Die Küchenmägde und Köche grüßten sie, und Snowflake erwiderte die Grüße, während sie überlegte, ob sie sich ein Küchlein stibitzen oder lieber etwas von dem frisch gebackenen Brot nehmen sollte. Die Verlockung durch das Süße war eindeutig größer. Also ging sie hinüber zu den Bäckern, wo die Küchlein zum Auskühlen auf den Tischen standen.
»Prinzessin Snowflake«, schimpfte Bertha, die erste Hofbäckerin, und gab ihr einen Klaps auf die Finger, »nehmt gefälligst Eure Hände weg von meinen Kuchen. Die sind nicht für Euch.«
»Ich habe Hunger«, protestierte Snowflake halbherzig.
»Dann besorgt Euch Brot. Das wird Euch sättigen. Und hört auf, Euch an meinem Gebäck zu vergreifen.« Sie winkte die Prinzessin fort. »Husch, geht schon, ich habe zu tun. Die Vorbereitungen für das Fest erledigen sich nicht von allein und Ihr stört mich dabei. Sollte ich Euch noch einmal hier bei mir erwischen, könnt Ihr Euch auf einen weiteren Klaps auf die Finger gefasst machen.«
»Wie kannst du nur so hartherzig zu mir sein?«
»Ihr werdet es überleben. Und nun weiter mit Euch.«
Ergeben trollte sich Snowflake, während ein Lächeln ihre Mundwinkel umspielte, und besorgte sich an anderer Stelle einen Kanten frisch gebackenen Brotes, dessen Kruste herrlich krachte. Im Gehen biss sie hinein und setzte ihren Weg zum Festsaal fort. Als Snowflake um die nächste Ecke bog, hörte sie jemanden ihren Namen rufen. Irritiert blieb sie stehen und drehte sich um. Juna, die Snowflake von Kindesbeinen an kannte und ebenso lange mit ihr befreundet war, kam auf sie zugeeilt.
»Snow, gut, dass ich dich treffe«, rief sie aufgeregt und ein wenig außer Atem.
»Ist etwas passiert?«
Juna blieb neben Snowflake stehen und strahlte übers ganze Gesicht. »Weißt du, was ich gerade erfahren habe?«
»Nein«, erwiderte Snowflake schulterzuckend, »aber sicher wirst du es mir gleich sagen.« Geheimnisse und Neuigkeiten waren nun wirklich nichts, was Juna lange für sich behalten konnte.
»Der Prinz aus Sommer kommt zum Winterfest«, platzte es da auch schon aus ihr heraus. »Ist das nicht herrlich?«
Überrascht sah Snowflake sie an. »Prinz Ayris? Wirklich? Wieso sollte er das tun?«
»Weil deine Patin ihn eingeladen hat«, erklärte ihre Freundin und sah dabei reichlich selbstzufrieden aus, wie eine Katze, der es gelungen war, an einem Topf Sahne zu schlecken. Junas hübsches Gesicht verzog sich zu einem verträumten Lächeln und sie schürzte ihre vollen roten Lippen, als dächte sie darüber nach, wie es wäre, einen Prinzen zu küssen.
Snowflake hätte sich beinahe an ihrem letzten Stück Brot verschluckt, musste husten und runzelte die Stirn. Sehr merkwürdig. Zum Winterfest waren bisher noch nie Gäste aus anderen Königreichen eingeladen worden. Weshalb also jetzt? Und wieso ausgerechnet der Prinz aus Sommer? Diesem arroganten und selbstverliebten Kerl war sie schon das eine oder andere Mal bei offiziellen Anlässen begegnet, und sie konnte ihn beim besten Willen und trotz aller Bemühungen nicht ausstehen. Er mochte durchaus attraktiv sein, so genau wollte sie sein Äußeres nicht beurteilen, doch er war ganz bestimmt nicht das einzig wahre Geschenk an die Weiblichkeit, für das er sich hielt. Genauer betrachtet war er ein blasierter Einfaltspinsel mit einer Vorliebe für die Jagd, der sie von oben herab behandelte. Beim letzten Ball, bei dem sie sich begegnet waren, wurden sie von allen Seiten dazu gedrängt, miteinander zu tanzen, bis sie schließlich nachgaben. Ganz eindeutig war von ihrer Seite aus eine Menge Widerwillen dabei gewesen, als sie die Hand ergriff, die er ihr entgegenstreckte, und er sie zur Tanzfläche führte. Natürlich hatte er von der Prophezeiung um Snowflake gehört. Wer hatte das nicht? Es war weithin bekannt. So ließ sich wahrscheinlich der Blick erklären, den er ihr zuwarf und der nicht von höflicher Neugier, sondern vielmehr von Ablehnung zeugte.
»Tja, mit einem Makel wie dem Euren werdet Ihr wohl nie einen Gemahl finden«, sagte er in überheblichem Tonfall. »Bedauerlich, da Ihr durchaus hübsch anzusehen seid. Was für eine Verschwendung von gutem Aussehen und tadellosen Manieren. Ihr wärt sonst die Zierde eines Mannes, wenn Ihr nicht von einem solchen Stigma gezeichnet wärt.«
»Oh, Ihr solltet froh sein, dass ich bereits vor einer ganzen Weile gelernt habe, meine Magie unter Kontrolle zu halten. Nicht, dass ich Euch noch versehentlich in eine Kröte verwandle«, erwiderte sie zuckersüß und trat ihm, natürlich rein versehentlich, auf den Fuß, wofür sie sich wortreich entschuldigte.
»Ich dachte, Ihr verfügt über keine Magie«, hatte er entgegnet.
»Natürlich tue ich das. Über ein außergewöhnliches Maß sogar. Man lässt nur alle in dem Glauben, es wäre nicht so, um ihnen keine Angst einzujagen.«
Der Gedanke an seinen verkniffenen Gesichtsausdruck brachte sie auch jetzt noch zum Grinsen. Natürlich hatte sie ihm verschwiegen, was sie selbst erst vor einiger Zeit erfahren hatte: Ihre Magie war versiegelt worden, als sie noch ein Säugling war, sodass sie diese nicht unbeabsichtigt freisetzen konnte. Dennoch hatte sie stets mit der Prophezeiung im Rücken gelebt, eine der größten Gefahren für das Königreich Winter zu sein.
Seit einiger Zeit bemerkte sie, wie das Siegel zu bröckeln begann, von dem Meister Lotan vor ein paar Jahren gesprochen hatte, als sie zufällig ein Gespräch zwischen ihm und ihrer Patin belauschte. Es kam ihr so vor, als kribbelte die Magie unter ihrer Haut, fast als wäre sie lebendig und wollte an die Oberfläche dringen.
Wahrscheinlich hätte er sie noch abstoßender gefunden, hätte er es gewusst. Sie konnte nur ahnen, was in ihr schlummerte, doch ihrem Gefühl nach zu urteilen, musste es mächtig sein.
Ausgerechnet dieser Kerl sollte zum Winterfest kommen? Was hatte sich ihre Patin nur dabei gedacht?
»Du hörst mir überhaupt nicht zu«, beklagte sich Juna und riss Snowflake damit aus ihren Gedanken.
»Entschuldige«, murmelte sie. »Was hast du gesagt?«
»Prinz Ayris wird ganz bestimmt die strahlendste Persönlichkeit auf dem ganzen Fest sein. Er ist so wundervoll und gut aussehend. Hast du etwa vergessen, wie stattlich er bei dem Ball damals ausgesehen hat? Jede Frau und jedes Mädchen fand ihn überaus attraktiv. Wie die blonden Locken sein Gesicht umschmeichelt haben. Am liebsten würde man mit den Fingern hindurchfahren. Er ist ein unglaublich toller junger Mann«, schwärmte sie verträumt. »Leider wird er mich wohl keines Blickes würdigen«, seufzte Juna. »Schließlich bin ich nur eine Zofe deiner Patin. Außerdem kommt er wegen dir nach Winter.«
Snowflake schnaubte. »Er hält mich aufgrund der Prophezeiung für seiner unwürdig. Das hat er mir mehr als deutlich gezeigt.« Plötzlich stutzte sie. »Was meinst du damit, er kommt wegen mir?«, fragte sie argwöhnisch.
»Wie es scheint, wünscht die Regentin eine engere Verbindung zwischen Sommer und Winter. Und wie sollte es einfacher gehen als durch die Heirat der Erben beider Königreiche?« Junas Stimme wurde immer leiser, als sie den entsetzten Gesichtsausdruck der Prinzessin bemerkte.
»Meine Patin will was? « Snowflake klang beinahe hysterisch. »Sie will mich mit diesem Idioten verheiraten?«
»Sagt deine Patin nicht immer, dass es kein Leben ohne Verpflichtungen gibt? Deine sind eben anders als jene der übrigen Menschen des Königreiches.« Sie zog eine leichte Grimasse. »Zumindest verloben sollt ihr euch, um das Bündnis zu festigen. Als eine Art Vertrag. Das ist es, was ich gehört habe. Und er ist wirklich hübsch anzusehen.«
»Kein guter Trost, Juna.« Snowflake blickte finster drein. »Nur weil du ihn attraktiv findest, heißt das noch lange nicht, dass dadurch sein schlechter Charakter und seine Borniertheit ausgeglichen werden. Ich heirate ihn auf gar keinen Fall. Politische Gründe und Prophezeiung hin oder her.«
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