»Da haben wir es doch«, rief Thomas. »Mir kam der Name gleich so bekannt vor.«
»Das würde zu dem hier gut passen.« Marek tippte wieder auf die zweite Seite des Ausdrucks. »Prossmann arbeitet schon seit mehr als zehn Jahren im Auswärtigen Amt und ist ein Experte für die Beziehungen zu Afghanistan und den arabischen Ländern. Prossmanns politische Ambitionen haben anscheinend damit begonnen, dass er sich öffentlich gegen die Politik der Offenen Tür von Kanzlerin Merkel geäußert hat. Er warnt angeblich seit Jahren vor dem Terrorismus, der insbesondere aus den durch die Taliban und den IS unterwanderten Staaten ausgeht und der nach seinen Aussagen bis nach Europa schwappen wird oder sogar schon geschwappt ist.«
»So ganz Unrecht hat der damit ja nicht«, sagte Thomas.
»Ich glaube, es geht hier nicht um Recht haben, sondern darum, dass sich jemand mit entsprechenden Aussagen in die Öffentlichkeit rücken möchte.«
»Und das tut Prossmann?«
»Es sieht zumindest so aus. Seit gut zwei Jahren ist er politisch aktiver. Prossmann wird als SPD-Listen-Kandidat für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus gehandelt.«
»Wann findet die Wahl statt, doch heute nicht, oder?«
»Nein, nein, das ist noch ein bisschen hin, erst im September, aber wenn man da auftrumpfen will, muss man früh beginnen. Prossmann lehnt nicht nur die Politik der Kanzlerin ab, sondern agiert auch gegen den eigenen Mann, gegen unseren Regierenden Bürgermeister Michael Müller. Es wird sogar von einer Konkurrenzsituation innerhalb der Partei gesprochen.«
»Also ist der Mann wichtig, und wer wichtig ist, hat Feinde.« Thomas nahm Marek das Blatt Papier aus der Hand und überflog es selbst noch einmal.
»Jetzt, wo wir das so durchgekaut haben«, sagte Marek nach einer Minute des Schweigens, »glaube ich langsam auch, dass es nur eine Räuberpistole ist, irgendein Gag, der uns den Sonntagmorgen verderben soll.«
Thomas zuckte mit den Schultern. »Der letzte Satz ist sowohl eine Drohung, als auch ein konkreter Auftrag an uns.« Er zitierte den Text. »Wir bekommen Prossmann, du deine Freundin.«
»Nicht an uns, sondern an mich, es ist ja schließlich meine Freundin«, sagte Marek eindringlich.
»Gut, aber du hast mich da reingezogen. Du hast mich schließlich angerufen.« Thomas stutzte. »Durftest du das überhaupt?«
»Wenn nicht, ist es nicht meine Schuld«, sagte Marek. »Die haben nämlich den üblichen Satz vergessen, dass ich die Polizei nicht einschalten und zu niemandem über die Sache reden darf.«
»Gut, dann werden die es dir sagen, wenn es doch ein Fehler war, mich einzuschalten«, entgegnete Thomas.
»Aber was soll ich denn jetzt unternehmen«, sagte Marek fast flehentlich. »Soll ich diesen Harald Prossmann in meine Gewalt bringen und ihn gegen Kerstin austauschen?«
Thomas seufzte, dann erstarrten beide, als der Festnetzapparat zu klingeln begann. Marek griff nach dem Telefon und nahm das Gespräch an. Es dauerte keine Minute. Er nickte mehrmals und bedankte sich schließlich.
»Was ist, waren sie das?«, fragte Thomas sofort.
Marek antwortete nicht gleich, sondern lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
»Es war das Revier in Köpenick. Die haben nicht viel gemacht. Die haben unten geklingelt, aber es hat niemand geöffnet. Sie konnten nicht ins Haus rein. Außen haben sie sich dann nur noch die Fenster angesehen. Die Gardinen waren zugezogen, alles ganz normal ...«
»Und haben die auch durch die Fenster geschaut?«, warf Thomas ein.
»Ging nicht, Steffanie Hartfeld wohnt im vierten Stock.«
»Kein Licht nichts?«, fragte Thomas.
Marek zuckte mit den Schultern.
»Hausdurchsuchung, die sollen sich vom Hausmeister oder so die Wohnungstür öffnen lassen.«
»Das geht doch nicht«, sagte Marek. »Die haben geklingelt, die haben geschaut. Es war niemand da, fertig.«
»Und das heißt was?« Thomas schüttelte den Kopf.
»Das heißt noch gar nichts«, antwortete Marek.
»Das glaubst du doch selbst nicht. Ruf noch mal auf dem Revier an, die sollen das volle Programm fahren. Sag einfach, Gefahr in Verzug.«
»Gefahr in Verzug«, wiederholte Marek und ihm wurde jetzt wieder bewusst, dass hinter den ominösen Nachrichten mehr stecken konnte.
Thomas nahm ihm das Telefon aus der Hand und begann eine Nummer einzutippen. Er ließ es klingeln, stellte den Lautsprecher ein. Das Freizeichen ertönte dreimal.
»LKA Fahndung, Sie sind mit der Zentrale verbunden«, meldete sich eine Beamtin.
Thomas autorisierte sich kurz. »Ich möchte bitte einen roten Opel Astra Kombi Typ K zur Fahndung ausschreiben. Die Halterin ist Frau Dr. med. Kerstin Sander. Es geht nur darum, festzustellen, wo sich das Fahrzeug derzeit befindet. Falls die Kollegen Frau Dr. Sander an ihrem KFZ antreffen, bitte ich um Kontaktaufnahme.«
»Sander, Kerstin, Dr. med.«, wiederholte die Beamtin. »Haben Sie auch das Kennzeichen des Fahrzeugs?«
Marek nannte ihm das Kennzeichen von Kerstins Opel, das Thomas an die Beamtin weitergab.
»Könnten Sie bitte auch gleich feststellen, ob auf eine Frau Steffanie Hartfeld ebenfalls ein KFZ zugelassen ist?«
»Einen Moment bitte.« Ein leises Tastaturtippen war zu hören. »Hartfeld, Steffanie, wohnhaft im Bezirk Köpenick, Kladden Straße 27.« Die Beamtin nannte auch noch das Geburtsdatum von Steffanie Hartfeld. Marek nickte.
»Kladden Straße, ja, das ist sie«, bestätigte Thomas der Kollegin. »Um was für ein Fahrzeug handelt es sich?«
»Ebenfalls ein Opel Astra, Typ K, aber in weiß. Und dieser Wagen soll auch zur Fahndung ausgeschrieben werden?«
»Ja, bitte. Es geht mir wie gesagt nur um den derzeitigen Standort der Fahrzeuge.« Bevor Thomas auflegte, gab er noch seine Handynummer an die Beamtin des Fahndungsdezernats weiter.
»Und jetzt müssen wir uns noch um die Wohnungsdurchsuchung kümmern«, sagte Thomas, nachdem er aufgelegt hatte. »Was machen wir also?«
»Du hast es doch selbst vorgeschlagen«, antwortete Marek. »Wir fahren da jetzt sofort hin.«
Marek war schon aufgesprungen, als sein Smartphone mit einem Signalton den Eingang einer neuen Nachricht ankündigte. Er verharrte in der Bewegung. Auf dem Display des Telefons leuchtete das Symbol der HIKE-App auf.
*
»Da hast du deine Antwort«, sagte Thomas und öffnete die PDF-Datei, die an der jüngsten HIKE-Nachricht angehängt war.
»Wenn ich tue, was die wollen ...« Marek atmete tief ein und schüttelte dann den Kopf. »Verdammt, das kann ich doch nicht machen, wie soll ich an diesen Prossmann herankommen. Ich kann doch nicht einfach so zu dem Team der Personenschützer stoßen. Die müssen doch von oben eine offizielle Mitteilung bekommen, sonst geht da gar nichts.«
Thomas scrollte auf Mareks Smartphone. »Die haben Prossmanns Tagesablauf mitgeschickt. Ein ganz schön voller Terminkalender und das auf einem Sonntag. Und hier sind sogar die Namen seiner Bodyguards, eine Sicherungsgruppe des BKA. Das sind Zweierteams. Ach, schau an, den Einsatzleiter kenne ich sogar, das ist doch der Kai, Kriminaloberkommissar Kai Bokel.«
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