Die einzigen Vertrauten, die Cremor auf Schloss Summerset noch hatte, waren Roderick und die Frasers — John Senior, der ehemalige Clan-Piper, und John Junior, sein Sohn und Nachfolger — die beide, jeder zu seiner Zeit, stets an der Seite von MacLennoch gewesen waren.
Alan MacLennoch. Alan . Ohne ihn gäbe es keine Brennerei in Blair Mhor. Ohne ihn prangte nicht in jedem Raum des Schlosses ein Hirschgeweih an der Wand. Ohne ihn gäbe keine Dudelsackkapelle, ihrer Zeit weit voraus. Ohne Alan wäre er, Cremor, nach dem Tod von William nicht Laird of Blair Mhor geworden.
Cremor machte sich auf zur Villa von John Fraser. Wie oft war er dort gewesen, um William und Mary zu besuchen und die kleine Maggie zu herzen. Cremor stellte einen mitgebrachten Krug auf den Schreibtisch. "Das Beste für dich, John, ein Schluck unseres ältesten Whiskys."
John holte zwei Gläser hervor. "Ich kann einen Schluck gebrauchen." Er wirkte bedrückt.
Cremor schenkte ein und sah ihn an. "Was ist los?"
"Schlimmes, mein Freund. Wir warten bis Roderick da ist, dann werde ich euch berichten. Doch sprich, was kann ich für dich tun?"
Cremor zögerte. "Ich brauche deinen Rat, John."
Beide nippten an ihren Gläsern. Cremor sprach lange, John hörte aufmerksam zu.
Dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, das Glas in der linken Hand: "Du hast eigentlich nur zwei Probleme, Cremor. Eines davon hast du nicht angesprochen. Du hoffst immer noch, Margaret wiederzusehen, sonst hättest du doch längst eine Frau gefunden. Eine gute Partie wärest du." John schmunzelte. "Oder?"
Cremor strich sich mit dem Finger über Kinn und Wangen. "Ich kann sie nicht vergessen. Sie wird wiederkommen."
"Du weißt nichts über sie. Vielleicht ist sie verheiratet, hat viele Kinder. Vielleicht ist sie auch tot."
"Denkst du oft an deine Frau?"
Fraser sah auf. Sein Blick verdüsterte sich. "Immer. Aber sie ist tot. Margaret lebt."
"Wirklich … ?" Cremor erhob sich.
"Bleib ruhig sitzen. Du weißt gar nichts."
Cremor ließ sich in den Stuhl zurückfallen und lehnte sich über den Schreibtisch zu John. "Du weißt auch nichts."
"Was meinst du damit?"
"Ich will dir etwas sagen. Weißt du, wer Maggies Vater ist?"
John lächelte. "Wahrscheinlich Alan, oder?"
"Ja, John, damit hat Schloss Summerset eigentlich eine Erbin mehr. Aber das ist nur die halbe Wahrheit."
"Kennst du denn die ganze?" John sah angespannt.
"Willst du wissen, wer die Mutter von Maggie war?"
John schwieg, beugte sich jedoch vor.
"Sie hieß Shauna. Sie war die Tochter von Margaret und Ronald MacAreagh!"
Fraser lehnte sich abrupt zurück und schloss die Augen. "Wer weiß davon?"
"Maggie. Und jetzt du."
John wog den Kopf langsam hin und her. "Charlotte nicht?"
"Nein. Ihre Töchter wissen auch nicht, dass sie noch eine Schwester haben. Vielleicht weiß es Mary, nein, sie weiß es für sicher. Seumas weiß es nicht."
Cremor setzte sich. Beide schwiegen. Cremor goss Whisky nach.
John fuhr sich über die Stirn. "Das hätte ich nie gedacht. Eine verwirrende Sache." Er nahm einen großen Schluck, dann sah er Cremor ernst an, öffnet den Mund, schloss ihn wieder. "Du hast mich um Rat gefragt."
Cremor sah aufmerksam auf. Eigentlich erwartete er gar keine Erleuchtungen mehr.
"Alan hatte keine männlichen Nachkommen. Charlotte braucht wieder einen Mann. Sie allein ist den Engländern nicht gewachsen. Sie werden versuchen, die Kontrolle über unseren Clan und seine Ländereien zu erlangen. Davon bist auch du betroffen."
"Ich werde mich zu wehren wissen!" Cremors Stimme klang nicht ganz sicher.
"Die noch lebenden Chieftains und Offiziere, die als Ehemann infrage kämen sind entweder zu jung oder zu alt."
"Ist das mein Problem?"
John schloss seine Augen zu schmalen Schlitzen. Seine linke Hand umfasste das Glas. "Wir könnten das Problem lösen."
Cremor spürte ein Unbehagen in seiner Magengrube. "Wie denn?"
"Heirate du Charlotte!"
Es dauerte ein Weilchen, bis Cremor antwortete: "Du spinnst wohl! Abgesehen davon gefällt sie mir gar nicht."
"Sie muss dir nicht gefallen. Du bist Laird of Blair Mhor. Die Engländer werden es hinnehmen. Du wirst der neue Clan-Chief."
Cremor sank in seinem Stuhl zusammen. "Du bist verrückt."
"Die Liebe war selten ein Taktgeber für kluge Entscheide. Das hast du ja selbst erfahren."
"Hast du Charlotte diesen Floh schon ins Ohr gesetzt?", fragte Cremor verärgert und erhob sich.
"Wir haben das angesprochen."
"Ich werde Charlotte sicher nicht heiraten!" Cremors Stimme klang bestimmt.
John Fraser schürzte seine Lippen. "Wenn du meinst."
Cremor wollte insistieren, doch er schwieg, als Roderick hinzukam.
Fraser setzte sich an seinen Schreibtisch. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Es dauerte, bis er sagte: "Nehmt Platz, meine Freunde." Er sah sie abwechselnd an.
Cremor spürte plötzlich, dass es Fraser nur um die Zukunft des Clans ging. Darum hatte er ihn mit Charlotte verkuppeln wollen und er war auf jede Überraschung gefasst.
"Hier auf dem Schloss sieht alles fast friedlich aus. Aber ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was man mir alles berichtet. Ich kann es selbst kaum glauben." Er schloss einen Moment die Augen. "Wie damals in Blair Mhor: Dörfer werden abgebrannt, die Menschen vertrieben, wer sich wehrt, wird getötet oder verhaftet. Das Vieh wird ihnen weggenommen, alles, ihre ganze Habe. Sie hungern und frieren."
Seine beiden Besucher waren sprachlos.
Mit tonloser Stimme sprach John weiter. "Die Führer der Clans, die auf Prinz Charles setzten, sind entweder schon hingerichtet worden, oder sie sind im Gefängnis. Überall werden Gerichte eingesetzt, die jeden beim geringsten Verdacht verurteilen — Tod, Gefängnis. Verbannung. Sie werden auf Schiffe verladen und außer Landes gebracht."
Cremor und Roderick schauten einander entsetzt an.
"Das ist noch nicht alles." John senkte den Kopf und sah auf ein Stück Papier. "Es gibt neue Gesetze." Er räusperte sich, um wieder zu klarer Stimme zu kommen. "Wer mit Waffen erwischt wird, muss mit drastischen Strafen rechnen. Das ist das Recht des Siegers. Aber es geht um mehr. Sie wollen unsere ganze Kultur zerstören. Das Tragen unserer Kleidung — Kilt und Umhang — wird verboten. An unseren Schulen darf nur noch in Englisch unterrichtet werden. Man nimmt uns unsere Sprache. Es würde mich nicht erstaunen, wenn auch noch das Spielen des Dudelsackes verboten würde." Er hielt inne und sah abwechselnd zu Cremor und Roderick.
Cremor räusperte sich. "Sie zerstören die Clans. Sie wollen keine Rebellionen mehr."
Roderick nickte. "Sie wollen aus uns Engländer machen. Ein Volk, eine Sprache", murmelte er bitter.
John erhob sich. "Es ist Tatsache, dass Alan sich gegenüber den Engländern verpflichtet hat. Die Frage ist, was wir daraus machen." Er ging langsam hin und her. "Ich habe Lady Charlotte Vorschläge gemacht." Er blickte Cremor ins Gesicht und blieb vor Roderick stehen. "Ihr kennt das Highland Regiment , dass General George Wade, der Straßenbauer gegründet hat. Die Black Watch . Schotten im Dienst der Engländer. Wachhunde über ihre Brüder."
"Worauf willst du hinaus?", fragte Roderick. "Du willst doch nicht … "
"Doch", unterbrach ihn John und sah zu Cremor. "Wir haben ein Dorf zum Aufbauen. Blair Mhor. Wir haben die Summerset Pipes and Drums . Und wir haben hundert gefangene Highlander … und unendlich viele Flüchtlinge. Arbeitswillig."
Roderick wiegte seinen Oberkörper hin und her. Er zog die Augenbrauen nach oben. Plötzlich platzte es aus ihm heraus: "Das Summerset Highland Regiment !"
John schmunzelte. "Genau so wird es heißen!"
Cremors Stimme klang nicht ablehnend, als er fragte: "Und was habe ich davon?"
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