"Das ist nicht der Punkt. Ich finde Deine Arbeit nicht banal. Ich würde auch gerne mit dir arbeiten. Auf der anderen Seite bin ich aber auch immer gerne Polizist gewesen, jedenfalls früher. Es ist weniger geworden, stimmt, aber es fällt mir schwer, das hinter mir zu lassen. Vielleicht fehlt mir aber auch nur ein Anstoß, das aufzugeben. Gründe gäbe es genug. Aber wenn es wieder einmal Ärger gibt, dann geht es erst recht nicht. Ich nehme die Sachen zu persönlich, glaube ich. Im Streit mit Villar, so wie jetzt, will ich ihm nicht das Feld räumen und ihm einfach die Dinge überlassen.
Die Kellnerin nahm die Bestellung auf und schenkte Ribeiro nach. Der galizische Weißwein war trocken und leicht, genau das Richtige zum Mittagessen.
"Du willst dein Gesicht nicht verlieren, stolzer Hauptkommissar. Oder besser stolzer Valencianer. Na gut, aber dann lass mich dir wenigstens helfen. Wie heißt das Problem?"
"Ich finde es vor allen Dingen falsch, was Villar macht. Vielleicht will ich ihm das beweisen. Egal, ich habe vorhin einen Auftrag übernommen, und den mache ich zu Ende. Wenn es vorbei ist, sprechen wir beide über ein gemeinsames Büro, versprochen."
"Einverstanden. Sag mir, wenn ich etwas für dich tun kann."
"Kannst du schon jetzt, danke! Schon mal von Yago Sánchez gehört?"
*
Nachdem Salva und ich uns verabschiedet hatten, ging ich zu Fuß zurück zur Jefatura. Immerhin knapp vier Kilometer, aber das Wetter war herrlich und nach den Profiteroles in Schokoladentorte brauchte ich Bewegung. Ich entschied mich, das Turia-Becken über die schmale Fußgängerbrücke Pont del Mar zu queren. Mit ihren Bögen, Freitreppen und Statuen ist sie meine Lieblingsbrücke. Seit dem sechzehnten Jahrhundert verbindet sie den alten Stadtkern mit dem Hafen und führt heute in Richtung Innenstadt weiter zur Glorieta. Der kleine Park zwischen Justizpalast und dem Platz des Meeresportals mit dem Triton Brunnen und den großen, alten Bäumen ist eine Oase mitten in der Stadt.
Salva hatte recht. Ich wollte mein Gesicht nicht verlieren, deswegen musste ich Villars Auftrag annehmen. Ich sollte aber auch darüber nachdenken, wie es danach weitergehen sollte. Deswegen würde ich mit Salva reden, wenn die Sache ausgestanden war. Ich ging weiter über die Calle Colón, Valencias Downtown, vorbei an der Stierkampfarena gleich neben dem alten Bahnhof, überquerte den Plaza de España und war nach weiteren fünf Minuten zurück in der Jefatura.
José und mir gegenüber saß der Leiter des Finanzamtes Valencias, Señor Albiol. Er guckte reserviert zu uns herüber. Vielleicht fragte er sich, ob wir unsere Steuern zahlten.
"Der Polizeichef hat Ihren Besuch angekündigt, Sie benötigen Informationen über Yago Sánchez?" Sein Blick wurde jetzt eher verdrießlich. "Vale, verstehen Sie mich nicht falsch. Wir haben keine Ermittlungen durchgeführt, wir haben lediglich Sánchez' letzte Steuererklärungen durchgesehen." Räuspern. "Eigentlich darf ich Ihnen ohne richterlichen Beschluss auch keine Auskünfte erteilen. Da aber ja offenbar ein öffentliches Interesse besteht und ich Ihnen, sagen wir, eher allgemeine Umstände schildern werde, sollte das so in Ordnung gehen. Ich hoffe, Sie verstehen." Wieder räuspern.
Ich verstand. Besser, als Señor Albion vermutlich glaubte. Das vermeintliche öffentliche Interesse war ihm nachdrücklich eingetrichtert worden und jetzt saß er in der Klemme. Genau wie ich. Entweder mitspielen oder Ärger bekommen.
"Machen Sie sich keine Sorgen, Señor Albiol. Ich möchte nichts Ungesetzliches von Ihnen. Sagen Sie mir, was Sie können und dürfen. Was mich allerdings interessiert, ist, warum Sie Sánchez' letzte Steuererklärungen durchgesehen haben. Ist das Standard?"
Gerade in Steuerdingen ging es in Spanien oft eher verhalten zur Sache. Viele Spanier versteuerten höchstens Teile Ihres Einkommens, vieles lief in bar und schwarz. Nicht einmal alle Unternehmen waren gewillt, Umsatzsteuer zu zahlen. Sogar Waren und Dienstleistungen gegen Rechnung wurden mitunter einfach ohne Steuer abgerechnet.
"Nein, das ist nicht Standard. Wir prüfen natürlich die Erklärungen unserer Steuerbürger, aber erteilte Bescheide werden nur in Einspruchsfällen noch einmal durchgesehen. In diesem Fall gab es die Bitte einer Behörde. Wir sind dann natürlich berechtigt, sogar gezwungen, dem nachzugehen."
"Von welcher Behörde", wollte José wissen, "und gab es einen bestimmten Grund?"
"Das weiß ich nicht, aber es war das Straßenverkehrsamt."
Na klar war es das Straßenverkehrsamt. Da konnte Rica gut hineinregieren und das war erst einmal unauffällig genug, um die Sache anzustoßen. "Erzählen Sie, Señor Albiol, was hat Ihre Durchsicht an allgemeinen Umständen ergeben?"
"Also, die Steuererklärungen sind alle einwandfrei, jedenfalls hatten wir bisher keinen Grund zu Beanstandungen. Señor Sánchez ist ledig und insofern allein veranlagt. Sein zu versteuerndes Einkommen umfasst das Gehalt als Senderchef und eine kleine Mieteinnahme aus einer Ferienwohnung auf Ibiza. Alles korrekt angegeben und versteuert. Erbschaften, Nebeneinkünfte oder Kapitalerträge gibt es sonst keine. Sieht auf den ersten Blick unverdächtig auf, ein ganz normaler Steuerbürger.“
Kurzes Räuspern.
„Vielleicht betrügt er das Finanzamt“, fuhr Señor Albiol fort, „bisher aber nicht erkennbar und vermutlich nicht mehr oder weniger als alle hier. Auf die Anfrage aus dem Straßenverkehrsamt hin haben meine Leute allerdings seinen Lebenswandel unter die Lupe genommen. Im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten, versteht sich. Und dieser ist mit der Einkommenshöhe ganz und gar nicht vereinbar. Sánchez' Einkommen ist zwar gut, sein Lebenswandel allerdings sehr aufwendig. Wir haben das Grundbuchamt gefragt, seine Villa hat einen Verkehrswert im siebenstelligen Bereich, alles bezahlt, keine Hypotheken. Bei der Zulassungsbehörde sind insgesamt vier Autos auf ihn angemeldet, eine Limousine, ein Cabrio und zwei Oldtimer. Alles teure Wagen. Die Meldestelle hatte seinen Pass gerade verlängert und den alten eingezogen. Sánchez war praktisch überall auf der Welt, wo es exklusiv und teuer ist. Das muss aber alles nichts bedeuten, jedenfalls aus Steuersicht nicht. Vielleicht hat er eine reiche Freundin oder irgendwo einen Gönner."
José war offenbar aufgewacht. "Soll das bedeuten, Sie würden nicht einmal auf der Grundlage dieser Erkenntnisse gegen ihn ermitteln? Was muss man denn anstellen, damit das Finanzamt tätig wird? So, wie Sie das hier beschreiben, kann man sich ja fast aussuchen, was man versteuert."
"Gemach, José!" Ich hatte nicht vor, den armen Señor Albiol zu quälen. Der sah inzwischen auch alles andere als glücklich aus. In einem Land wie Spanien beim Finanzamt zu arbeiten, stellte ich mir ohnehin nicht als besonders erfüllend vor. "Uns interessiert im Moment nur, ob es Auffälligkeiten gibt. So, wie Sie das hier schildern, gibt es keinen konkreten Verdacht und keine Anschuldigungen, aber Erklärungsbedarf. Darum werden wir uns kümmern. Es wäre gut, wenn das Finanzamt vorläufig von einer eigenen Untersuchung absehen würde. Solange wir ermitteln, sollte möglichst wenig Staub aufgewirbelt werden."
"Die Situation zwingt uns nicht, jetzt tätig zu werden. Unser Gespräch war auch rein informell und diente dem öffentlichen Interesse. Das Finanzamt hat gerne geholfen." Albiol entspannte sich sichtlich. Er hatte getan, was er tun sollte.
*
José war offenbar immer noch fassungslos. "Mag ja sein, dass man Einzelfälle nicht vermeiden kann, in denen Steuern hinterzogen werden und das Finanzamt es nicht merkt. Andererseits scheinen die Beamten aber auch nicht besonders daran interessiert zu sein, das zu verhindern. Was muss denn passieren, damit man als Steuerbetrüger überhaupt auffällt? Und guck dir doch an, wohin das führt. Wir haben Krise und der Staat ist pleite."
Читать дальше