Karsten Kemper
Der Malaysia-Job
Der Malaysia-Job
Karsten Kemper
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.deCopyright: ©Karsten Kemper ISBN 978-3-7375-4584-6 Konvertierung: Sabine Abels / www.e-book-erstellung.de
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Der Frachter fuhr nur mit mäßiger Geschwindigkeit. Trotz des fehlenden Mondes in dieser Nacht war er bereits von weitem auszumachen. Alle Lichter auf Deck brannten, als wolle die Mannschaft absichtlich auf sich aufmerksam machen. Mit ihren motorisierten Schlauchbooten holten sie schnell auf und hielten von hinten auf ihre Beute zu. Sie wußten, daß sie bei der Dunkelheit im toten Winkel des Schiffes kaum wahrzunehmen wären. Dann gingen sie längsseits an Backbord, unbemerkt, wie sie glaubten. Nun mussten sie nur noch ihre Stricke und Enterhaken ausbringen und die Reling erklimmen, so wie es Piraten seit hunderten von Jahren tun. Dort angelangt wurden sie plötzlich geblendet. Von Scheinwerfern, die man von allen Seiten auf sie richtete und die ihre Pupillen stark verengten. Diesmal wurden sie erwartet, aber es war kein Empfangskomitee, das sie umzingelt hatte. Ihre wenigen Pistolen und Kalaschnikows konnten nichts ausrichten gegen die Übermacht der anderen und deren Waffenpotenzial. In dieser Nacht sollte nicht die Crew sondern sie die Opfer werden. Es würde ihr letzter Überfall gewesen sein, wurde ihnen schlagartig bewusst. Zum Reden war keine Zeit mehr. Nur noch ein paar flüchtige Gedanken, ein verzweifelter Schrei nach innen. Dann wurden die Abzüge betätigt, worauf lang anhaltende Salven aus automatischen Waffen ihre Körper durchschlugen und ihren Raubzügen für immer ein Ende bereiteten.
Ihr letzter Tauchgang war genauso erfolglos wie die vorangegangenen. Die Reste einer chinesischen Dschunke samt ihrer kostbaren Ladung sollen hier vor der Westküste Malaysias, auf dem Meeresgrund liegen. Als vor ein paar Monaten auf einem Schwarzmarkt in Manila plötzlich Teller mit kobaltblauem Dekor und Armreifen aus grünem Glas verscherbelt wurden, blieb dies vom fachkundigen Publikum nicht unbemerkt. Ein Expertenteam aus Peking datierte die Fundstücke in das 14. Jahrhundert. In jene Zeit, in der sich China auf seinem kulturellen Höhepunkt befand und mit einer gewaltigen Flotte von Seeschiffen Handelsbeziehungen zu fernen Ländern unterhielt. Ein Seebeben vielleicht oder eine Veränderung der Unterwasserströmung haben bewirkt, dass der Meeresboden ein paar seiner wertvollsten Trophäen wieder freigab. Der weiche, sauerstoffarme Schlick konservierte die begehrten Stücke mehr als ein halbes Jahrtausend. Malaysia gilt als eines der beliebtesten Tauchziele und lockt mit dem vielfältigsten Artenreichtum im Indopazifischen Becken. Doch die smaragdgrünen Inseln mit ihren perlmuttweißen Stränden, das warme Wasser mit seinen Barracudaschwärmen, Hammerhaien und riesigen Meeresschildkröten, interessierten sie nicht. Sie hatten einen Job zu erledigen. Michael und Derek sind Profis und machen so etwas nicht zum ersten Mal. Jeder der beiden hat weit über sechshundert Tauchgänge absolviert. Derek Coleman ist Brite und diente jahrelang als Kampftaucher in der Royal Navy, die er vor zwei Jahren nach Beendigung seiner Dienstzeit verließ. Michael Burk ist Amerikaner und begann bereits während seines Jurastudiums, dass er vor fünf Jahren absolviert hatte, mit dem Tauchen. Beide arbeiten als Tauchsportjournalisten für ,Divers Ground’, dem Marktführer unter den englischsprachigen Tauchsportmagazinen. Als er sich vor einem Jahr um den Job bemühte, lernte er dort Derek kennen, dem es schon vor ihm gelungen war, seine Leidenschaft erneut zum Beruf zu machen. Sie verstanden sich auf Anhieb und wurden auch privat zu Freunden. Seitdem arbeiten sie als Team, wann immer es die Situation erlaubt. Steven, ihr Chefredakteur, hatte die beiden auf die Dschunke angesetzt, weil er wusste, dass sie aus jeder Situation das Beste machen. Vor zwei Wochen bekam er von Dillon, einem seiner Agenten in Südostasien, die Informationen über die Position des Wracks zugespielt. Dillon galt als zuverlässig. Er hatte versucht, den Weg der begehrten Kostbarkeiten vom Schwarzmarkt in Manila mit Hilfe der dort üblichen kleinen Schmiergelder zu den Plünderern zurückzuverfolgen. Die Spur führte zu ein paar ortsansässigen Fischern, die die Chance wahrnahmen, ihre Armut ein wenig zu lindern, indem sie den freigelegten Teil der Ladung bargen und zu Geld machten. Doch die Koordinaten waren falsch. Sie mussten falsch sein. Wenn das Wrack dort läge, wo sie suchten, wären sie längst drauf gestoßen. Wie es aussah, hatte man Dillon diesmal getäuscht. Vielleicht um den tatsächlichen Fundort nicht preiszugeben und dennoch in den Genuss seiner Dollars zu kommen. Oder es waren nicht die richtigen Leute, die er aufspürte. Möglicherweise erzählte ihm irgendjemand irgendetwas, womit er zufrieden war und seine Scheine rausrückte. Ihr Tauchprofil westlich des hundertsten Längenund südlich des zehnten Breitengrades war mehr als zehn Meilen lang und genauso breit. Seit acht Tagen tauchten sie zweimal täglich. Die Atemluftflaschen stets mit Nitrox, einem Sauerstoffgemisch, gefüllt, das es ihnen ermöglicht, länger unten bleiben zu können. Oftmals gingen sie dabei runter bis auf sechzig Meter, womit sie ihre zulässige Tauchtiefe um fast die Hälfte überschritten. Die Dschunke kann jedoch nicht so tief liegen. Um den havarierten Segler dort unten zu plündern, hätten einheimische Fischer Tauchausrüstungen und Atemluftflaschen benötigt, genau wie sie. Kaum anzunehmen, dass sie mit so etwas richtig umgehen und arbeiten können. Bisher hatten sie nichts gefunden, was auch nur auf die Existenz des Schiffes hindeutete. Ihr Budget war fast vollständig aufgebraucht und ihre Stimmung auf dem Nullpunkt. Es war ihr letzter und verzweifelter Versuch, ihren Auftrag zu erfüllen. Aber wie es aussah, bliebe ihnen diesmal ein Erfolgserlebnis wie bei all ihren bisherigen Expeditionen verwehrt. Derek warf einen Blick auf seinen Tauchcomputer am linken Handgelenk, der ihm anzeigte, dass die Hälfte der Tauchzeit bereits überschritten war. Sie hatten keinerlei Hoffnung mehr, auf dem letzten Abschnitt doch noch etwas zu finden. Wenn sie ihr Boot erreichen würden, das am Ausgangspunkt auf sie wartete, wäre die ganze Sache für sie erledigt gewesen. Am darauf folgenden Tag würden sie in ihre Maschine steigen und das Inselparadies unverrichteter Dinge wieder verlassen. Sie befanden sich noch in vierzig Metern Tiefe, umgeben von völliger Dunkelheit. Ihre Flossenschläge waren langsam und kontinuierlich, ihre Atmung tief und gleichmäßig. Erfahrene Taucher können sich trotz des enormen Wasserdrucks, der auf ihnen lastet, völlig entspannen. Wie in Schwerelosigkeit schweben sie dann durchs Wasser und verbrauchen dabei so wenig Atemluft wie möglich. Das Licht ihrer Strahler erhellte den Meeresboden, der mit einem Teppich rötlich schimmernder Weichkorallen überzogen war. Ganze Schwärme von Kardinalfischen tummelten sich vor ihren Augen. Derek paddelte in einiger Distanz vor Michael und überwand als erster die Kuppe eines Felsenriffs, als es ihm fast den Atem verschlug. Vor ihnen zeichneten sich im dunstigen Licht ihrer Taucherlampen die Umrisse eines gesunkenen Schiffes ab. Ein moderner Stahlkoloss lag wegen des abfallenden Meeresbodens ein Stück nach vorne und zur Seite geneigt direkt vor ihnen. Sie kamen von hinten auf den Havaristen zu. Vorbei an den gewaltigen, messingfarbenen Schraubenblättern und dem haushohen Ruderblatt, das sich ihnen entgegenstreckte.
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