Offiziell waren wir wegen eines Einbruches in seinem Privathaus hier, den es natürlich nicht gab. Ich eröffnete das Gespräch und nahm mir vor, nicht allzu viel Vertrautheit entstehen zu lassen. Außerdem wollte ich keinen Zweifel daran aufkommen lassen, wobei José und ich mitspielen würden und wobei nicht.
"Señor Valdez, Sie haben schwerwiegende Anschuldigungen gegen Ihren Chef erhoben. So schwerwiegend, dass die Bürgermeisterin ein öffentliches Interesse darin sieht und der Polizeichef eine Ermittlung eingeleitet hat. Ich hoffe, Sie können Ihre Anschuldigungen begründen. Dazu sind wir hier. Comisario Principal Victor Carrasco, mein Kollege Inspector Solá." José nickte Valdez zu.
"Ich fürchte, das gibt es nicht viel zu begründen und Anschuldigungen habe ich nicht erhoben, jedenfalls nicht direkt. Die Bürgermeisterin hatte mich gefragt, ob es möglich wäre, aus dem Haushalt des Senders Geld abzuzweigen, ohne dass es auffallen würde. Ich habe dies bejaht. Und ich habe ihr gesagt, dass man dazu sehr weit oben in der Hierarchie angesiedelt sein müsste, wenn es mehr als Kleinbeträge sein sollen und wenn es regelmäßig passieren soll."
"Hat denn die Bürgermeisterin einen Grund gehabt, danach zu fragen? Warum hat sie Sie gefragt, Señor Valdez? Sie sind doch selbst hoch genug in der Hierarchie angesiedelt?" José hatte offenbar verstanden, wohin das Gespräch führen sollte.
"Die Bürgermeisterin weiß um die Lebensweise von Yago Sánchez. Da muss man doch nur eins und eins zusammenzählen."
Dieser hinterhältige Hund. Die gesamte Konstruktion einer angeblichen Veruntreuung war offensichtlich von vorne bis hinten abgekartet. Da berief sich einer auf den anderen, ohne dass es etwas Greifbares gab. Genau so, wie beim Finanzamt und der angeblichen Steuerhinterziehung.
"Señor Valdez, Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass allein das Zusammenzählen von eins und eins zu einem Verdacht auf Veruntreuung führt. Haben Sie denn wenigstens Hinweise darauf, dass Geld fehlt? Die Schulden des Senders werden doch sicher nicht allein durch Diebstahl von Geld zustande gekommen sein." Mir platzte langsam aber sicher der Kragen.
"Der Sender ist eine privatrechtliche Gesellschaft und prüfungspflichtig. Außerdem müssen wir über die erhaltenen Subventionen gegenüber der Stadtverwaltung Rechenschaft ablegen. Wir sind also verpflichtet, unseren Jahresabschluss von einem externen Prüfer bestätigen zu lassen. Bei der letzten Abschlussprüfung wurden Ungereimtheiten festgestellt. Der Prüfer ist diesen für die Vorjahre nachgegangen und konnte sie über drei Jahre zurück verfolgen. Was davor war, wissen wir nicht, da waren wir noch nicht prüfungspflichtig und hatten auch eine andere Datenverarbeitung. Viele Vorgänge aus dieser Zeit lassen sich nicht mehr vollständig rekonstruieren."
"Was sind das für Ungereimtheiten? Fehlt Geld oder fehlt kein Geld?"
Valdez wurde unsicher. "Das kann ich ehrlich gesagt nicht ganz und gar erklären. Es gibt sowohl Geldabflüsse wie auch Geldzuflüsse auf Konten, zu denen es keine Belege und auch keine erkennbaren Leistungen gibt. Nimmt man allein die in Frage kommenden Geldabflüsse über die letzten drei Jahre, dann ist es ein siebenstelliger Betrag - pro Jahr. Macht man dasselbe mit den Geldzuflüssen ohne Beleg oder Leistung, dann ist es fast dasselbe, in Summe sind diese Zuflüsse sogar etwas höher als die Abflüsse."
José konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. "Mit anderen Worten, es fehlt Ihnen kein Geld, Sie haben zu viel. Und Sie wissen auch nicht, warum. Worin liegt da die Veruntreuung?"
"So kann man das nicht sehen, Inspector. Wir können zwar die genannten Geldzuflüsse nicht erklären, trotzdem wurde Geld im großen Stile auf uns unbekannte Konten verschoben. Letzteres ist für sich allein doch ein Anfangsverdacht."
An beiden Standpunkten war etwas dran. Ich blickte nicht durch. "Also, wenn ich es recht verstehe, dann ist Ihre Buchhaltung nicht in dem Zustand, in dem sie sein sollte. Sie können auch einen Teil der Geldbewegungen auf Ihren Konten nicht erklären. Entweder stimmt Ihre Buchhaltung nicht oder Ihre Konten stimmen nicht oder beides ist falsch. Und wenn es überhaupt eine Veruntreuung war, dann haben Sie auch keinen Hinweis darauf, durch wen. Sehe ich das richtig?"
"Das sehen Sie fast richtig, Herr Hauptkommissar. Alle Zahlungsanweisungen wurden von Sánchez selbst unterschrieben und es waren Empfängerkonten dabei, die keinem unserer Geschäftspartner zuzuordnen waren."
Ich versuchte mir vorzustellen, wie es mir beim Abzeichnen irgendwelcher Zahlungsanweisungen ergehen würde. "Waren die betreffenden Zahlungen denn irgendwie ungewöhnlich, also waren das sehr hohe Einzelbeträge oder ausländische Konten? Hätte man beim Unterschreiben merken müssen, dass etwas mit diesen Zahlungen nicht stimmen könnte?"
"Zahlungen werden ja heutzutage nicht mehr auf Papier freigegeben, sondern elektronisch. Und auch nicht einzeln. Man gibt in der Regel eine ganze Buchungsliste frei. Kann theoretisch schon sein, dass da mal etwas durchrutscht. Aber regelmäßig? Das kann ich mir nicht vorstellen. Ein Vieraugenprinzip haben wir jedenfalls nicht."
Mit anderen Worten: Sánchez war verantwortlich, wenigstens im formalen Sinn. Ob er tatsächlich in allen Einzelfällen wusste, was er da freigab oder ob er wissentlich veruntreut hatte, war so einfach nicht festzustellen. Man musste den Zahlungen nachgehen. Bis hierhin erschien mir die Sache reichlich dünn. "Was unternehmen Sie in Bezug auf die unerklärlichen Zahlungen, Señor Valdez?"
"Wir können ja selbst nur unsere eigenen Unterlagen und Konten prüfen, da sind wir noch dran. Ich fürchte aber, wenn wir weiterkommen wollen, müssten die Zahlungswege durch die Polizei rekonstruiert werden. Wir können allein keinen Bewegungen auf fremden Konten nachgehen."
Wenigstes da hatte er recht, das ging nur über ein Ermittlungsverfahren und damit über eine Anzeige. Es gab also nichts Konkretes und keine direkten Anschuldigungen, aber Erklärungsbedarf. Dasselbe wie in der Steuersache. Nichts Halbes und nichts Ganzes, aber auch nicht einfach zu ignorieren. "Eine Anzeige können Sie natürlich jederzeit stellen."
"Wir würden es begrüßen, wenn die Polizei vielleicht erst einmal ermittelt, ob unser Verdacht gegen Señor Sánchez bestätigt werden kann. Es wird sonst vielleicht viel Staub umsonst aufgewirbelt." Valdez lächelte unschuldig. Auch er hatte getan, was er tun sollte.
"Wir werden die Ermittlungen aufnehmen und mit Yago Sánchez sprechen. Natürlich ermitteln wir auch in alle anderen Richtungen. Solange es keinen Tatverdächtigen gibt. Jeder, der hoch genug in der Hierarchie des Senders steht, ist potenziell verdächtig. Auch Sie, Señor Valdez. Sie sollten sich auch darüber im Klaren sein, dass der Fall durch unsere Ermittlungen öffentlich wird, mindestens Sánchez gegenüber."
"Die Bürgermeisterin hat mir versprochen, mich rauszuhalten. Und wenn Sie ohnehin in alle Richtungen ermitteln, lässt sich das doch bestimmt auch gegenüber Sánchez so darstellen. Halten Sie mich da raus, Carrasco."
"Was glauben Sie denn, was wir Sánchez erzählen sollen, wer uns die Veruntreuung gezwitschert hat? Wenn er's nicht selbst war, kommen doch nur Sie in Frage."
"Und die Bürgermeisterin. Sie hat Einblick in alle Prüfberichte und ist offiziell informiert."
Na reizend, das lief, wie nicht anders zu erwarten. Alles gut eingefädelt und in die bewährten Hände der Polizei gelegt. Wenn an all dem nichts dran war, würde ich mir Villar vorknöpfen. Mindestens ihn.
Für den Moment ließ ich es erst einmal gut sein, Valdez war ohnehin nur ein Erfüllungsgehilfe wie José und ich. Der hatte natürlich auch eigene Interessen, war aber nicht die treibende Kraft.
"Wir werden unser Möglichstes tun." Es gab zwar keinen Grund, unsere Informationsquellen vor Sánchez offen zu legen, im Gegenteil. Ich blieb aber trotzdem bewusst unverbindlich gegenüber Valdez, mir gefiel der Kerl nicht. "Sie können uns abschließend noch einen Gefallen tun, Señor Valdez." Mal sehen, wie er damit umging. "Wir würden uns gerne ansehen, wie der Sendebetrieb abläuft, also das Technische hinter den Redakteuren. Können Sie vielleicht so eine Art Führung organisieren?"
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