1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Im Laufe der Zeit war neben der Brennerei ein Haus entstanden, und weil Holz kaum aufzutreiben war, bauten ihm die Hausbauer von Summerset ein massives zweistöckiges Gebäude mit mehreren Räumen. Für ihn arbeiteten sie gerne, denn er knauserte nicht und bezahlte bar und ohne Verzug. Mary, Maggie und Seumas zogen ein und lebten fast wie eine Familie zusammen. Für Seumas war Cremor der Vaterersatz, Maggie hatte nie einen solchen gebraucht. Mary pflegte die Erinnerung an ihren toten Mann William. Cremor kam ihr manchmal ein bisschen seltsam vor, weil er Jahre vergehen ließ und immer auf die Rückkehr von Margaret wartete, manchmal gar ein bisschen unheimlich, wenn sie die Skelette verschiedener Tiere in seinem Arbeitszimmer sah, die verschiedenen Präparate von Organen, eingelegt in frischem Destillat aus der Brennerei, seine zahlreichen Instrumente — von der Knochensäge bis zur feinsten Pinzette. Von den Titeln der zahlreichen Bücher konnte sie keinen entziffern, wie auch das Schreiben von Buchstaben nicht ihre Stärke war. Dabei hatte sie das Zahlungswesen der Brennerei voll im Griff, eigentlich nur die Ausgaben, und in Sachen Zahlen konnte ihr niemand etwas vormachen. Die Kolonnen ihrer vielfältigen Tabellen hatte sie mit Symbolen bezeichnet, zum Beispiel einem Gerstensack, und darunter jeweils akkurat die Zahlen und Daten. So ähnlich führte sie Lohnlisten, Bestellungen und Abrechnungen für Steuern an die Engländer. Wenn sie alle diese Zahlen und Listen zusammenzählte schauderte ihr manchmal vor den vielen Nullen, die sie anzufügen hatte. Dann befiel sie beinahe Panik und nur Cremor konnte sie beruhigen.
Er sagte jeweils: "Liebe Mary, mach dir keine Sorgen. Es ist genug da."
Genug hieß für sie genug zu essen, und nicht genügend Geld. Geld konnte man nicht essen. Eigentlich hatte es niemand so richtig bemerkt: Mary war nicht nur die Zahlmeisterin der Brennerei sondern auch diejenige die dafür sorgte, dass stets genügend zu Essen da war. Getreide für Brote, auch ein Ofen, Gemüse, Hühner, Schweine und ein ganzer Pferch voller Kühe samt Stier und Nachwuchs. Aber solange alles in genügender Menge verfügbar war, kümmerte sich niemand darum. Die Brennerei stand im Mittelpunkt. Und wenn dann noch da und dort Blumen standen, aus Marys Garten natürlich, dann freute man sich darüber.
Und Kleingeld kam auch in die Kasse. Im Brennereihof stand ein großes Fass auf einem Holzgestell. Daneben zwei Pfosten mit einem Querbalken. Daran baumelte eine bronzene Glocke, an deren Klöppel hing ein Strick. Und wenn jemand daran zog, schallte der Glockenschlag bis in die Küche von Mary und sie eilte herbei und füllte jeweils die Tonkrüge der Bauern. Seit überall englische Soldaten umherzogen, musste sie viel öfter einen Arbeiter anweisen das Fass wieder nachzufüllen.
Cremor kümmerte sich um die Einnahmen, um die Kunden und deren Belieferung, kaufte Gerste ein und Fässer. Man musste den Kunden nicht nachlaufen, sie kamen von selbst, viele aus dem Süden, gar von Edinburgh, und kauften ganze Fässer, um die Gäste ihrer Schlösser und Schenken zu bedienen. Seumas, der Jüngste von allen, war seine größte Stütze geworden. Der Junge war von morgens früh bis mittags unentwegt in der Brennerei unterwegs. Am Nachmittag wurde er von einem Lehrer unterrichtet; er war stets auf die Zeit bedacht, damit er anschließend wieder zurück in die Brennerei konnte. Seumas stand beim Müller bei den großen Mühlsteinen, wo die getrocknete Gerste gemahlen wurde, griff in das Mahlgut, sortierte die größeren und kleineren Bestandteile, schätzte den Anteil des Mehles, notierte alles in seinen Notizbüchern, die er stets bei sich trug — in einer Ledermappe, die an einem Riemen über seiner Schulter hing. Er gab dem Müller Anweisungen, wenn er einen feineren oder gröberen Mahlgang wünschte. Er griff in das Wasser, wo die Gerste zum Keimen eingeweicht wurde, holte eine Handvoll heraus und wenn Halm- und Wurzelkeim die Länge erreicht hatten, die er in seinem Buch vorgezeichnet hatte, gab er sie frei zum Trocknen auf dem Darrboden, um den Keimprozess zu beenden. Er überwachte die Feuerglut darunter, darauf bedacht, dass für eine bestimmte Menge Gerste in einem Fall völlig trockener, im anderen ziemlich feuchter Torf als Hitzespender verwendet wurde, notierte sich alles, um später auf dem Fass entsprechende Kennzeichen anbringen zu lassen. Er selbst hätte schon am Duft des reifenden Destillates erkannt, welche Art von Torf verwendet worden war. Wenn das gemahlene Gut in den großen Maischebecken aufgesetzt wurde, sah er beinahe stündlich nach, um den richtigen Zeitpunkt zu erkennen, wenn die Hefe des Bäckers zugegeben werden musste. Dann dauerte es nicht mehr lange und man hörte ihn mit lauter Stimme rufen: "Es schäumt! Kommt her zum Rühren!" Und ein oder zwei der Männer kamen mit langstieligen Schaufeln und versuchten, die wie kochend aussehende Brühe zu bändigen und am Überlaufen zu hindern. Er hatte sich mal einen Spaß daraus gemacht, einen neu angeheuerten Arbeiter aufzufordern die Nase über das Gärbecken zu halten und den Duft zu erkunden und brach in lautes Gelächter aus, als dieser zurückschreckte und entsetzt hustete. Es war seine Entscheidung gewesen, den Müller um die Bäckerhefe zu bitten und er war unnachgiebig, bis er auch die Hefe eines Bierbrauers in den Händen hatte und sie in ein zweites Gärbecken einlegte. Er hatte also zwei Hefearten zur Verfügung, zwei Möglichkeiten, und daraus wiederum je drei Möglichkeiten, nämlich einen, zwei oder drei Tage der Vergärung, das ergab zusammen sechs. Er hatte die Maische eingehend verkostet und festgestellt, dass sie mit jedem Tag süßer geworden war.
Seumas war die Nase , kein Fass wurde weiter gelagert, wenn es nicht seine Ansprüche erfüllte. Der Whisky musste reifen, besser werden, komplexer, fruchtiger, aromatischer und feiner. Seumas scheute sich nicht ein Fass, das seine Vorstellungen nicht erfüllte, auszuleeren, von den Arbeitern zerlegen zu lassen und als Brennmaterial zu verwenden. Auf jedem Fass hatte Seumas mit Kalkmilch eine Zahl angebracht und führte umfangreiche Listen: Brennjahr, Holzart und Größe des Fasses. Herkunft der Gerste, Art und Dauer ihrer Trocknung, ob Holzfeuer, Torffeuer oder eine Mischung davon, Art und Herkunft der Hefe, ob des Bäckers oder des Brauers, Dauer des Einweichens und der Vergärung der Gerste, Mahlgrad — kurz: von allem, was das Destillat beeinflusste, wie er immer wieder mit Nachdruck erklärte, bevor es ins Fass kam. Und alle paar Monate beschnupperte er dessen Entwicklung, verbrachte verschiedene Muster zu Cremor. Kaum einmal legte er sich einen Tropfen auf die Zunge.
Cremor hatte ihm einmal ein Kind eines Brennereiarbeiters gezeigt: " Whisky ist nichts für Kinder. Schau ihn dir genau an. "
Seumas war über dessen Kleinwüchsigkeit und Apathie erschrocken.
" Er trank mehr Whisky als Milch und Wasser. Er wird früh sterben. "
Er hatte die Lektion verstanden. Nichtsdestotrotz — manchmal nahm er ein Glas Wasser und ließ ein paar Tropfen einfließen. Doch das bestätigte nur, was ihm seine empfindliche Nase bereits signalisiert hatte.
Die Blair Mhor Distillery florierte unaufhaltsam. Als Lieferant des Südens und der Engländer genoss sie einen beinahe neutralen Status, doch Cremor traute der Sache nicht so recht. Der Wiederaufbau des Dorfes kam auch nicht voran. Als Laird of Blair Mhor war er Besitzer eines abgebrannten Dorfes, einer halbwegs intakten Kirche und etlicher Tonnen Steinbrocken, groben und behauenen. Die Zahl der Flüchtlinge, die Arbeit suchten, wuchs ständig, doch die Engländer würden dahinter eine neue Bastion der Highlander vermuten, wenn er sie anstellte um Blair Mhor wieder aufzubauen. Er musste sie abweisen und jeder Blick in ein enttäuschtes Gesicht schmerzte ihn. Was fehlte, war das Kostbarste: Bauholz. Die meisten Eichen schwammen auf den Weltmeeren. Der Bau eines großen Segelschiffes verschlang Hunderte von Jahrzehnte alten Bäumen. Und die Engländer benötigten viele Schiffe.
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