Wir erreichten das dänische Glücksstadt, dass durch vorgelagerte Elbinseln nicht so schnell auszumachen war.
Der Kapitän rief: „Klar zum Halsen!“ Er meinte damit, dass es Zeit wurde zur Umkehr. Der Walfänger segelte am Wind aus Nord mit Steuerbordhalsen. Dazu dienten die vordersten Segel vor der Galionsfigur. Die Brassen wurden zum Laufen klargelegt. Das Großsegel wurde aufgegeit. Die Segelflächen wurden demnach verkleinert. Der Besan wurde geborgen. Das war das hintere große Segel.
„Auf das Ruder!“, rief der Kapitän. Der Steuermann Jan drehte nach Backbord bei, damit wir links herum fahren konnten. Die Großrahen wurden gebrasst. Ohne Achtersegel veränderte das Schiff nun die Richtung. Die Konstanze lief vor dem Wind. Die Matrosen verlagerten die Klüver nach Steuerbord. Als die Lage des Schiffes sich änderte, mussten einige Segel neu positioniert werden, um die Wirkung des Windes voll nutzen zu können. Nun spannten sich die vorderen Segel. Der Groß Topp wurde angebrasst. Letztlich setzten die Männer das Besansegel und trimmten alle anderen Segel. Das Schiff lag nun mit Backbordhalsen am Wind. Wir setzten das Großsegel und das Deck wurde aufgeklart. Das Manöver war beendet und wir segelten zurück. Die Verantwortlichen machten zufriedene Gesichter. Selbst unser langjähriger Schiffsarzt, Dr. Emanuel Voigt, der auch die Probefahrt mitmachte, schwärmte vom neuen Schiff. Mehr ist wohl auf einem Fluss nicht zu testen, sagte Dr. Voigt und Kapitän Broder stimmte der Äußerung des Arztes zu.
„Nun kommt es auf Eis, Kälte und Sturm an“, ergänzte unser Bootsmann Jan. Und so hatte ein Jeder seine Weisheiten parat, die nun mal zur Seefahrt gehörten, wie der „Rum zum Matrosen“.
Die Verspätung konnten wir nicht aufholen und so erreichten wir den Hamburger Hafen nicht rechtzeitig zur Verladung der Kanonen. Der Große Hafenkran sollte vor einer Stunde die Kanonen an Bord hieven. Wir gingen in Warteposition, weil derzeit ein anderes Schiff beladen wurde.
Ich glaubte Lisa erkannt zu haben und fragte vorsichtig Jacob, ob sie es wohl sei.
Er schaute mich ungläubig an und sagte: „Sie ist doch deutlich zu erkennen, Caspar!“
„Fernsicht ist nicht so meine Stärke, Jacob.“ Dann nutzten Jacob und ich die Zeit, dem Kapitän und dem Steuermann ein paar Fragen zu stellen. Wir hatten auf der Navigationsschule viel gelernt und brauchten im nächsten Schritt praktische Erfahrungen und Informationen aus erster Hand. Wir hatten ein neues Verfahren zur Bestimmung der Position auf See kennen gelernt. Dies war von großer Bedeutung, wenn man die Weltmeere befahren wollte. Es handelte sich um Tabellen zur Berechnung des Längengrades. Sie waren gerade erst veröffentlicht worden und stellten einen Meilenstein in der Navigation dar. Der Kapitän Broder war aber bisher ohne die Tabellen zurechtgekommen, auch auf dem Weg nach Grönland. Schließlich fuhr man schon über 100 Jahre von Europa ins Eismeer, ohne die Bestimmung des Längengrades durchführen zu können. Jan Behrens, der Steuermann kannte die Tabellen und wirkte dem entsprechend aufgeschlossener. Er musste in der Navigation auf dem neuesten Stand bleiben, denn er wollte schon bald selbst sein Kapitänspatent machen.
Unsere Wartezeit im Hafen war vorbei und wir bugsierten die Konstanze zum großen Neuen Kran , um die Kanonen an Bord zu nehmen. Nun erkannte ich die halbe Familie, die sich dazu eingefunden hatte. Wir begrüßten uns herzlich und mir wurde klar, beim nächsten Betreten des Schiffes würde der Verbleib länger ausfallen.
Lisa strahlte mich an, als ob ich von einer großen Reise heim gekommen wäre. Konstanze und Hinrich sahen beide glücklich aus, die gestrige Verlobung machte es nicht mehr nötig, dass Hinrich nochmals das Hospital aufsuchte. Das war Medizin genug. Ihm ging es wieder gut. Mein Vater und Onkel Clemens sprachen zwischenzeitlich mit dem Kapitän Broder. Sorgenvolle Gesichter von Vater und Onkel Clemens lösten sich in Wohlgefallen auf, als Kapitän Broder und Jan Behrens ihre Eindrücke schilderten. Tante Nathalie, so hörte ich von Lisa, war es hier zu laut und zu anstrengend, um hier zu warten. Sie hatte mit ihrem Kind unter dem Herzen in Hamburg anstrengende Tage erlebt und wollte sich, bis zum großen Abschiedsessen ein wenig ausruhen. Meine Mutter leistete ihr Gesellschaft und Josephine bereitete das Mahl vor. Ich freute mich auf dieses Ereignis, denn die Seemannskost in den nächsten Wochen, hatte schon so manchen Matrosen zur Verzweiflung getrieben. Alfred und Hannes waren die Besatzungsmitglieder, die zur Stadtwache gehörten. Sie sind unter Kapitän Broder die Verantwortlichen für die Bewaffnung und Verteidigung des Schiffes. Ursprünglich waren Walfänger nicht bewaffnet gewesen. Doch Kaperfahrten bis in die Fanggründe und auch feindliche Auseinandersetzungen mit anderen Staaten blieben nicht aus. Die Konvoi -Fahrten Hamburger Kriegsschiffe vergangener Tage, konnten Verluste dieser Art nicht grundsätzlich verhindern. Die Hamburger Handelsflotte war einfach zu groß geworden. Heutzutage fahren Hamburger mit schwedischer Flagge aus Stade oder dänischer Flagge aus Altona, wenn politische Umstände es verlangten. Mein Vater und Onkel Clemens hatten sich für die Hamburger Flagge entschieden. Da Kock & Konsorten eine hamburgisch-französische Gesellschaft war, führte die Konstanze auch die französische Flagge. So ist der große Bruder immer im Gepäck, wenn es erforderlich oder dienlich wurde. Alfred und Hannes überwachten das Beladen der Kanonen und der Munition. Durch die große Luke zwischen Fockmast und Großmast wurden die Geschütze ins Zwischendeck gehievt. Jacob und ich verabschiedeten uns von der Mannschaft und wir gingen ohne Vater und Onkel Clemens nachhause. Ein Gewitter zog auf und wir beschleunigten unser Fortkommen. Die ersten großen Tropfen erreichten uns, als wir von der Mattentwiete in die Katharinenstraße kamen. Es hatte lange nicht geregnet. Die Stadt schien im Staub zu versinken. Aus den Hinterhöfen der Mattentwiete kam uns ein fauler Geruch entgegen. Der Regen wird die Kanäle reinigen und den Mief wegspülen. Wir erreichten unser Haus und der Regen wurde stärker.
„Gerade noch mal Glück gehabt“, sagte Konstanze.
„Was man von Onkel Clemens und Vater nicht sagen kann“, meinte Hinrich. In der großen Diele roch es nach Fisch. Ich bewegte mich zur Küche. Josephine bereitete die Speisen vor. Ich bedankte mich als erstes für den tollen Pullover, den sie heimlich gestrickt hatte. Anerkennend erwähnte ich ihre Mühe, die sie sich mit dem Brief gemacht hatte.
„Zweifel kamen nicht auf, dass du nicht auch mir einen Pullover stricken wolltest. Übrigens, die Änderungen am Pullover sind gelungen. Er passt dank deiner Geschicklichkeit“, sagte ich freudestrahlend.
„Denn kann ich ja auch zufrieden sein, Caspar. So, nun muss ich aber weiter arbeiten, sonst wird das Essen nicht rechtzeitig fertig“, antwortete Josephine und drängte mich zur Tür. Ich schaute noch schnell in die Töpfe und stellte fest, dass es heute Lachs geben wird. Im Kontor und auf den Speichern wurde nur bis mittags gearbeitet. Maria half in der Küche und das restliche Personal konnte sich von dem Stapellauf der Konstanze erholen. Einige hatten die Erholung auch nötig. Besonders jene die versucht hatten, mit den Seeleuten beim Trinken mitzuhalten. Lisa, Konstanze und Hinrich setzten sich zu Tante Nathalie und zu Mutter an den großen Dielentisch. Ich setzte mich schließlich auch dazu. Wir spekulierten, wann Onkel Clemens und Vater wohl nachhause kommen werden. Der Regenguss war noch nicht vorbei. Jacob spannte im Hinterhof die Pferde an und wollte die Beiden abholen. Ich wollte die letzten Stunden mit Lisa verbringen und entschloss mich da zu bleiben.
„Jacob ist vertraut mit der Umgebung und wird sich schon nicht verirren!“, sagte Lisa zustimmend, die meinen Beweggrund verstanden hatte. Tante Nathalie erzählte, dass Onkel Clemens lange überlegt hatte, ob er nicht statt der Neu Orléans- Route lieber die etablierte Quebec- Route fahren sollte. Denn es war seine alleinige Entscheidung gewesen. Es gab für beide Routen Vor- und Nachteile. Er machte es sich deshalb nicht einfach. Mein Onkel legte sich letztlich fest und Tante Nathalie wiederholte seine Begründung Wort für Wort: Für die aufkommende Besiedlung Louisianes und gegen den, in festen Händen liegenden Pelzhandel der Sankt Lorenz-Region, wo die Kompanie erst einmal Fuß fassen müsste. Das Hinterland Louisianes war riesengroß und umspannte fast das Gebiet bis zu den Großen Seen im Norden Amerikas. Entlang dem Lauf des Mississippi Stromes und seiner Nebenarme. Das Klima war günstig für den Anbau von Baumwolle, Indigo, Tabak, Reis, Mais, Kürbis, Weizen und Zuckerrohr. Zusätzlich nahm im Süden die Krabben, Muschel- und Austernfischerei stark zu. Hier gab es viele Chancen den Handel auszuweiten, wenn erst einmal mehr Einwanderer ihren Weg nach Neu Orléans gefunden hätten, so hieß es. Die Stadt war erst 1718 gegründet worden. Da war Geduld oberstes Gebot, doch zurzeit waren die Schiffe der Neu Orléans- Route gut ausgelastet.
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