Selbstbewusst trat ich auf den Gang und lief zur Tür. Mit jedem Schritt, den ich machte, verlor ich ein Stück Mut, denn sobald der erste Paparazzo den Auslöser gedrückt hatte, brach ein wahres Blitzlichtgewitter aus. Mom und ich traten durch die Tür, lautes Geschrei prasselte auf uns ein und ein Foto nach dem anderen wurde geschossen. Das grelle Blitzlicht blendete mich und ich taumelte die Stufen nach unten, während ich eine Hand schützend vor mein Gesicht legte.
Ich verstand nicht, was die Leute schrien. Die Stimmen vermischten sich mit dem Klicken der Kameras, und ich trat die letzte Stufe nach unten.
»Entschuldigung, lassen Sie mich durch«, versuchte ich, laut zu sagen, doch niemand ging aus dem Weg. Den Blick gesenkt, entdeckte ich eine kleine Lücke und schob mich an zwei Männern vorbei. Ich wusste nicht, ob meine Mutter mir noch folgte. Völlig überfordert sah ich mich um und stand plötzlich zwischen lauter Fremden, die wild auf mich einredeten und mich mit ihren Kameras blendeten.
Panisch drehte ich mich im Kreis und versuchte, meine Mutter zu finden, als plötzlich jemand an meinen Sachen zog und ich das Gleichgewicht verlor. Taumelnd fiel ich zu Boden und verstand nicht, was hier passierte. Warum traten die Leute nicht zur Seite und ließen mich durch? Wortfetzen drangen an meine Ohren, doch ich war nicht in der Lage, ihre Bedeutung zu verstehen. Schwer atmend blickte ich auf den Boden, Tränen brannten in meinen Augen und mir wurde schlecht.
»Treten Sie von meiner Tochter zurück, verdammt!«, nahm ich die Stimme meiner Mutter wahr. Ich wollte nach ihr sehen, doch die ganze Situation überwältigte mich. Auf meinem Herzen breitete sich ein unglaublicher Druck aus und es fühlte sich an, als würde mir jemand die Luft abschnüren. Ich kniff die Augen fest zusammen und betete, dass es gleich vorbei sein würde, bevor ich die Besinnung verlor.
Plötzlich packte mich jemand und hob mich mit Leichtigkeit in die Luft. Ich klammerte mich blind an denjenigen, und ein angenehmer Duft umspielte meine Nase - eine Mischung aus süß-herbem Männerparfüm und einer ganz eigenen Nuance, die mich an einen Tag im Wald erinnerte.
»Es ist alles in Ordnung.« Die dunkle Stimme des Fremden zog durch meinen ganzen Körper und hinterließ ein Prickeln. Ich öffnete vorsichtig die Augen. Im Blitzlicht schimmerten seine braunen, gestylten Haare leicht bernsteinfarben. Seine moosgrünen Augen ruhten besorgt auf mir, während seine kantigen Gesichtszüge angespannt waren. Er verstärkte den Druck und presste mich fester an seinen großen, trainierten Körper. Ich schätzte den Fremden nur wenige Jahre älter als mich selbst, doch was spielte das Alter in dieser Situation für eine Rolle? Die Art, wie er mich ansah und mich aus der Menschenansammlung heraustrug, sorgte dafür, dass ich mich so sicher und beschützt fühlte wie nie zuvor in meinem Leben. Er war ruhig und gelassen und strahlte trotzdem eine Stärke aus, die einen Schauer und empfindliche Stromstöße durch meinen Körper schickte. Ich blickte ihm direkt in die Augen und verlor mich. Mit so wenigen, einfachen Dingen nahm er von mir und meinem Körper Besitz und verzauberte mich. Das war albern und doch ein Moment, den ich bis zu diesem Tag nicht vergessen hatte.
»Danke«, flüsterte ich, als er mich auf dem Parkplatz auf die Füße setzte und mich an einen schwarzen Wagen lehnte. Ich löste unseren Blickkontakt nicht, als er nur sanft nickte.
»Alles in Ordnung, Kleines?« Meine Mutter kam panisch zu mir gelaufen und strich mir die Haare aus dem Gesicht.
»Ja, ich ... ich will hier nur weg.«
»Ja, natürlich.« Sie wandte sich an den Fremden, der mir geholfen hatte. »Vielen Dank für Ihre Hilfe, Mr ...«
»McLaughlin, Blake McLaughlin.«
»Vielen Dank, Mr McLaughlin.« Mom wollte mich am Arm packen und zu ihrem Auto schleifen.
»Ich kann Sie nach Hause bringen, wenn Sie möchten. Sie sind viel zu aufgeregt, um jetzt selbst zu fahren.«
Tatsächlich zitterte meine Mutter ebenso wie ich am ganzen Körper. Die Situation hatte uns kalt erwischt und ich verstand nicht, warum die Paparazzi so aggressiv reagiert hatten. Ich war kein Mensch, den man ablichten musste, warum waren sie alle so aufdringlich geworden?
»Ich will Ihnen keine weiteren Umstände machen, Mr McLaughlin.«
Er schüttelte den Kopf. »Das machen Sie nicht.« Er öffnete die Zentralverriegelung des Wagens, an den er mich gelehnt hatte. »Steigen Sie ein.«
»Vielen Dank«, sagte meine Mutter erleichtert.
Zehn Minuten später hielten wir vor dem kleinen Blumenladen meiner Mutter, der sich im Erdgeschoss eines dreistöckigen Wohnhauses befand. Ich stieg aus und atmete zum ersten Mal an diesem Tag tief durch, dann blickte ich mich um. Das Haus stand in einer kleinen Einkaufsstraße, in der einige Menschen ihre Besorgungen erledigten. Die Fassade des Blumenladens war weiß und wirkte einladend, das Schaufenster war bunt und frühlingshaft dekoriert. Moms Laden erinnerte kaum noch an das kleine Geschäft, das sie in Glasgow geführt hatte. In diesem hier steckte mehr Liebe zum Detail und sicher auch viel mehr Zeit.
»Danke, Mr McLaughlin. Sollten Sie irgendwann Blumen brauchen, revanchiere ich mich bei Ihnen.« Meine Mutter deutete lachend auf ihren Laden, doch er machte nur eine abwinkende Handbewegung.
»Es gibt nichts zu danken. Auf Wiedersehen.«
Ich drehte mich zu Blake McLaughlin um und suchte ein letztes Mal seine wunderschönen Augen. Vielleicht benahm ich mich wie ein schmachtender Teenager, aber das kümmerte mich nicht.
»Danke«, flüsterte ich und lächelte sanft. Er erwiderte es nicht, das musste er gar nicht. In seinen Augen lag ein Schmunzeln, das sein Lächeln ohnehin ausgestochen hätte.
Ich wandte mich ab und folgte meiner Mutter zur Tür des Wohnhauses, die sich neben dem Eingang des Blumenladens befand.
»Ein netter junger Mann«, sagte meine Mutter und schloss auf. Wir liefen die Treppe nach oben in den ersten Stock, wo sie die Wohnungstür aufschloss. Als ich ins Innere trat, staunte ich nicht schlecht. Die Wohnung war groß und im Landhausstil eingerichtet. Alles bestach durch helle Farben und die bunten Akzente, welche die frischen Blumen brachten. Ich schloss die Augen und sog ihren Duft ein. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich geglaubt, ich befände mich in einem Cottage auf dem Land.
»Die Wohnung ist traumhaft schön«, flüsterte ich.
»Danke, Schatz. Wir haben ein Gästezimmer. Du musst nicht auf der Couch schlafen.« Meine Mutter öffnete eine Tür und ich trat in ein liebevoll eingerichtetes Schlafzimmer. Zarte Flieder- und helle Cremetöne fanden sich an den Wänden und in der Einrichtung wieder. Auf dem Nachtschrank stand ein Strauß frischer Schnittblumen. »Du kannst so lange bleiben, wie du möchtest.«
Mit einem Lächeln auf den Lippen sah ich mich um. Obwohl ich das Zimmer traumhaft fand und tatsächlich mit dem Gedanken spielte, länger zu bleiben, ging mir eine Sache dennoch nicht aus dem Kopf. Wo hatte ich vor meinem Unfall gelebt? Hatte ich eine eigene Wohnung gehabt, oder war ich vielleicht sogar mit meinem Freund zusammengezogen?
Ich drehte mich zu meiner Mutter um. »Mom, nur eine Frage: Wo habe ich vor dem Unfall gewohnt?«
»Du hattest eine eigene Wohnung in Edinburgh, Liebes.« Meine Mutter atmete tief durch. »Ich hatte mich nach deinem Unfall mit dem Vermieter in Verbindung gesetzt. Das Geld kam regelmäßig von einem britischen Konto. Genaueres konnte er mir nicht sagen.«
»Das heißt, jemand hat die Miete über all die Jahre bezahlt?«
»Ja, ich denke schon. Ich hatte deinem Vermieter gesagt, er solle mich anrufen, wenn es zu Schwierigkeiten kommt. Da er das bisher nicht getan hat, vermute ich, dass du deine Wohnung noch so vorfinden wirst, wie du sie verlassen hast. Das ist aber kein Thema, das wir jetzt besprechen sollten. Ruh dich aus.«
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