Als es an der Zeit war, den Laden zu schließen, waren Pit und Ronny nicht abzuschütteln.
„Wir machen noch einen Zug durch die Gemeinde, ihr kommt doch mit! Come on, come on!“ Ronny tänzelte um Michael und setzte überraschend ein paar gezielte, markierte Boxhiebe.
Solche Spielchen nicht gewohnt, reagierte Michael zu langsam und wirkte daher fast gelassen, obwohl er zunächst heftig erschrak.
„Gut trainiert, was? - Aber Vorsicht, mach keinen Quatsch!“ Schnell gefasst, überspielte er seine Unsicherheit.
Pit, der größere, ließ betont lässig Autoschlüssel um den Finger kreisen und setzte sehr ironisch nach:
„Achtung Ronny, pass auf! Er könnte gefährlich werden, unser neuer Freund!“
Beruhigend nahmen die beiden Frauen Michael in ihre Mitte und beförderten ihn auf die roten Ledersitze eines chromblitzenden weißen Ami-Schlittens aus den späten Fünfziger Jahren. Reifenquietschend setzte sich das Schiff in Bewegung.
In den verschiedenen Lokalen, die das eigenartige Quintett beehrte, wurde kräftig weitergetrunken. Laura hielt sich recht anschmiegsam an Michaels Seite. Jo unterhielt sich meist mit Pit und Ronny. Dabei entwickelte sich zwischen den drei so unterschiedlichen Männern mehr und mehr ein schlimmes Wettsaufen. Pit und Ronny täuschten sich jedoch in Michael, er hatte Routine und konnte den Grad der Wirkung des Alkohols sehr gut überspielen. Er war ihnen zumindest auf diesem Gebiet überlegen.
Beide Frauen hielten schon lang nicht mehr mit und Laura war an Michaels Schulter eingeschlafen, als Jo sich über den Tisch beugte: „Achtung, Kripo!“
Michael hatte dafür keinen Blick, hatte nicht einmal die Veränderung bemerkt.
Pit und Ronny reagierten dagegen außergewöhnlich schnell. Verhältnismäßig ernüchtert, so unauffällig elegant und rasch, wie’s für ihren Zustand in dieser Situation gerade eben möglich war, verabschiedeten sie sich.
„Endlich!“, Erleichterung sprach aus Michaels Haltung, obwohl ihn eine undeutliche Ahnung davon beschlich, was Jo von ihm denken könnte.
Verschlafen blinzelte Laura:
„Endlich was? - Polizei?“
Michael zog Jo lachend an seine Seite und zu dritt rückten sie enger zusammen. Sie redeten nur wenig, tranken aber noch mehr, und ihre Spannung ließ erst langsam nach, als sich keiner weiter um sie kümmerte. Michael blieb es, die Gesamtrechnung zu bezahlen. Sie gingen dann ein Stück zu Fuß, bevor sie ein Taxi nahmen, und landeten schließlich in Jos Wohnung.
Jo hatte nicht viele Umstände gemacht und alle drei waren, einigermaßen rasch entkleidet, zusammen in das große Bett gefallen, um ihren unfreiwilligen Rausch auszuschlafen.
‚Jo wird sicher annehmen, ja sie muss geradezu annehmen, ich wäre ein Krimineller, ein Gangster!’, mit dickem verkaterten Kopf stand Michael über die Toilette gebeugt und kämpfte mal wieder mit seiner Übelkeit.
‚Ich arbeite nicht, hab immer viel zu viel Zeit. Sie fragt nie danach, woher das Geld kommt. Überhaupt fragt sie nie etwas, und mein Verhalten trägt dazu bei, sie annehmen zu lassen ...’
Eine neue Welle riss ihn aus seinen Gedanken und unter scheußlichem Würgen spuckte er nur noch Galle.
‚Ich muss es schaffen zu schreiben, so geht’s nicht weiter!’, Kälte ließ ihn zittern, und schlotternd hangelte er sich zum Waschbecken. Fließendes Wasser half ein wenig. ‚Die grauenhafte Sauferei muss ich in den Griff bekommen, sonst wird das nie was.’
Morgen würde er eine Schreibmaschine kaufen, er nahm es sich fest vor, bevor er mit weichen Knien und Schüttelfrost durch die Wohnung schlich und in die Bettwärme seiner Frauen zurück kroch.
Katerkopf und Übelkeit ließen ihn nicht schlafen, schmerzende Helligkeit suchte sich ihren Weg, drang in das abgedunkelte Zimmer. Laura schnarchte leise vor sich hin und Jo zuckte nervös auf, warf sich unter der Bettdecke hin und her, stöhnte und redete im Schlaf Unverständliches.
Michael betrachtete die eingerollte Laura. Einzelne schmale Sonnenstrahlen, die sich durch einen Spalt der dicken Vorhänge zwängten, beschienen ihre helle, eigenartig schöne Haut.
Das friedlich entspannte Gesichtchen mit sinnlichen vollen Lippen, schlafend, kindlich, von Make-up verunstaltet, war ihm zugewandt. Haarsprayverklebte Haare hatten skurrile Formen angenommen und rochen aufdringlich unangenehm nach süßlichem Parfüm und kaltem, abgestandenem Rauch.
Eine nervöse Bewegung Jos, als sie im Schlaf die Decke an sich riss, nahm brutal die schützende Hülle weg, bis Michael sie vorsichtig zurückzog, um Laura zu bedecken.
Laura blinzelte kurz und kuschelte sich wärmesuchend dicht an ihn. Übelkeit und pochender Schmerz im Kopf konnten nicht verhindern, dass Michael die intensive Berührung ihrer nahezu nackten Körper erregte, das Pochen in seinem Kopf verstärkte.
Versteinert lag er so einen Moment und wagte sich nicht mehr zu rühren.
Er konnte seinen Pulsschlag nicht beruhigen, mit hämmerndem Kopf und der Pumpe auf Hochtouren, lag er da, eine rauschende Brandung in den Ohren.
Jo schlief jetzt ruhiger, aber Laura schien seinen Zustand zu bemerken - und nutzte ihn, erst zärtlich dann drängend, erstaunlich raffiniert und gekonnt bis Michaels Schädel endgültig zu zerspringen drohte; bis zur Explosion der Sinne und Schmerz an der Grenze des Erträglichen, als Laura sich vorsichtig wieder löste, ihn sehr sinnlich, mit weichen vollen Lippen zärtlich küsste und zur Seite rollte, um weiterzuschlafen.
Rauschen, Pochen, schmerzende Übelkeit nahm nach einiger Zeit überhand, zwang Michael nochmals aus dem Bett und in kleinen Schlückchen trank er, am großen Kühlschrank in der Küche Halt suchend, das kalte Bier, von dem er Linderung erhoffte.
Wie der unbestechliche Zeiger einer Uhr waren im abgedunkelten Zimmer die durch Vorhänge dringenden Sonnenstrahlen, über Farben bunter Plüschtiere streifend, langsam weitergewandert und hatte Jo erreicht. Maximilian lag eingerollt an ihren angewinkelten Beinen. Laura schlief friedlich. Jo erwachte und war verwundert, eine Frau neben sich zu finden.
Allmählich kam ihre Erinnerung zurück. Sie kannte doch sonst ihre Grenzen genau und wusste immer, wann sie, um diesen Zustand zu vermeiden, aufhören musste. Heute hatte sie einen schmerzenden Kopf, einen ausgewachsenen Kater.
Aus dummen Katzenaugen sah Maximilian die verkaterte Jo fragend an.
Michael war nicht da. Jo erhob sich und suchte, vollkommen verschlafen durch die Wohnung tapsend, nach ihm.
In der Küche fand sie ihn endlich - leidend, mit einer Flasche in der Hand - am Kühlschrank. Michael erschrak, als sie plötzlich vor ihm stand.
Seinen üblen Zustand überspielend, bot er Jo einen Schluck Bier an.
„Trink einen Schluck, das einzige was hilft.“
„Oh je, oh je, geht es dir genauso beschissen?“, Jo hielt sich den Kopf und nahm dankbar die Flasche entgegen.
Zunächst etwas erleichtert, angelte Michael eine weitere Flasche aus dem Kühlschrank, und beide setzten sich, wie sie waren, an den Küchentisch. Geschmeidig und träge gesellte sich der Kater zu den Verkaterten.
Beide tranken.
Jos braune Augen waren noch schwarz umrandet von verschmiertem Make-up; Lippenstiftreste und zu viel Braun am Haaransatz verunstalteten ihr hübsches Gesicht. Schlafverknitterte, bettwarme Haut, nur wenig bedeckt von den schwarzen Spitzen seidener Unterwäsche verlangte nach intimer Berührung, und wirre blonde Haare zeigten am Ansatz ihre wahre Farbe. Gepflegte Hände mit blutrot gelackten Fingernägeln hielten zitternd die Flasche, aus der sie in kleinen Schlückchen trank.
„Es tut mir leid wegen heute Nacht, ich konnte die Kerle nicht abwimmeln. Pit und Ronny waren, oder besser gesagt sie sind, Freunde meines ehemaligen Mannes. - Mann ist auch nicht ganz richtig, wir lebten einige Jahre zusammen, von den zehn Jahren unserer Verbindung saß er über die Hälfte im Knast. Sie nennen ihn Will, aber er heißt Wilhelm. Seit fast zwei Jahren ist er wieder drin. Wir hatten uns schon vorher getrennt, es ging einfach nichts mehr zwischen uns. Das Dumme ist nur, er betrachtet mich immer noch als sein persönliches Eigentum!“
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