Klagt, das ich hätte ihm noch nie gesagt.
„Manchmal kann man nicht sagen.“
Wie er dann wissen soll?
„Wissen, wissen. Immer wissen wollen. Fühlen du musst! Hier drin.“
Haue auf mein Herz, wo Martin Seele vermutet. Kann nicht alles auf einmal erklären. Ist wie bei Baby.
„Du gehst falschen Weg. Weg zur dunklen Seite. Du nie Krieg der Sterne gesehen hast?“
Rede gern wie Meister Yoda. Ein Freund ich sein will.
Versteht gar nichts mehr, mein Martin.
„Anakin sich Meister Yoda anvertrauen hätte können. Und auf ihn hören, du musst! Verletzungen Teil unseres Weges sind. Alles Teil der Prüfung ist.“
Schaut komisch, der Martin. Probiere weiter Filmweisheit.
„Deinen Weg du selber finden musst. Alles, was du brauchst, in dir ist. Hilfe, die du suchst, um dich herum sie sich befindet. Nur sie sehen, du hast verlernt. Also mache Augen wieder auf.“
Schaut immer noch wie dumme Kuh, der studierte Mann. Hartes Brot.
„Nichts dir wird geschenkt. Hart arbeiten ist, was man von dir verlangt. Die meiste Zeit denken du wirst, es ist umsonst. Das die Zeit der falsche Freunde und einfache Lösungen.“
Er will versuchen.
„Es geht nicht um Versuch.“
Um was denn, er fragt.
„Tue. Oder tue nicht. Kein Versuchen. Meister Yoda hat gesagt.“
Findet, Yoda kleiner grüner Mann aus Film.
„Er ein großer Meister war“, ich sage und lache mit Vergnügen. Hoffentlich nicht umsonst die Predigt ist.
Wie lange hab ich Martin nicht gesehen? Ewig. Sieht etwas lädiert aus, der Gute. Er drückt meine rheumatischen Knochen bis es weh tut und besteht auf Tequila Gold. Immer noch der alte Romantiker. Und immer noch ganz passabel. Erzählt mir, wie seine Ehe den Bach runtergegangen ist. Den Knackarsch würde ich schon gerne noch mal anfassen. Wir leben nicht ewig und ich schon mal gar nicht. Der Rausch dauert nie lange genug, um die Leere und den Schmerz zu besiegen.
Wahrscheinlich hat er gestern wieder zu viel getrunken. Seine Stimme klingt so knödelig. Er ist im Zug. Ich soll ihn krank melden. Das ist neu. Er weiß noch nicht, wohin er fährt. Alles in Ordnung? Ja, ich kümmere mich um alles. Natürlich. Immer muss man sich um ihn Sorgen machen.
Dauernd vergesse ich was. Ausgerechnet den Kleinen Prinzen, mein Lieblingsbuch. Ich muss Paps später anrufen. Nicht vergessen, Lea! Am besten schreibe ich mir das auf ein Post-it. Die ganze Wand ist schon voll.
Man setzt sich auf eine Sanddüne. Man sieht nichts. Man hört nichts. Und währenddessen strahlt etwas in der Stille. Ich kenne viele Stellen auswendig. Paps hat mir jeden Abend vorgelesen. „Leses Buch“ habe ich angeblich immer gesagt und mich erwartungsvoll auf seinen Schoß gesetzt. Schlafen fand ich schon immer langweilig. Ich habe während des Vorlesens oft auf die kleinen Bilder getippt. Manchmal habe ich auch etwas kommentiert, sagt Paps, so wie das Schäfchen Mäh oder die Rose Da . Ansonsten war ich ein guter Zuhörer. Warum liest mir heute keiner mehr vor? Wenn einer eine Blume liebt, die es nur ein einziges Mal gibt auf allen Millionen und Millionen Sternen, dann genügt es ihm völlig, dass er zu ihnen hinaufschaut, um glücklich zu sein. Er sagt sich: Meine Blume ist da oben, irgendwo … Wo ist meine Blume? Die großen Leute verstehen nichts von den wirklich wichtigen Dingen. Und Jungs erst recht nicht. Paps hat hinten im Buch die alles entscheidende Frage beantwortet, ob das Schaf die geliebte Blume des kleinen Prinzen gefressen hat oder nicht. Da steht mit Tinte: Das Schaf hat die Blume nicht gefressen. Es ist ein nettes Schaf.
Am Gartenhaus von den Grünwaldts hat sich wieder der Efeu breitgemacht. Seit die Frau weg ist, verkommt der Garten immer mehr. Schade eigentlich. Muss er sich so gehen lassen? Ich seh ihn auch kaum noch. Hat sich wohl verkrochen.
Dafür sind die Schneiders umso aktiver. Und der blöde Köter. Kläfft immer die ganze Nachbarschaft aus der Mittagsruhe. Heute ausnahmsweise mal nicht. Dafür knattert die Alte schon seit einer halben Ewigkeit mit dem Rasenmäher im Gebüsch herum. Wenn das nicht bald aufhört, rufe ich die Polizei. Jetzt ist endlich Ruhe. Was sagt die? Brüllt mit Fluppe im Mund irgendwas zu ihrem Mann, der mit seinen riesigen Kopfhörern auf dem Liegestuhl vor sich hin vegetiert. Hört natürlich nichts. „Heinz“, insistiert die Schneider. Die Knollennase bekommt immer noch nichts mit. Jetzt gibts Ärger. Wütend stapft Schatzi barfuß über den Rasen und reißt ihrem Mann die Hörer vom Ochsenschädel. „Jetzt hilf mir endlich, du fauler Sack“, brüllt sie ihn noch puterroter als sonst an. Irgendwas mit den Bäumen. Die Knollennase trollt sich, um die letzten Ecken zu mähen. Erschöpft zündet sich die Schneider eine neue Fluppe an und begibt sich in ihrem weißen Sommeroberteil zwischen die Büsche auf die andere Seite des Gartens. Da hockt sie sich hin und macht sich daran, das Chaos von der letzten Gartenparty aufzuarbeiten. Die haben oft seltsame Gäste. Da beneide ich den Martin wirklich nicht. Während die Alte da so hockt, singt sie immer lauter vor sich hin. Das tut sie gerne. Nur leider grauenhaft falsch und meistens deutsche Schlager. Das ist zuviel. Ich geh lieber wieder rein.
Die Augen sind ein Versprechen gewesen. Ich hätte doch den Tag auf mich nehmen sollen. Bloß, um sie wiederzusehen. Wie sie wohl ohne das Kopftuch aussieht? Die Nase war ganz fein. Fast kerzengerade und schmal. Eine makellose Form. Nur die Stimme hat irgendwie nicht gepasst. Die war nicht orientalisch. Vielleicht ist das der Schreck gewesen.
Es klingelt. Der bofrost-Mann.
Ich mische mich hier an dieser Stelle mal ein, weil Martin einen Zeitungsartikel über meine Arbeit liest. Ich bin Psychotherapeutin, lebe in Nordengland und inspiriere Sinnsuchende mit dem Ausblick auf die eigene Sterblichkeit. Lebensglück mit der Aussicht auf den Tod in 30 Tagen. Vielleicht funktioniert das ja auch bei ihm. Er ist natürlich erst einmal irritiert. Was würde er in der noch verbleibenden Zeit tun? Sofort kündigen. Wie die meisten meiner Patienten. Er denkt ziemlich lange nach. Fast alle Patienten bereuen, dass sie ihre Lebensqualität aufgeschoben haben. Ich habe den richtigen Zeitpunkt verpasst, murmelt er. Viele träumen von einem Ferienhaus im Süden oder von Reisen um die Welt. Das sind die Klassiker. Ich würde gerne sagen, was ich denke, sagt Martin. Fang heute damit an, sage ich. Seine Tochter meldet sich am Telefon. Er wird sie besuchen. Sie hat eine Überraschung für ihn.
Kutterscholle in Kalifornien
Herr Grünwaldt
Das Meer rauscht in meinen Ohren, der Deich sonnt sich und Möwen watscheln im Bild umher. Ein Schiff tutet am Horizont. Ich döse im Strandkorb und freue mich auf meine Rente. Der Schaffner will meinen Fahrausweis kontrollieren. So ein Spielverderber. Ich bestelle mir ein Bier, während draußen das platte Land vorbeizieht. Kalifornien liegt direkt neben Brasilien. Man geht immer schnurstracks auf dem Deichweg entlang, vorbei an Rettungsschwimmerhäuschen und Abfallkörben. An schlechten Tagen überfallen einen von der Landseite die Rapskäfer, manchmal regnet es oder der Wind ist zu heftig, aber Schlimmeres steht nicht zu befürchten. Am Strand bimmelt der Eiswagen. Abends sitze ich auf einer Bank und höre den Wellen zu, wie sie Geschichten von Seeräubern, versunkenen Schiffen und Schätzen auf dem Meeresgrund erzählen. Dann schlafe ich ein.
Er hat abgenommen, das sehe ich gleich. Kriegen wir schon wieder hin. Wenn es unbedingt Scholle sein muss, von mir aus. Oder wie wir hier sagen: So mok wi dat. Ich mag mehr Schnitzel und Deftiges. Die Lea kommt zum Glück auch. Wir päppeln ihn schon wieder auf. „Wie geiht di dat?“, frage ich, nachdem wir uns heftig umarmt haben. Wir sind hier oben sonst nicht so, aber der Junge darf das. Ich könnte ja glatt seine Mutter sein. Manchmal glaube ich sogar, dass er sich das wünscht. Wo doch seine Eltern schon tot sind. Ich schnack wieder zu viel. Wir trinken einen Jubi zur Begrüßung. Er nennt mich mien seuten Deern, mein süßes Mädchen. Alter Charmeur. Ich sag nix und lache nur. Wir reden hier nicht so viel. Er erzählt von seiner Arbeit, ich frage nach Marga. Er lässt schöne Grüße ausrichten. Dösbaddel, die Frau einfach gehen zu lassen. Erst mal Kutterscholle, dann sehen wir weiter.
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