"Krise haben wir aus ganz anderen Gründen, José. Aber du hast trotzdem recht. Steuermoral hängt auch mit Bestechlichkeit, Spekulantentum und Vetternwirtschaft zusammen. Die selbstsüchtige Haltung von Amtsträgern ist doch zum Kotzen. Im Rathaus machen sie, was ihnen passt und zum eigenen Nutzen ist, Polizei und Behörden machen aus Opportunität und eigenem Vorteil dabei mit und wir sind die Handlanger dabei. Dürfen uns vielleicht über die herrschende Unmoral aufregen, sollen aber ansonsten funktionieren."
"Vic, so hatte ich das heute bei Villar gar nicht gesehen. Ob Sánchez eine Schuld trägt oder nicht, ist ja eine Sache. Etwas anderes ist es mit der Willkür und den Seilschaften in den Führungsetagen. Wir hätten den Fall ablehnen sollen."
"Na ja, das war kaum möglich und eine Ermittlung ist trotz aller Manipulationen vielleicht sogar berechtigt. Dabei bleiben wir zwar die Erfüllungsgehilfen von Strippenziehern, können aber wenigstens ordentlich und fair vorgehen. Wenn es am Ende zu einer berechtigten Anschuldigung kommt, muss uns die Vorgeschichte egal sein. Erweist sich dagegen alles als Luftblase, dann können wir wenigstens einem unschuldigen Bürger die Meute vom Hals halten."
Ich war jetzt froh, dass José mich heute Morgen bei Villar gebremst hatte und es nicht zum Eklat gekommen war. Den Zeitpunkt meines Ausscheidens würde ich mir überdies lieber selbst aussuchen und bis dahin machte ich erst einmal meine Arbeit.
José und ich verabredeten uns für den nächsten Morgen im Sender, zum Gespräch mit Valdez.
*
Der Tag hatte mich mehr mitgenommen, als ich morgens noch glaubte. Ich stiefelte die Treppe zu meiner Wohnung hinauf, riss die Balkontüren auf, setze mich mit einem Gin Tonic in meinen Sessel und blickte über die Plaza Redonda und die Altstadt in den Nachthimmel Valencias. Immerhin war ich mit José wieder im Reinen, was diesen Fall anbetraf. Mir reichten Rica Martínez und Pablo Villar als Gegenspieler völlig aus. Wenigstens mit ihm wollte ich mich gut verstehen und eine entspannte Zusammenarbeit haben. Trotzdem hingen mir die Ereignisse des Tages nach. Musste dringend abschalten. Bis vor meinem Unfall war ich regelmäßig zum Fußballtraining gegangen. Dafür war ich noch nicht wieder fit genug. Schwimmen ging aber gut. Ich nahm mir vor, am Wochenende zum Strand hinunter zu fahren. Für heute musste ich mir etwas anderes überlegen. Hunger hatte ich auch.
Meinen Kühlschrank füllte ich regelmäßig bei Einkäufen im Mercado Central um die Ecke. Kochen war nicht unbedingt mein Hobby, aber die frischen, appetitlichen Gemüse-, Käse-, Fisch- und Fleischangebote der Händler überwältigten mich jedes Mal aufs Neue. Ich kaufte oft, was mir im Mercado schon Appetit machte, ohne zu wissen, was ich daraus später machen würde. Meine Kochkünste waren eher schlicht, mit den frischen Lebensmitteln konnte man allerdings auch nicht viel verkehrt machen.
Ich öffnete den Kühlschrank und fand Manchego-Käse und Chorizo, außerdem Paprika, Tomaten und Zucchini. Zwiebeln, Oliven und Knoblauch hatte ich sowieso immer. Der Fall war klar, immerhin dieser. Das Gemüse wurde gewaschen, geviertelt und in Öl angedünstet. Nach kurzer Zeit kamen Tomaten, Knoblauch, Oliven und Chorizo dazu. Würzen, kurz ziehen lassen und zum Schluss mit reichlich Manchego-Streifen bedecken. Der Käse war kräftig und gab dem Ganzen ordentlich Körper. Nach zehn Minuten im Ofen war er schon geschmolzen. Ich schnitt das Brot. Wenn ich jetzt noch etwas von dem Paternina Banda Azul fand, war der Abend gerettet. Ich mochte die Mischung aus Tempranillo- und Garnacha-Trauben. Ein leichter Wein, mit seiner milden Würze aber trotzdem kräftig genug. Mit dem Essen und dem Wein wanderte ich zurück in Richtung Balkon und begann zu essen.
Ich genoss mein Mahl und inzwischen auch das Alleinsein. Seit sich Isabel vor inzwischen zwei Jahren aus unserer gemeinsamen Wohnung verabschiedet hatte, war meine Stimmung abends oft wechselhaft gewesen. Wir hatten uns im Streit getrennt, sie hatte einen Surfer aus Tarifa für spannender als mich gehalten. Damit konnte ich am Ende leben, sogar schneller, als ich anfangs dachte. Es fühlte sich danach für mich aber lange irgendwie nicht richtig an, allein zu leben und diesen Zustand auch noch zu genießen. Meine Ambitionen, jemanden Neues kennenlernen zu wollen, gingen jedenfalls gegen null. Ich entwickelte mich zwar nicht gerade zu einem Eremiten. Dafür waren meine Sozialkontakte zu vielfältig und die Tage zu ausgefüllt. Ich merkte aber, dass sich das Alleinwohnen fast schon zu einem Lebensprinzip entwickelt hatte. Wie sollte ich jemals wieder mit einem Partner zusammenleben können? Musste oder wollte ich das überhaupt? Eine Familie mit Kindern war nicht meine Sache. Aber wer wusste schon, ob es das Alleinleben bleiben würde.
Dieses Stadium der Grübelei hatte ich jetzt hinter mir, vielleicht war es auch nur eine Spätfolge von Isabels Auszug gewesen. Ich war mit meinem Leben, so wie es jetzt war, zufrieden, machte mir kein Kopfzerbrechen mehr über vielleicht verlorene Chancen oder Entwicklungen in der Zukunft und ließ den Dingen ihren Lauf.
Einzig das Berufliche ließ sich nicht länger so einfach hinnehmen, da musste etwas passieren. Salva hatte recht. Aus einer konfrontativen Situation heraus würde ich nie kündigen. Das musste vorher entschieden sein und vor reinem Tisch, am besten ohne laufenden Fall, durchgeführt werden. Eigentlich war genau jetzt der Moment für eine solche Entscheidung, die ich später nach Abschluss des Falles Sánchez umsetzen könnte. Was hatte mich in der Vergangenheit davon abgehalten? Einkommen und berufliche Absicherung bestimmt nicht. Vielleicht das Bewusstsein, dass es keinen Rückweg gab? Das machte die Sache irgendwie endgültig, konnte letztlich aber doch kein Grund sein. Wahrscheinlich musste der Druck einfach nur groß genug werden, die Sache endlich anzugehen. Musste das Unbehagen nachhaltig genug sein, um sich nicht von der Routine des Alltags und der bequemen Berechenbarkeit des nächsten Tages einlullen zu lassen. Insofern konnte ich die aktuelle Situation sogar produktiv nutzen. Sie könnte mein Sprungbrett in die Selbständigkeit werden.
Der Sender hatte seinen Sitz nordwestlich direkt hinter dem Stadtrand Valencias. José hatte ein Auto von der Fahrbereitschaft organisiert und mich zu Hause abgeholt. Nach zwanzig Minuten waren wir in Burjassot, einem Städtchen mit knapp 40.000 Einwohnern und einem Stadtbild aus alten Gebäuden, Brunnen und Gärten, das mir gut gefiel. Die Zentrale des Senders wirkte mit seiner modernen Architektur aus Stahl, Glas und reichlich Beton wie ein Fremdkörper.
"Hast du einen Plan, wie wir vorgehen?", wollte José auf dem Weg zum Empfang wissen.
"Wir hören uns seine Geschichte an, was sonst? Vielleicht lässt er uns anschließend noch einen kleinen Rundgang machen. Würde mich interessieren, was die hier mit ihrer teuren Technik eigentlich machen."
Das Büro von Valdez lag im obersten Stock eines röhrenförmigen Gebäudes. An dessen Außenseite konnte man auf hinter Glas liegenden, umlaufenden Stahlstegen entlang gehen und über Valencia hinweg bis hinunter zum Meer sehen. Valdez' Zimmer war groß und hell, die Einrichtung war modern und sah teuer aus. Valdez selbst erschien mir wie das ganze Gegenteil vom Polizeichef. Groß und breitschultrig, dabei aber schlank und durchaus gut aussehend. Sonnengebräunt und im edlen Zwirn erhob er sich selbstbewusst, sobald José und ich eingetreten waren. Der Mann passte perfekt in seine Umgebung. Er streckte uns seine Hand entgegen und verwies auf die Sitzgruppe an der bodentiefen Fensterfront.
"Ich hoffe, Sie haben gut hergefunden. Enrique Valdez, Vize-Chef des Senders." Er setzte sich. "Vielen Dank dafür, dass Sie unsere kleine Finte mitspielen. Die Sache ist ja auch etwas heikel. Kaffee?"
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