?»
«Ja genau, das bin ich. Bitte setzen Sie sich. Möchten Sie ein Glas kühlen Cidre? Ich habe soeben eine Flasche geöffnet, aber ich wäre froh, wenn mir jemand dabei helfen würde. Eine ganze Flasche ist zu viel für mich.»
«Ja gerne, es ist ja Samstag, und wenn ich schon arbeite, so darf ich auch mal eine Ausnahme machen.»
Fougasse erzählt Lacroix von seinem Fund und will wissen, ob Lacroix Gomez gekannt hat und ob er etwas über den Einsatz der Kameras weiss. Lacroix erklärt, dass er Gomez zufällig auf dem Dorfplatz kennen gelernt habe, als beide im Café Fontaine sassen und lange auf den unhöflichen, kantigen Machokellner warten mussten, bis dieser endlich an ihren Tisch kam und ihre Bestellung aufnahm. Dies sei im Oktober des vergangenen Jahres gewesen, meint Lacroix. Dabei habe er Gomez von seinem Handelsgeschäft erzählt. Noch am selben Abend sei dieser bei ihm in der Siedlung aufgetaucht und habe sich über die Möglichkeiten einer Überwachungsanlage erkundigt, da er scheinbar Probleme mit seinen Nachbaren hatte. Für gewöhnlich liefere er nicht an Endkunden, sein Unternehmen sei auf den Import und Handel von Grosslieferungen aus dem asiatischen Markt nach Europa spezialisiert. Aber Gomez habe ihm irgendwie leidgetan. So habe er eine Ausnahme gemacht. Die Installation habe er aber nicht übernommen. Gomez habe sich, soweit er sich erinnern kann, an einen Installateur aus Fontvieille gewendet.
Das Schaufenster des Radio- und Fernsehfachgeschäfts in Fontvieille , einem Nachbarsdörfchen von Maussane , ist karg eingerichtet. Ein paar Kartonschachteln von Geräten liegen lieblos angerichtet herum und machen sich den Platz mit dem Sandstaub der Provence streitig. Die meisten davon sind von der starken Sonne bereits weitgehend vergilbt. Auch die Aufklebeschrift am Fenster bedürfte eine Erneuerung. Drinnen riecht es nach frisch geschmolzenem Lötzinn und verbrannter Elektronik.
«Ich habe davon erfahren. Eine schlimme Sache. So etwas sollte bei uns nicht passieren», sagt François Devaux, Besitzer und Alleinunterhalter des Geschäftes.
«Sie haben doch die Kameras und das Schnittpult bei Herrn Gomez installiert, nicht? Können Sie mir mehr dazu sagen?», fragt ihn Fougasse.
«Ja, in der Tat habe ich diese Hightech-Anlage installiert. Ich habe mich gefragt, weshalb der Mann eine solche Ausrüstung braucht und warum er alle Kameras auf den Zugang und das Grundstück seines Nachbarn gerichtet haben wollte. Dies wollte er mir aber nicht verraten, um mich angeblich nicht in die Sache hineinzuziehen. Gomez ist noch ein paar Mal zu mir gekommen, um DVD-Rohlinge zu kaufen, die er wohl benötigte, um die Aufnahmen zu speichern.»
Fougasse schreitet bereits wieder zur Tür, als Devaux ruft: «Ah so, vielleicht wissen Sie das. Kann ich bei der Gendarmerie eine Vermisstenanzeige für einen Hund aufgeben? Unser kleiner Médor ist nämlich seit zwei Tagen verschwunden. Wir haben überall nach ihm gesucht. Meine Frau liegt mir ständig damit in den Ohren.»
«Nein, solche Fälle lösen wir nicht. Gehen Sie ins Tierheim oder fragen Sie bei den Tierärzten nach. Tut mir leid, aber das kommt immer wieder vor. Viel Glück und au revoir », sagt Fougasse und schliesst die Tür hinter sich. Soweit kommt es noch, dass wir auch noch diesen Kötern nachforschen sollen.
Zurück im Büro geht er, in der Hoffnung etwas über DVD-Rohlinge zu finden, nochmals die Inventarliste der Spureninventur durch. Er ist sich aber ziemlich sicher, dass er da nichts übersehen hat und ihm das aufgefallen wäre. Wo sind diese nur geblieben? Dann hat es eben doch einen Einbruch gegeben. Zur Sicherheit gibt er dies zur Nachprüfung Plumetatz in Auftrag.
Gerade mal eine halbe Stunde später meldet sich Devaux auf der Gendarmerie in Maussane . Fougasse führt ihn ins Nebenzimmer. Devaux erzählt, dass soeben eine Frau bei ihm im Geschäft gewesen sei. Sie wollte exakt die Ware verkaufen, welche er bei Gomez installiert habe. Die vier Panasonic Kameras und das Videomischpult mit einem Haufen gebrauchter Kabel. Mit der Begründung, dass sie den Kram nicht mehr benötige. Er kaufe aber keine Gebrauchtware und habe die Frau wieder fortgeschickt. Erst im zweiten Moment habe er begriffen, was dies bedeute. Zum Glück habe er selber eine Überwachungskamera im Geschäft. «Heutzutage wird ja so viel gestohlen», fügt Devaux hinzu.
Er übergibt Fougasse ein Schwarz-Weiss-Foto der Frau. Sie hat etwas von einer Zigeunerin. Sie trägt einen älteren blumigen Rock und lange schwarze Haare. Sie ist um die Dreissig und von mittlerer, schlanker Statur. Sie habe fliessend Französisch gesprochen, sei aber reserviert, sogar etwas unfreundlich gewesen, als Devaux ihre Ware nicht kaufen wollte.
Es muss etwas mit dem Nachbarn zu tun haben. Frau Moser sowie Lacroix und auch Devaux haben ausgesagt, dass es Probleme bzw. Gründe gab, die Kameras auf ihn zu richten. Fougasse klärt dies nun gründlich ab. Er geht erneut zu Monsieur Abbet auf das Grundbuchamt, um herauszufinden, wer in Haus 134 lebt, respektive wer dessen Besitzer ist. Das Haus 135 von Gomez ist das letzte in der Reihe, daneben befinden sich der Pétanque- und der Tennisplatz. Daher kann es nur 134 sein. Monsieur Abbet sucht ihm die Unterlagen zu Haus 134 aus dem Register heraus und händigt Fougasse Kopien davon aus. Dieser kehrt damit zurück auf die Gendarmerie.
Das Haus gehört einem Erkan Martinez, der jedoch nicht dort, sondern an der Hauptstrasse, gleich beim Café du Centre registriert ist. Also wieder so ein Vermittlerheini , der Touristen in die Provence lockt, um seinen Lebensunterhalt aufzubessern, denkt Fougasse. Plötzlich geht ihm ein Licht auf. Es muss der lokal ansässige Coiffeur sein. Plumetatz bestätigt dies augenblicklich: «Das ist dieser Kerl, der mit seinen beiden scheusslichen Hunden morgens und abends eine Runde über den Dorfplatz dreht. Dabei macht er immer einen sehr unnahbaren Eindruck und stolziert posierend zwischen den Bistrotischen hindurch. Die Hunde kann ich sowieso nicht leiden. Die sehen aus wie Schläuche, ja das müssen Schlauchhunde sein. Er selber trägt immer diese völlig aus der Mode geratenen Schwedenclogs.»
Martinez Geschäft befindet sich zwischen den beiden Bäckereien. Die Schlauchhunde sind in Tat und Wahrheit keine solchen, sondern von der Rasse Basset artésien normand , eine ziemlich tiefwüchsige, grosse, langgezogene Dackelart. Fougasse kennt den Coiffeur nicht persönlich. Er lässt seine wenigen Haare immer bei seiner Schwester in Arles schneiden und kommt dabei erst noch in den Genuss eines feinen Abendessen in netter Gesellschaft. Er vermag sich aber an den Typen erinnern und beschliesst, das nächste Mal eine Ausnahme zu machen, um einmal bei Martinez auf den Stuhl zu sitzen. Zuvor will er aber nochmals das Haus 134 von aussen anschauen.
Im Garten befindet sich ein rostiges Fahrrad, ein Besen, eine Lichterkette sowie eine Hängematte zwischen den beiden kleinen Bäumen und ein leerer Vogelkäfig. Mehr ist von aussen am Haus 134 nicht zu sehen. Bis auf ein kleines Fenster sind alle Fensterläden geschlossen. Es macht für Fougasse weder den Anschein, dass das Haus belebt ist, noch, dass dieses an Touristen vermietet wird. Komisch, denkt Fougasse. Irgendetwas muss sich aber hier abspielen oder abgespielt haben. Sonst hätte Gomez diesen Hightech-Kram nicht installiert. Einen Moment lang spielt Fougasse mit dem Gedanken, selber eine Kamera zu platzieren. Doch dazu bräuchte er eine Genehmigung des Kriminaloberkommissars und dies würde sich wohl nur schwer begründen lassen. Also lässt er es sein und beschliesst, sich zum Feierabend im Café du Centre ein Monaco , ein in Frankreich beliebtes Mixgetränk, bestehend aus einem Panasche mit einem Schuss Grenadine, zu gönnen.
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