Eine Weile später klopfte es an der Tür und Snowflake seufzte. Wie es schien, war ihre Schonfrist vorbei. Früher als erhofft.
»Herein«, rief sie.
Kaum hatte sie die Aufforderung einzutreten ausgesprochen, wurde die Tür geöffnet und Juna steckte ihren Kopf ins Zimmer.
»Sei gegrüßt, Snow«, sagte sie förmlich.
»Hallo Juna. Hat dich meine Patin gesandt, um mich zu holen?«, wollte Snowflake wissen.
»Nein, sie hat mich geschickt, um dir zu helfen, dich für das Winterfest und den Ball zurechtzumachen.«
»Ah, sie will mich besonders präsentabel haben.« Snowflake verzog missmutig das Gesicht. »Ich komme mir wie ein Stück Ware vor, das an den Meistbietenden verkauft werden soll.«
»Sie meint es doch nur gut mit dir.«
»Mag sein.«
»Manchmal bist du wirklich undankbar«, sagte Juna verärgert.
»Wieso das?«, fragte Snowflake überrascht.
»Dir fällt alles in den Schoß. Jeder reißt sich ein Bein aus, um es dir recht zu machen und dir behilflich zu sein. Du musst dich um nichts kümmern. Und was tust du? Dich beklagen. Ständig.«
»Das mache ich doch gar nicht.«
»Ach ja? Das sehe ich aber ganz anders. Immerhin hat deine Patin dafür gesorgt, dass du eine gute Partie bist, und einen Prinzen für dich ausgesucht, nach dem sich jede Frau verzehrt.«
Snowflake stutzte und es fiel ihr wie Schuppen von den Augen. Hörte sie da etwa Eifersucht heraus? Ging es darum?
Sie ergriff die Hand ihrer Freundin. »Sei ehrlich zu mir: Bist du in Ayris verliebt?«
Juna sah aus, als wollte sie etwas sagen, schloss aber den Mund und nickte unglücklich.
»Ich wusste nichts davon, dass du Gefühle für ihn hegst. Ehrlich. Hätte ich es geahnt, hätte ich doch nie so abfällig über ihn gesprochen. Es tut mir leid. Ich wollte dich niemals verletzen. Das musst du mir glauben. Was kann ich tun, um dir zu helfen?«
»Du kannst mir nicht helfen. Er ist ein Prinz und ich bin nur eine einfache Zofe.« Eine Träne rollte über Junas Wange. »Für ihn bin ich unsichtbar. Egal wie sehr sich mein Herz auch nach ihm sehnt.«
»Das weißt du doch gar nicht«, versuchte sie ihre Freundin zu trösten.
»Natürlich. Anders kann es gar nicht sein. Er ist der zukünftige König von Sommer und wird eine Prinzessin heiraten, so wie es seinem Stand entspricht.«
»Das werde aber ganz sicher nicht ich sein.« Snowflake schnaubte. »Entschuldige. Ich kann ihn nicht ausstehen. Er wäre niemals der Richtige für mich.«
»Weil du einfach seine verletzliche Seele nicht erkannt hast.«
Sie wagte zu bezweifeln, dass er so etwas besaß, doch Snowflake biss sich auf die Zunge, um nicht Gefahr zu laufen, etwas darauf zu erwidern und Juna von Neuem zu verärgern. Immerhin hatte die Zofe ihr ihren größten Herzschmerz anvertraut. Da sie noch nie wirklich verliebt gewesen war, konnte Snowflake nur erahnen, was in ihrer Freundin vorging, seit sie erfahren hatte, dass er eine andere heiraten sollte. Sie wäre sicherlich genauso unglücklich wie Juna.
»Ich werde versuchen dir zu helfen.«
»Wie willst du das anstellen? Es gibt keine Möglichkeit.«
»Seit wann bist du so pessimistisch?«
»Seit mein Herz gebrochen wurde.«
»Dann werden wir es wieder heilen, indem wir dich mit dem Prinzen vereinen.«
»Und wie willst du das machen?«
»Das weiß ich noch nicht, aber es wird mir schon etwas einfallen.« Hoffe ich zumindest , fügte sie in Gedanken hinzu.
Juna fiel ihr um den Hals. »Danke.«
»Ich kann dir nichts versprechen.«
»Aber du willst es versuchen. Das ist schon mehr, als ich zu hoffen wagte.« Sie seufzte. »Es tut mir leid, wie zickig ich mich verhalten habe.«
»Mir tut es leid, dass ich nicht bemerkt habe, wie es um dein Herz steht.«
Juna schniefte noch einmal, löste sich aus der Umarmung und fuhr sich mit der Hand über die Augen.
»Alles wieder gut zwischen uns?«, fragte Snowflake.
»Ja«, erwiderte Juna und lotste ihre Freundin hinüber zum Frisiertisch, wo sie sie zwang, sich hinzusetzen. Dann nahm sie die Bürste und begann mit kräftigen, gleichmäßigen Strichen durch Snowflakes langes Haar zu fahren.
»Ich wünschte, meine Locken hätten dieses wunderschöne Silberblond«, schwärmte sie. »Stattdessen sind sie langweilig braun.«
»Ich finde es wunderschön. Es passt gut zu deinen grauen Augen.«
»Wahrscheinlich würde ich dem Prinzen mehr auffallen, wenn ich so aussähe wie du.«
Snowflake entgegnete nichts darauf. Die Farbe ihres Haares hatte schon zu oft für Gesprächsstoff gesorgt. Keiner der anderen Einwohner Winters hatte ein solch helles Blond. Sie war die Einzige. Die meisten hatten ohnehin braunes oder schwarzes Haar. Eine Ausnahme zu sein, war nicht unbedingt immer vorteilhaft, denn es trug einem mehr Aufmerksamkeit ein, als einem lieb sein konnte. Besonders in Winter. Als ob Prinzessin zu sein allein nicht reichte.
»Ich denke, eine hübsche Hochsteckfrisur wäre genau das Richtige«, meinte Juna, nahm ein paar Strähnen und hielt sie hoch.
Snowflake zuckte mit den Schultern. »Was immer du sagst. Ich überlasse es ganz dir und deinen fähigen Händen. Was immer du tust, wird besser aussehen als das, was ich zustande bringe.«
Ein Strahlen breitete sich auf Junas Gesicht aus und sie machte sich eifrig an die Arbeit. Snowflake schloss die Augen und ließ das Ganze über sich ergehen. Das fröhliche Geplauder ihrer Freundin rauschte an ihr vorbei, ohne dass sie wirklich zuhörte. Offen gestanden versuchte sie an rein gar nichts zu denken und ihrem Geist eine kleine Verschnaufpause zu gönnen.
Eine gefühlte Ewigkeit später war Juna mit ihrem Werk fertig. Sie hatte Snowflake nicht nur frisiert, sondern auch geschminkt. Mittels Magie hatte Juna Diamantenstaub herbeigezaubert und auf ihren Augenlidern und ihrem Dekolleté verteilt, sodass es glitzerte und schimmerte. Als Snowflake die Augen öffnete und sich im Spiegel betrachtete, erkannte sie sich selbst fast nicht wieder. Sie sah schön aus, auch ein wenig fremd und tatsächlich wie eine Prinzessin. Ihr Haar glänzte und war zu einer aufwendigen, aber nicht protzigen Frisur hochgesteckt und mit glitzernden Schneeflocken geschmückt. Ihre blauen Augen strahlten.
»Wie findest du es?«, fragte Juna mit hoffnungsvoller Stimme.
»Es ist wunderschön«, sagte Snowflake ehrlich und blickte noch einmal auf die ihr fremde Person im Spiegel. »Besser, als ich es mir hätte träumen lassen.«
Juna lächelte und ihre Wangen röteten sich leicht. »Dann werde ich dir mal in dein Kleid helfen, denn es ist schon bald an der Zeit hinunterzugehen. Bei allen Schneeflocken, du wirst die Schönste auf dem Winterfest sein. Keiner der Anwesenden wird seinen Blick von dir abwenden können.«
Snowflake verzog das Gesicht. »Ich lege keinen besonderen Wert darauf, irgendjemandem zu gefallen. Am allerwenigsten einem Mann und noch weniger einem Prinzen«, murmelte sie, woraufhin Juna ihr einen missbilligenden Blick zuwarf, da sie die Worte verstanden hatte, so leise sie auch aus ihrem Mund gekommen waren.
»Du solltest den edlen Herren wirklich eine Chance geben«, tadelte Juna. »Wer weiß, vielleicht ist es gar nicht so schlimm, wie du denkst. Irgendwann wirst du heiraten müssen.«
Snowflake schnaubte wenig prinzessinnenhaft. »Das glaube ich kaum. Nun gut, vielleicht irgendwann. Wenn der Richtige kommt. Derjenige, den mein Herz als den Einzigen erkennt.«
Statt etwas darauf zu erwidern, nahm Juna ehrfurchtsvoll Snowflakes Kleid vom Bett, auf dem sie es abgelegt hatte, und hielt es hoch, damit die Prinzessin es betrachten konnte.
»Ist es nicht atemberaubend?«, fragte Juna schwärmerisch. »Ich glaube, ich habe noch niemals zuvor ein schöneres Ballkleid gesehen.«
Das war es in der Tat. Es war aus mehreren Schichten feinster eisblauer Seide gefertigt. Der Saum des langen Rockes und das Mieder waren mit Schneeflocken aus Silberfäden filigran bestickt. Die Schneiderin und ihre Gehilfinnen hatten sich wirklich selbst übertroffen.
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