1 ...6 7 8 10 11 12 ...31 „Ein Weihnachtsgeschenk für jemanden, der mir sehr am Herzen liegt, mein Freund!” Der General zwinkerte dem Spanier, wie ein Verschwörer zu.
„Tiene que ser muy linda por merecer este caballo!“
„Oh si, Amigo!“ Arthur lächelte den Spanier an. Er konnte es kaum noch erwarten, Sarah den großen Grauen zu schenken.
Einige Stunden und einige Flaschen Wein später verließ er leicht erschlagen Jerez. Kopenhagen schien genausoglücklich und zufrieden wie sein Reiter. Lammfromm hatte er sich einfangen und aufzäumen lassen. Bißspuren an seinem Hals zeugten von einem erfolgreichen Nachmittag auf der großen Koppel. Der Ire nahm sich vor, in elf Monaten nach Jerez zu schreiben, um zu erfahren, ob sein Hengst Vater geworden war. Der Graue trottete ruhig hinter dem Fuchs her. Am späten Abend traf der General gutgelaunt in Badajoz ein und brachte beide Pferde in den Stall. Dann suchte er nach einem Hufeisen, das er in die Tasche seines Mantels steckte. Sarah und Dunn hatten sich schon ein wenig Sorgen gemacht, daß er den Weihnachtsabend verpassen würde. Die gefüllte Ente schmorte im Ofen, der Tisch war gedeckt und die Kerzen bereits angezündet. Im großen Salon der Zitadelle brannte ein heimeliges Feuer im Kamin, das den Raum mit angenehmer Wärme erfüllte.
„Na endlich, du Streuner! Wo hast du dich den ganzen Tag herumgetrieben?” Sarah hatte die eiskalten Hände des Generals in die ihren genommen, um sie ein wenig zu wärmen. „Du bist ja total durchgefroren! Außerdem hast du getrunken!”
„Ein bißchen! Sei nicht böse!” Er drückte ihr einen zärtlichen Kuß auf die Stirn: „Fröhliche Weihnachten, Kleines!” Der Ire legte seinen dunkelblauen Reitmantel ab und zog Lady Lennox zum Tisch hinüber. John holte die Ente aus dem Offen und trug sie auf.
„Wenn Sie mich nicht mehr brauchen, Sir Arthur, dann werde ich jetzt zur Weihnachtsmesse in die Kathedrale gehen!”
„Wollen Sie nicht mit uns zu Abend essen?“
Der alte Mann zwinkerte seinem Herren zu: „Ich bin mir sicher, Sie würden gerne ein paar Stunden alleine mit Mylady sein! Außerdem war ich schon lange nicht mehr in der Kirche und auf dem Markt haben mir die alten Frauen erzählt, daß die Christmesse hier besonders schön ist! Also, fröhliche Weihnachten!” Er verschwand und zog die Tür hinter sich ins Schloß. Sarah war aufgestanden und holte eine Flasche Wein von einem kleinen Beistelltisch. Sie füllte beide Gläser. Die Ente war dem Sergeanten wunderbar gelungen.
Nach dem Essen holte die junge Frau den Kaffee aus der Küche und ließ sich dann mit einem großen Stück Schokoladenkuchen in ihrem Sessel vor dem Kaminfeuer nieder. Arthur setzte sich auf den weichen Teppich, schlang seine Arme um Sarahs Knie und barg den Kopf in ihrem Schoß. Sanft strich sie ihm übers Haar. In den letzten Wochen hatten sie so selten Zeit gefunden, ein paar friedliche Stunden alleine miteinander zu verbringen. Das britische Hauptquartier hatte einem Bienenschwarm geglichen.
„Und übermorgen werden wir nach Coimbra reiten, mein Lieber!”
„Und einen ganzen Monat lang wunderbar faulenzen, Kleines. Bei dem Wetter wird sich kein Marschall über die Grenze wagen. Mit ein bißchen Glück haben wir bis in den April hinein Ruhe vor unseren französischen Freunden und können uns vernünftig auf den nächsten Sommer vorbereiten. Die Wälle von Torres Vedras sind beinahe fertig!“
„... und damit ist wenigstens Lissabon sicher?”
„Laß den Krieg für heute abend vor der Tür! Ich habe noch eine Überraschung für dich!” Der General stand auf und kramte in seiner Manteltasche nach dem Hufeisen. „Dein Weihnachtsgeschenk!“ Er schmunzelte eine verwunderte Sarah an, die nicht so ganz verstand.
„Ein Glücksbringer?“
„Eigentlich nicht! Der Rest von deinem Weihnachtsgeschenk paßt nur nicht in dieses Zimmer!” Er hängte der jungen Frau den schweren Mantel um die Schultern, und zog sie hinter sich her: „Du wirst wohl oder übel mit nach draußen kommen müssen!”
Sarah folgte ihm durch die kalte Weihnachtsnacht über den dunklen Innenhof zu den Stallungen. Der General öffnete das schwere Holztor und zündete eine Laterne an. Sarah folgte ihm neugierig. Er leuchtete die letzte Box an: „Das gehört auch noch zu deinem Hufeisen! Er heißt Libertad!” Zutraulich streckte der große, graue Wallach seinen Kopf über die Tür und sah Sarah aus sanften, dunklen Augen an. „Er ist wunderschön, Arthur!” Vorsichtig öffnete sie die Box, um das Pferd zu betrachten. Der Graue rieb seinen Kopf an ihrer Schulter, um Bekanntschaft zu schließen. Wellington hatte sich gegen die Wand des Stallgebäudes gelehnt und sah den beiden zufrieden zu.
Kapitel 3 Mondegos Tochter
Am letzten Tag des Jahres 1809 trafen der General, John Dunn und Dr. Lennox in der schönen, alten Stadt Coimbra ein – dem lusitanischen Athen, das hoch an einem Hang des rechten Mondego-Ufer an den Ausläufern der Serra de Lovao gelegen war. Ihr Weg hatte sie von Badajoz über Pontalegre, Abrantes und Tomar geführt. Arthur hatte den Weg durch das Tejo-Tal gewählt, entlang an Olivenhainen, Obst- und Gemüsekulturen und durch das portugiesische Burgenland. Im Entre-Duero-Minho und in der Beira gab es insgesamt mehr als 35 Burgen und Burgruinen. Um viele dieser alten Mauerwerke rankten sich Sagen und Legenden, über einige hatte der Ire während seines Aufenthaltes in Tomar gelesen. Seine zweite Leidenschaft neben dem Kriegshandwerk war schon immer das Studium der Geschichte gewesen. Die kleine, ruhige Reise gab ihm Gelegenheit mit eigenen Augen zu betrachten, was ihn in den Büchern fasziniert hatte. Und Coimbra würde seinen Wissensdurst noch viel mehr befriedigen, als die Bibliothek von Tomar, in der für seinen Geschmack zuviele religiöse Werke standen. In dieser Stadt drehte sich alles um eine wunderbare, alte Universität, die schon früh von den kunstsinnigen Königen, Bischöfen und Jesuiten des Landes gefördert worden war und über eine prachtvolle, barocke Bibliothek mit mehr als 12.000 Bänden verfügte, die Biblioteca Joanina. Diese war im frühen 18. Jahrhundert von König Joao dem Fünften für seine österreichische Frau Anna Maria nach dem Vorbild der Wiener Hofbibliothek eingerichtet worden. Sie besaß den Ruf, eine der besten historischen Bibliotheken der europäischen Welt zu sein. Lord Wellington hatte so gut wie jedes Werk zuverlässiger Militärhistoriker von der Antike bis zur Neuzeit gelesen, das ihm sprachlich zugänglich gewesen war. In Coimbra hoffte er nun die zu finden, die ihm bislang verschlossen geblieben waren. Sarah erwartete den Ferienmonat genausoungeduldig wie der Ire, obwohl ihre Beweggründe mehr natur- als geisteswissenschaftlicher Art waren. Die medizinische Fakultät der alte Universität besaß den Ruf, zu den führenden Schulen der europäischen Welt zu zählen, und die junge Frau hoffte sehr darauf, daß man ihr gestatten würde, alte Manuskripte zu studieren, die in England nicht mehr existierten, da sie dort der Schreckensherrschaft des Puritaners Oliver Cromwell zum Opfer gefallen waren.
Donna Ines und Don Antonio empfingen ihre Freunde in ihrem wunderbaren alten Landhaus, der Quinta das Lagrimas, die ein wenig außerhalb der Stadt Coimbra selbst lag. Coimbra hatte sich schon früh um Handel und Wissenschaft verdient gemacht und die freien Bürger hatten ein strenges Verbot für Adelige erlassen, sich innerhalb der Stadtmauern anzusiedeln. Vor langer Zeit einmal hatte die Quinta der Universität von Coimbra gehört, dann einem religiösen Orden. In den Besitz der Familie von Don Antonio Maria Osorio Cabral da Gama et Castro war sie durch Zufall irgendwann im frühen 17. Jahrhundert gekommen. Es war ein unsagbar lieblicher Ort, der Arthur und Sarah sofort in seinen Bann zog. Der Garten, er trug den Namen Jardim das Lagrimas, schien verzaubert. Weichen Kieswegen entlang, in denen der Fuß versank, zogen sich Traubenranken durch Orangenbäumen, die von Früchten schwer waren, Palmen und seltene nordische Nadelhölzer, deren Schatten sich sanft miteinander vermischten, säumten das Grundstück. Der botanische Reichtum überwältigte Arthur, der wie viele Iren eine Schwäche für Pflanzen jeder Art hatte: Zedern, Pinien, Efeu, Eichen und Schlinggewächse zogen sein Auge an. Um viele kleine künstliche Teiche wuchsen Bambusstauden und exotische Blumen und Sträucher. Ein Teich war sogar vollständig mit Seerosen zugewachsen, die auf gigantischen tellerförmigen Blättern mit einem breiten Rand blühten. Das Innere der Casa selbst war vollgestellt mit Möbeln aus den unterschiedlichsten Ländern und Epochen. Donna Ines erklärte Sarah und dem General, daß der Urgroßvater ihres Gemahls ein Seefahrer gewesen war, der von seinen abenteuerlichen Reisen auf allen Ozeanen der Welt diese Prachtstücke zurückgebracht hatte. Dann führte sie ihre beiden Gäste über eine doppelläufige Treppe in den zweiten Stock der Quinta, der fast unter einem Holzziegeldach verschwand. „Ihr beide werdet euch hier oben sicher wohl fühlen!” Sie hatte sich mit einem Augenzwinkern an Sarah gewandt. Donna Ines empfand große Sympathie für die junge Ärztin, denn sie selbst entsprach genau so wenig dem Rollenbild der Frau im portugiesischen Hochadel wie Sarah dem im britischen. „Dies ist die Bibliothek und das Studierzimmer des Seefahrer-Urgroßvater meines Mannes. Wir haben Don Migueles Alchimistenhöhle eigentlich immer verschlossen gehalten, doch als Antonio mir erzählt hatte, daß sowohl du, als auch Sir Arthur gewisse Neigungen habt, da haben wir beschlossen, sie aufzuräumen und für euch zu öffnen.” Die Portugiesin erklärte, daß viele der Bücher, die sich in diesen Räumen befanden von der strengen katholischen Kirche ihres Landes mißtrauisch betrachtet und oft sogar als Ketzerwerk gebannt worden waren. „Arthur, du wirst auch einige Dinge finden, die für dich interessant sind! Der verrückte, alte Don Miguele besaß eine umfangreiche Sammlung historischer und nicht ganz so historischer Werke!” Sie griff in einen der schweren Eichenschränke und zog eine uralte, schwere, in Leder gebundene „La Table d’Emeraude“ hinter anderen eingestaubten Lederbänden hervor. Dann drückte sie den Band mit einem schelmischen Lächeln in die Hand des Generals. Der Ire starrte das Buch an. Er hatte von diesem Werk nur gehört, es aber noch nie in der Hand gehalten – ein Alchimistenbuch, sonderbar verschlüsselt. Man sagte, wer den Code knackte, der würde Gold herstellen können – Freimaurerlektüre. Arthur hätte es nie offen zugegeben, aber diese Geschichten faszinierten ihn fast genau so wie militärhistorische Werke, und er hatte auch in Tomar seine Nase klammheimlich in manch sonderbaren Band gesteckt, den er in der Bibliothek ausgrub. Lady Lennox und Donna Ines betrachteten den Offizier. Beide schüttelten fast gleichzeitig den Kopf. Die Portugiesin legte ihren Arm um Sarahs Schulter und schob sie durch die Tür, wieder hinaus ins Freie: „Lassen wir ihn mit dem alten staubigen Papier ein wenig alleine. Wir beide werden uns jetzt zusammen in die Sonne setzten und eine schöne Tasse Kaffee trinken. Antonio holt unsere Freunde zusammen. Heute Abend möchten wir alle gemeinsam den letzten Tag des Jahres feiern – Nochevieja – und morgen dann Ano Novo, das neue Jahr. Du wirst sehen, meine Liebe, es ist ein fröhliches Fest und es wird euch beiden sicher Spaß machen, die Bräuche unseres Landes besser kennen zu lernen. Vom 24. Dezember bis zum 17. Januar ist hier eigentlich alles nur Feiern und Kurzweil!”
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