John nickte langsam und seine Stimme klang sicher. "Wir bauen die Kaserne in Blair Mhor. Steine hast du ja genügend. Die Engländer werden dir das Holz besorgen. Du kannst die Kirche wieder in Betrieb nehmen. Und zur Kirche gehört eine Schenke für die Soldaten. Die trinken dann deinen Whisky. Und zur Schenke gehört ein Metzger. Ein Müller. Dann kommen die Frauen. Und die Kinder. Und eine Schule, auf Englisch … "
Roderick war nicht begeistert, aber er sah ein, dass das eine gute Lösung werden könnte. "Ist sie einverstanden?"
Fraser nickte eifrig. "Ja, Charlotte will Oberst Middlehurst eine entsprechende Botschaft zukommen lassen."
Cremor erinnerte sich, dass Margaret ihm in der weißen Villa, bei einem seiner letzten Besuche spät in der Nacht, beruhigt nach ihrer Liebesstunde, erklärt hatte wie ein Schachspiel zu spielen war. Er hatte es kaum begriffen. Doch jetzt waren ihm die Regeln klar geworden. Fraser beherrschte sie perfekt. Cremor wurde bewusst, dass er eine dieser Figuren darstellen sollte. Er wusste nur nicht welche. Doch eines war ihm klar: Das Geld, das er von Margaret und Shauna erhalten hatte, das eigentlich aus der Schatulle von MacAreagh stammte, wäre gut angelegt. Je mehr Einwohner und Handwerker in Blair Mhor, desto mehr Einnahmen an Pachtzinsen. Und irgendwann würde er die englische Krone zur Kasse bitten. Ein ganzes Regiment auf seinem Land zu stationieren, das war seinen Preis wert.
"Es kann uns ja niemand daran hindern, sofort mit dem Aufbau von Blair Mhor zu beginnen, nicht wahr, Cremor?" Roderick sah triumphierend auf Fraser. "Die Spieler der Pipes and Drums langweilen sich, oder? Das wäre doch die Aufgabe für sie!"
Fraser sah überrascht aus, doch er nickte sofort. "Hervorragend! Mein Sohn braucht auch eine vernünftige Arbeit." Sie wandten sich beide erwartungsvoll zu Cremor.
"Das ist mal ein Angebot! Dem kann ich nicht widerstehen." Cremor erhob sich. "Außerdem spielt es keine Rolle, ob dieser Middlehurst einverstanden ist. Das Land gehört ja schließlich mir."
Kapitel IV
James Moore wurde von den Wachen am Tor der Schlossmauer empfangen und die Nachricht über seine Ankunft verbreitete sich vom wachhabenden Offizier zum Trommler, der einen Wirbel erklingen ließ, zum Trommler am Pförtnerhaus zur weißen Villa und zu Robert Tucker.
Moore und seine Begleiter ritten auf der Hauptstraße auf das Schloss zu, dessen brandgeschwärzte Mauern nackt in den Himmel ragten. Je näher sie kamen, desto dichter wurden die herumliegenden Reste der abgebrannten Häuser, überall verkohltes Holzwerk, herabhängende Dachbalken und verwehte Aschehaufen. Bis jetzt hatte sich noch niemand ans Aufräumen gemacht.
Tucker kam ihnen entgegen. Er ritt im Galopp und brachte sein Pferd kurz vor James zum Stillstand. "Willkommen auf Schloss Blackhill!", rief er laut, "oder was davon übrig geblieben ist."
James nickte ihm zu. Tucker kam ihm nicht sehr groß vor. Während er selbst seine Haare unter der Perücke kurz geschnitten trug, waren Tuckers gefettete Haare zu Zöpfen geflochten, die er sich um den Kopf gewunden und mit Kreidepulver weiß gefärbt hatte; es sollte aussehen wie eine Perücke. James hasste das ganze Getue um diesen aufwendigen Kopfschmuck, aber es gehörte nun mal für Adlige und für die Offiziere zum guten Ton.
Vor der Villa standen die Adjutanten und Stabsoffiziere, Soldaten und Diener zu seinem Empfang bereit. Moore nickte ihnen zu und ließ sich das Pferd abnehmen. Er stieg ab und folgte dem fast einen Kopf kleineren Tucker zum Eingang der Villa.
"Wir haben uns bereits eingerichtet. Ich werde Sie herumführen." Tucker zeigte ihm die Räume im Erdgeschoss. "Hier haben wir die Kommandoräume. Die Küche ist gleich nebenan. Da gibt's noch kleine Nebenräume. Ich dachte, Sie fühlen sich im oberen Stock wohl. Soll ich Ihre Sachen hinaufbringen lassen?"
"Tun Sie das. Ich gehe inzwischen nach oben und sehe mich um. Nachher zeigen Sie mir das Schloss. Dann Lagebesprechung mit den Kommandanten."
James stieg die Treppe zum ersten Stock hoch und sah sich in den Zimmern um. Das hellste lag zum Schlosshof hin, dort würde er sich sein Arbeitszimmer einrichten. Nebenan, wo einmal eine Bibliothek gestanden haben musste — einige Bücher lagen noch in den verstaubten Gestellen — käme sein Wohnraum hin. Er ging über den Gang zum nächsten Zimmer. Hier würde er sein Feldbett aufstellen lassen. Er öffnete das Fenster und sah herunter in den Hinterhof. Gegenüber lag die Schlossmauer, überwuchert von dichtem Gehölz. Er würde sich die Villa noch von Außen ansehen. So weit er erkennen konnte, gab es hier nur einen Zugang, jenen von vorne. Es war seine Gewohnheit, stets für einen zweiten Ausgang zu sorgen. Man konnte ja nie wissen.
James hatte seine aufkommende Abneigung gegen Tucker darauf zurückgeführt, dass er seinen Adjutanten nicht selbst hatte auswählen können. Middlehurst hatte ihn ihm einfach aufgezwungen. Doch als er mit Tucker das Schloss besichtigt hatte, spürte er seine körperliche Ablehnung. Es ekelte ihn, dessen klebrigen Zopf zu riechen, wenn er ihm zu nahe kam. Seinen Umgang mit den Soldaten empfand er als widerlich; Tucker stieß sie beiseite, wenn sie ihm nicht sofort aus dem Weg traten und bedachte sie mit herablassenden Bemerkungen.
Alles, was sich innerhalb der Schlossmauern befand, war vollumfänglich in Besitz genommen worden. Offensichtlich war kein einziger der ehemaligen Bewohner zurückgeblieben, nicht einmal Alte oder Kranke. Das Erdgeschoss des Schlosses selbst war von der Feuersbrunst weitgehend verschont geblieben, ebenso die Kerker im Untergeschoss. Die weitläufigen Räume waren zwar rauchgeschwärzt, doch vieles sei erhalten geblieben, darunter auch dicke Aktenbündel mit angesengten Ecken, hatte Tucker erklärt. "Wir haben sogar Soldlisten gefunden, mit den Namen aller Offiziere."
"Ausgezeichnet!", meinte James. "Die will ich sehen. Lassen Sie sie zu mir bringen."
Tucker zog die Mundwinkel herunter und sagte mit halb zugekniffenen Augen: "Die sind bereits unterwegs zu Middlehurst."
James musste sich gewaltig beherrschen, um Tucker nicht einfach am Kragen zu packen. Er versuchte seine Stimme ruhig klingen zu lassen: "Sie werden sich in Zukunft daran gewöhnen müssen, dass Sie mir unterstellt sind. Mit meinen Vorgesetzten verkehre ausschließlich ich. Sie werden während der Lagebesprechung Bericht erstatten."
James informierte die Wachposten bei der Villa, dass er die Umgebung besichtigen werde und dass man ihm berichten solle, wenn die Kommandanten eingetroffen seien. Er versuchte seinen Ärger über Tucker zu verdauen. Es half nichts. Die Listen würden von Middlehursts Adjutanten durchgeackert werden, sie würden jeden Namen einzeln hinterfragen und vor allem nach den Chieftains und Offizieren forschen, die zum Clan MacAreagh gehört hatten. Sie würden die Namen erst dann abhaken, wenn ihr Tod oder ihr Verbleib bestätigt war. Nur einer würde mit Sicherheit von der Liste gestrichen werden: Ramsay. Und einer würde zuoberst stehen: John Dougal.
James ging zur Rückseite der Villa. Um auf den Hinterhof zu gelangen, musste er sich durch dichte Sträucher zwängen und das gelang ihm mit Mühe nur dort, wie sie an die Hausmauer angrenzten. Sonst waren die Büsche zu dicht durchwoben. Außer Farnen und hartem Gras wuchs dort nichts. Die zweistöckige Hinterfront wies im Erdgeschoss tatsächlich keinen zweiten Ausgang auf. James sah zu jenem Fenster hoch, das er zu seinem Schlafzimmer gehörend wähnte. Er ging zur Hausmauer und maß ihre Höhe. Da konnte man zur Not herunterspringen, aber sicher nicht hochklettern. Unter seinem Fuß knackte es und als er hinunterschaute, sah er einige gleichlange Holzstücke dort liegen, teils zerbrochen, teils verrottet, teils von Unkraut bedeckt. Neugierig sammelte er die Bruchstücke, an denen einzelne Seilknoten übrig geblieben waren; dort wo sie fehlten, bemerkte er Kerben. Er wog seinen Kopf hin und her. Da hat wohl eine Zofe ihren heimlichen Freier empfangen , dachte er und musste dabei grinsen. Aber wo kam der wohl her? Von vorne, vom bewachten Eingang der Villa? Er schüttelte den Kopf und sah zur Schlossmauer. Von dort? Unmöglich. Unmöglich? Er ging zum Gehölz und schob die Äste beiseite, um durchsehen zu können. Wie weit weg ist wohl die Mauer? Er schob sich mühsam durch das Gestrüpp, bis er sie im Halbdunkel erahnte. Unmöglich , bestätigte er sich selbst. Dann sah er die Schnittstellen an den dicken Ästen eines Baumes direkt bei der Mauer, aus denen rundum Zweige nachgewachsen waren. Aha, da haben wir dich, schlauer Freier. Hier hast du die Mauer überwunden und niemand hat dich sehen können! Aber lang ist's her. Sind sie wohl glücklich geworden zusammen?
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