1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Beim Verlassen der Zelle wird mir erst bewusst, anstatt für mich zu arbeiten, werde ich in einer Stunde bei ihr sein.
Dabei wollte ich doch einige schwierige Passagen meines Parts, nicht zuletzt der Schulter wegen, alleine probieren, um dadurch unabhängiger vom Körper und intensiver in meiner Aussage werden zu können.
Gewissensbisse verwischen sich, ein Schwamm voll Gefühl streicht darüber.
Jetzt, mitten in der Vorstellung am Abend, rächt sich der Nachmittag. Dabei fühle ich mich körperlich fit, sozusagen in Hochform.
Keuchend und klatschnass - verdammte Schwitzerei - beobachte ich meine Partnerin Maria.
Sie tanzt perfekt und voller Seele.
Gut - sehr gut. Aber ich? Nicht gut! Gedanken rasen durch meinen Kopf - Reni auch - auch der Nachmittag - auch das eben von mir Getanzte; - schlecht, weil technisch perfekt, weil nur Technik. - ‚Der Techniker!’ - Konstrukteur hätte ich bleiben sollen, Ingenieur werden sollen, auf dem Weg zum Bürger, anständig, solide, gesicherte Existenz, - auf der anderen Seite des Orchestergrabens, jetzt Zuschauer, zufrieden - oder unzufrieden, vielleicht - sauer auf den da - den ‚Techniker’, der auf der Bühne jetzt perfekter Partner ist. Eins - zwei - drei - vier, ‚Glissat’ und ‚Lift’, wie im Schlaf, im Traum. Recht hat er, der im Publikum; - ist sauer - ist im Recht!
Er erwartet, er hat bezahlt, und da tanzt einer technisch perfekt, ergötzt sich selbst an seiner Technik. Bestimmt! Aber der Tanzende zeigt kein Gefühl, keinen Ausdruck, er hat keine Persönlichkeit - nichts kommt rüber!
„Scheiße!“, zischt mir ungewollt durch die Zähne, „Ich bin zu unkonzentriert.“
Mein Körper funktioniert automatisch. Sozusagen im Schlaf drehe ich, springe ich - ‚Double tour en l’air’ aufs Knie - Schluss!
Geschafft! - He, bin ich überhaupt gesprungen? Oder habe ich markiert und bin, wie in der Probe, ohne Sprung direkt aufs Knie gegangen?
... Endlose Pause. - Kein Beifall?
Jetzt - doch!
Wie durch Nebel dringt aus dem dunklen Raum der Zuschauer das Klatschen.
Der Beifall!
Gott sei Dank doch!
Ich atme - endlich atme ich wieder. Während ich mich strahlend verbeuge, würdevoll, der edle Prinz, schießt mir durch den Kopf: ‚Ein Tänzer denkt nicht - beim Tanzen. Wenn er denkt, beim Tanzen, ist er schlecht oder alt - vielleicht schon zu alt, um zu tanzen!’
____________________
1 Wer ist Petra
„ Wer ist Petra?“ Laura saß neben Michael an der Bar, während Jo sich um ihre Gäste kümmerte. Herausfordernd sah sie ihn an. Verwirrt reagierte Michael zunächst nicht, bis sie wiederholte:
„Wer ist Petra?“
Laura hatte ihren frechen Tag, halb gefallener Unschuldsengel, halb frühreife Lolita, räkelte sie sich neben Michael zurecht und feixte ihn an. Sie spielte mit ihrer sinnlichen Ausstrahlung und ihrer Wirkung auf die Männer und ihr Ego fühlte sich geschmeichelt durch Michaels Aufmerksamkeit.
„Wen meinst du, wie kommst du auf diesen Namen?“
„Neulich, als wir zusammen geschlafen haben, bei Jo - da hast du den Namen einige Male deutlich ausgesprochen.“
„Wann?“
„Weißte das nicht mehr? Nachdem ich dich vernascht hatte!“
„Ach so, - war übrigens sehr schön, aber abgesehen davon, hast du dich sicher getäuscht.“
Ein winziger Minirock bedeckte eben noch den Hintern Lauras, und ihre wohlgeformten Beine waren aufreizend übereinander geschlagen.
„Ich erinnere mich genau, auch daran! S’war echt geil mit dir, können wir gern bei Gelegenheit ...“
Sie unterbrach sich kurz, als Jo in ihre Nähe kam, um dann leise weiter zu sprechen „Du hast einen herrlich harten Schwanz, genau meine Kragenweite!“
„Also, wer ist Petra?“, fing sie noch einmal lauter an.
Irritiert durch die frivol-ordinäre Art Lauras war Michael sich überhaupt nicht bewusst, irgendwann über Petra gesprochen zu haben. Aber er wurde sich schnell darüber klar, dass er sicher das offensichtliche Angebot dieses aufreizenden Früchtchens annehmen würde, obwohl Laura weiter zäh in seinen Erinnerungen herumkramte.
„Komm schon, rück raus, wer ist Petra?“
„Warum interessiert dich das überhaupt?“, versuchte Michael wieder abzulenken, er wollte nicht über Petra reden, nicht hier, nicht mit dem Mädchen.
„Mich interessiert so langsam alles, was dich betrifft! Du machst mich heiß, - du, du machst mich neugierig! Irgendwas stimmt bei dir nicht. Irgendetwas ist bei dir anders als bei anderen Männern. Am Anfang dachte ich, du bist schwul, dabei ist es das nich’!“
Michaels Schweigen schien sie zu bestärken.
„Du bist kein Heimlicher, du passt auch nicht hier rein. Weißte was, ich glaub, du machst auch keine Geschäfte und so, bist zu anständig. Du gehörst eher zu den Feineren, jawohl! Ich glaub du bist ein feiner Pinkel. Aber das ist es auch nicht. Irgendwas stimmt nicht bei dir - ich komm schon noch dahinter!“
Michael war heute ausgesprochen schlecht drauf. Er hatte den ganzen Nachmittag geschrieben, dabei nur wenige Zeilen zustande gebracht und der leichte Kick vom Alkohol, auf den er wartete, war noch nicht eingetreten.
„Auch eine Barfrau hat das Recht auf ‘ne Pause!“ kam Jo mit ihrem vollen Glas in die Ecke zu Laura und Michael.
Hinter der Bar setzte sie sich, um sich eine Zigarette anzustecken, was sie sehr selten tat.
„Hast du Ärger?“ Michael schenkte sich nach und trank.
„Nein! Schwierige Gäste, wollen dauernd unterhalten sein. Anstrengend, das kann ich euch sagen, anstrengend!“
Lautes Lachen und Rufen mit der Bitte um Nachschub beendete ihre kurze Pause, die glimmende Zigarette blieb im Aschenbecher zurück und verwandelte sich qualmend allmählich in eine graue Aschenraupe.
‚Get a taste of it! Oder, nehmen sie ihre Gesundheit selbst in die Hand!’ dachte Michael und beobachtete die graublauen, sich schlängelnden Linien des aufsteigenden Rauchs.
„Bin ich froh, dass sonst nicht viel los ist, hab keinen Bock heute! Hoffentlich kommt keiner!“ Laura feixte bereits wieder, „Ich schenk dir was, wenn du mir was schenkst! Sag mir wer Petra ist und ich schlaf mit dir!“
Naiv und beharrlich bohrte sie weiter.
„Lass mich in Ruhe mit Petra! Es würde dir nichts nützen. Petra war eine Frau, mit der ich ein paar Jahre zusammen gelebt habe. Reicht dir das?“
Es reichte Laura keineswegs, immer mehr bohrte sie und machte Michael mürbe, bis er seinen Widerstand aufgab und fast von allein erzählte.
Nachmittags beim Schreiben hatte er sich denkbar schwer getan. In den letzten Tagen schaffte er einige Seiten, aber es fehlte ihm der Einstieg in eine vernünftige, fesselnde und interessante Handlung.
Jetzt erzählte er frei, hatte keinerlei Schwierigkeiten zu formulieren und mit einem Mal überkam ihn die Gewissheit, schreiben zu können, ja schreiben zu müssen. Selbsttherapie, das Verdrängte verarbeiten, zunächst völlig unabhängig davon, ob es später jemand lesen würde.
Er erzählte von Petra, der Frau die er wirklich geliebt hatte, wobei er seinen Beruf immer noch verschwieg, als ob er sich dafür schämen müsste. Auch von Reni, seinem Verhältnis, erzählte er, diesem dummen unnötigen Verhältnis, das zu Missverständnissen, Lügen und Schlimmerem führte, bis Petra ihn endgültig verließ. Und wieder erfüllte ihn Schmerz und Heimweh. Die Trennung von Petra hatte Michael nie ganz überwinden können.
Doch mehr und mehr wurde Michael während seiner Erzählung bewusst, wie sehr gerade das, was er verschwieg - seine Karriere als Tänzer, als Choreograph, als Direktor eines Balletts - ihn aufgefressen hatte; wie wenig Raum für ein glückliches Privatleben ihm tatsächlich geblieben war.
Das Früchtchen Laura blieb ungeheuer neugierig und ihre Fragen verlangten intime Details, jedoch das Leben, welches aus Michaels Erzählungen sprach, war ihr fremd.
Читать дальше