»Freilich«, meinte Herta, »ich schlage vor, Klub Tollkirsche.«
»Pfui«, meinte Bärbel, »die Tollkirsche ist giftig. Das ist etwas für alte Jungfern, aber nicht für junge Mädchen.«
Die verschiedensten Namen schwirrten durcheinander. Herta war gekränkt, daß man ihr widersprach.
»Wenn ihr alles besser wißt, so sucht euch auch den Namen allein.«
»Der Name muß auf alle passen«, meinte Bärbel.
»Ich hab’s«, rief Edith, »wir sind sechzehn, und elf von uns haben heute blaue Kleider an. Wir nennen uns Veilchen.«
»Nein, – Blauforelle!«
»Warum denn nicht gleich Blaublümelein«, höhnte Herta, »nach Heinrich Heine? – Ein Jüngling hatte ein Mädchen lieb, – sie sind verdorben, gestorben.«
»Blaublümelein ist sehr hübsch«, sagte Bärbel, »ich bin dafür.«
Herta ließ zwar abfällige Worte fallen, aber die Mehrheit entschied sich für Bärbels Vorschlag. So entstand an diesem Tage der Klub »Blaublümelein«.
Die Ämter waren schnell verteilt. Bärbel wurde Schriftführerin. Sie sollte die Statuten abschreiben, sie sollte die gesamte Korrespondenz führen. Man verabredete zur Gründung den morgigen Nachmittag und wählte dazu eine kleine Konditorei; dort sollte alles genau besprochen werden.
Am Abend machte Bärbel der Großmutter gegenüber geheimnisvolle Andeutungen.
»Großchen, nun ist es aus mit der Offenheit, du mußt dich damit abfinden. Jugend und Alter ist eben etwas zu Verschiedenes. Die Jugend muß kämpfen, um etwas zu erreichen. Ich werde in Zukunft vor dir meine Lippen verschließen, – ich muß es tun, man wird von mir den Eid fordern.«
Frau Lindberg horchte hoch auf. Das waren ganz neue Worte, die sie heute von ihrer Enkelin hörte.
»Was willst du mir in Zukunft verschweigen, Bärbel?«
»Heute darf ich noch reden, Großchen, aber morgen wird der Klub gegründet. Es wird wohl so eine Art Ferne sein. Wir müssen schweigen bis an den Grabesrand.«
»Und was bezweckt dieser Klub?«
»Kämpfen.«
»Um was denn?«
»Um die Rechte der Jugend.«
»Wer gründet diesen Klub?«
»Herta Brodowin hat gesagt, daß es endlich an der Zeit ist, uns zu rüsten, denn die Jugend hat heute das Vorrecht.«
Ein leichter Schatten legte sich über das Antlitz der alten Dame. Sie kannte Herta Brodowin nicht persönlich, hatte aber von Bärbel schon mancherlei gehört, was ihr nicht gefiel. Wenn es Herta gelang, Bärbel schlecht zu beeinflussen, bestand die große Gefahr, daß der noch so harmlose Backfisch von den angekränkelten Ideen jenes Mädchens erfaßt wurde und daß Bärbel vielleicht doch die Offenheit einstellte.
Es gab hier nur ein Mittel, um vorzubeugen. So erzählte Frau Lindberg lachend von dem eigenen Klub, den man gegründet habe, damals, als man sich auch in der Zeit der Sturm- und Drangperiode befand.
»Es ist immer dasselbe, Bärbel. Die Jugend glaubt sich stets unterdrückt und benachteiligt. Mag sie kämpfen, aber vergeßt dabei niemals die Ehrfurcht vor dem Alter, die Pflichten gegen die Nächsten, denkt stets daran, was ihr dem Elternhause schuldig seid. Ich sehe es nicht gern, mein liebes Bärbel, daß du dich an Herta anschließt, aber ich will dich nicht von diesem Klub zurückhalten, trotzdem habe ich das feste Vertrauen, daß du etwas Schlechtes weder tun noch billigen wirst. Und zum Eidschwören seid ihr alle viel zu jung, das laßt schön bleiben.«
»Wir stellen uns ganz gewiß die edelsten Aufgaben, Großchen, vielleicht sind wir sogar einmal zum Schutze des bedrängten Alters da. Ich werde Schriftführerin und werde wachen.«
In der kleinen Konditorei wurde der Klub »Blaublümelein« gegründet. Es war nicht so einfach. Die meisten der jungen Mädchen dachten nicht daran, sich skrupellos Herta Brodowin unterzuordnen. Es kam zu stürmischen Auseinandersetzungen, denn bald wollte diese, bald jene nicht mitmachen, und in der Hauptsache war es Bärbel zu danken, daß man überhaupt endlich zu einem Ziele kam.
Der geheimnisvolle Anstrich, den dieser Klub bekam, reizte sie. Es sollte stets hinter verschlossenen Türen getagt werden, nur im Flüstertone durfte gesprochen werden. Stets mußte man für die Klubkameraden einstehen, sie, wenn eine in Not war, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln heraushauen: man wollte ganz heimlich Abzeichen tragen, die aber erst beschafft werden mußten: ein paar gekreuzte Knochen.
»Elend und unglücklich soll derjenige bis an sein Lebensende sein, der eines der Mitglieder in der Not verrät.«
Eine nach der anderen mußte diesen Satz feierlich sprechen.
»Von einer Blutsbruderschaft wollen wir absehen«, sagte Herta, »aber mit einer Feder wollen wir alle unsere Namen unter die Statuten setzen und dabei den Schwur murmeln.«
Bärbel fand das alles fabelhaft feierlich. Wenn Herta aufstand, mit den Augen rollte und dann den Schwur mit düsterer Stimme sprach, lief es Goldköpfchen eiskalt am Rücken herab. Zu schade, daß sie nichts davon dem Großchen erzählen durfte.
»Wollen wir nun auch Herren aufnehmen?« fragte Herta ganz unvermittelt.
Man protestierte. Die Blaublümelein wollten unter sich sein.
»Denkt doch nur, wie schlecht es uns ginge«, sagte Bärbel eindringlich, »wenn wir für alle die Streiche, die die großen Jungens machen, einstehen müßten. Nein, da mache ich nicht mit!«
Sie bekam recht, die männlichen Elemente wurden ausgeschaltet. Bärbel erhielt den Auftrag, die Statuten, die 22 Paragraphen umfaßten, bis zum nächsten Freitag sechzehnmal abzuschreiben. Sie erhob zwar Einspruch, aber Herta erinnerte sie an das gegebene Versprechen: eine für alle.
Mit einem Seufzer dachte das junge Mädchen an die dadurch verlorene Zeit auf der Eisbahn. Sie würde emsig schreiben müssen, während sich andere auf dem Eise tummelten. Aber sie war nun einmal Mitglied des Klubs »Blaublümelein« und hatte Treue bis an den Rand des Grabes gelobt.
Am Abend forschte Frau Lindberg vorsichtig nach dem neu gegründeten Klub; aber energisch schüttelte Bärbel den Kopf.
»Großchen, ich bitte dich, bringe mich nicht in seelische Konflikte, ich muß schweigen, sonst … Nun, das kann ich dir nicht sagen.«
Schon zwei Tage später zeigten sich die schlimmen Folgen dieser Vereinsgründung. Bärbel besaß ein außerordentliches Talent im Zeichnen. Nur zu oft riß sie ein Blatt aus ihrem Hefte heraus, um darauf ein Bild zu skizzieren, das stets gut getroffen war. Ihr Übermut wagte sich sogar an die Lehrer. Sie lauschte geschickt eine komische Stellung ab, um dann den Betreffenden aufs Papier zu bringen.
So war auch heute der Ordinarius, Doktor Gerlach, ihrem Bleistift zum Opfer gefallen, als er für ein paar Sekunden den Finger nachdenklich an die Nase legte. Unter den Tischen reichte man sich das wohlgelungene Bild herum, und Herta Brodowin kritzelte rasch darunter: wenn ihn doch erst der Teufel an seiner langen Nase fortholte!
Beim Weitergeben in die nächste Bank flatterte das Blatt zu Boden; Doktor Gerlach sah es und verlangte die Herausgabe. Erst weigerte man sich, aber es kam schließlich in seine Hände.
Das Bild kränkte ihn nicht, das war viel zu gut getroffen und viel zu fröhlich gehalten, um ihn zu erbittern. Aber die ungezogenen Worte, die darunter standen, ärgerten ihn stark.
»Wer hat das gemacht?«
Sekundenlanges Schweigen.
»Ich wünsche sogleich eine Antwort.«
Bärbel erhob sich. »Ich habe das Bild gezeichnet.«
»Du?« Hinter den Brillengläsern funkelten die Augen des Ordinarius das junge Mädchen an.
»Schämst du dich nicht, eine solche Bemerkung darunterzuschreiben?«
Bärbel horchte auf. Von einer Unterschrift wußte sie nichts. Sie blickte sich daher fragend in der Klasse um und schaute in Hertas Augen. Im gleichen Augenblick wußte sie, daß jene irgend etwas daruntergeschrieben haben mußte, denn Herta war für derartige Flegeleien bekannt. Da sie stets in solchen Fällen sich der Druckschrift bediente, war es nur selten gelungen, sie als Missetäterin zu erwischen.
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