Mein Vater, der nur drei Straßen weiter wohnte, kannte mich kaum noch.
Wir sprachen auch nicht einmal mehr richtig miteinander.
Höchstens Ein paar belanglose Sätze!
Selbst Donald Herb schrie mir in diesem Moment, mehr entgegen, als mir mein eigener Vater zu sagen hatte, wenn wir uns denn überhaupt mal sahen.
Warum, fragte ich mich immer wieder?
Nur weil er eine neue Familie besaß. Er sich jetzt um Claudias Tochter kümmern durfte und ihr die Liebe gab, die eigentlich mir Zustand?
Warum konnte ich nicht weiterhin ein Teil seines Lebens sein, sondern wurde von ihm behandelt, als sei ich eine Fremde.
Eine flüchtige Bekannte.
Ein kurzes Hallo , wie geht’s und das noch in einem Tonfall, der sofort erkennen ließ, das es ihn eigentlich überhaupt nicht interessierte!
Mehr bedeutete ich ihm nicht mehr und das sollte auch so bleiben.
Und meine Mutter war nicht besser, denn sie hatte überhaupt nicht verstanden, wie weh sie mir mit dieser Situation getan hatte.
Für mich hatte seit dem Tag, an dem Phillip eingezogen war, ein Drahtseilakt begonnen, der mich immer weiter von meiner Mutter entfernte. Ständig war ich gezwungen gewesen, mich ihm gegenüber zu behaupten. Aber meine Mutter glaubte ihm sowieso mehr als mir und das, obwohl auch sie wusste, dass Phillips Vergangenheit voller unbeantworteter Fragen war.
Was immer er sagte, meine Mutter hielt zu ihm.
Sie war ihm hörig!
Verfallen!
Was auch immer.
Jedenfalls musste ich mich vor ihm in Acht nehmen.
Er hasste mich und was noch schlimmer war, er wusste, dass ich ihn auch hasste. Zwar ließ er sich nichts anmerken, doch ich wusste es. Phillip war so unheimlich. So geheimnisvoll. Vor seiner Vergangenheit hing ein dunkler Vorhang, hinter dem niemand nachsehen durfte, was sich dort verbarg, und wenn es jemand versuchte, dann wurde er aggressiv. Jede Frage, die einen Einblick gewährt hätte, blockte er verärgert ab.
Ich hatte es mehrfach versucht.
Mit bohrenden Fragen.
Phillip war dann jedes Mal fast wahnsinnig geworden.
Seit dem ließ ich es auf sich beruhen.
Wenn meine Mutter schon nicht daran interessiert war, warum wollte ich es dann wissen?
Nicht einmal Claudia, seine Exfrau wusste etwas darüber.
Doch das war nicht der eigentliche Grund, weshalb ich ihn hasste.
Phillip war ein Mann, der mit seiner leiblichen Tochter ebenso umsprang, wie mein Vater mit mir. Darum hasste ich ihn. Er trug mit die Schuld daran, das meine Jugend vorbei war!
Meine Kindheit den Bach hinunter gegangen war und meine Mutter, hatte es nicht einmal gemerkt.
Hatte sich nicht mal dafür interessiert!
Jetzt lief ich also hier die Straße entlang. Noch gut dreißig Meter Weg und Donald Herb brüllte immer noch lauthals zu mir hinüber.
Meine Beine schmerzten, bis zu den Kniescheiben und meine Zehen rutschten immer tiefer in diese verdammten Schuhe, die Mel, von ihrer Mutter mitgebracht hatte.
Konnte es noch schlimmer kommen?
Melanie stand am anderen Ende der Straße und ich konnte sie bis hierher grinsen sehen.
»Hey Baby! Wie viel?«, Donald Herb wackelte auf der anderen Straßenseite immer noch mit seinem fetten Arsch, hin und her. Dabei fing seine Hose an zu rutschen und er musste sie an beiden Seiten nach oben ziehen, um nicht plötzlich ohne dazustehen.
Ein Anblick, der bei weitem lächerlicher gewesen wäre, als mein Aufmarsch. Doch anstatt diesen fetten Kerl anzustarren, starrten die Passanten auf mich und schüttelten dabei verständnislos den Kopf.
Plötzlich schoss Melanie um die Ecke, hinter der sie gestanden hatte und kam auf mich zu.
Melanie hatte ein längliches Gesicht, weiche Gesichtszüge und schulterlanges, schwarzes Haar. Sie trug eine hellblaue Jeans, weiße Turnschuhe und ein hellrotes Top.
»Du fettes Arschloch!«, rief die siebzehnjährige plötzlich über die Straße und Donalds Rufe erstarben sofort.
»Hast du nichts Besseres zu tun, als kleinen Mädchen nachzubrüllen?«, Mel schrie so laut über die Straße, das Donald anfing, sich verlegen umzuschauen.
Dabei fiel ihm auf, das die Blicke der Passanten plötzlich alle nur noch auf ihm lagen und er wurde sich der Tatsache bewusst, das sein Scherz nicht den Erfolg mit sich gebracht hatte, den er sich erhofft hatte, sondern das stattdessen er vorwurfsvolle Blicke hervorrief, die man ihm jetzt entgegen brachte.
»Findest wohl keine in deinem Alter!«, Mel hob dabei den rechten Arm und zeigte ihm den Mittelfinger.
Donalds Gesichtsausdruck wurde plötzlich finster und verärgert.
Doch Mel schien das nicht weiter zu stören. Sie fühlte sich vor ihm sicher. Hier auf der Straße, wo all die Passanten herum liefen und sowieso alle Blicke auf ihnen beiden lagen, gab es nichts, was sie zu fürchten hatte.
Donald, dem dies ebenfalls bewusst war, spürte plötzlich eine Wut in sich aufstiegen, die er mit aller Gewalt unterdrückte. Jetzt konnte er nichts tun. Zu viele Augen, waren auf ihn und diese Schlampe gerichtet, doch irgendwann heute, würde er sie finden. Diese Nutte und ihre Freundin!
Ja eine Nutte!
Nichts anderes war sie.
Donald musste innerlich grinsen, während er an sie dachte und dabei seine verwaschene Cordhose hinauf zog, bis sie seinen Bauch umschloss und er sich ohne ein weiteres Wort abwendete.
Später!
Dachte er und ging.
Diese verdammten Nutten!
Melanie, die mittlerweile bei mir stand, verfolgte noch, wie Donald an diesem warmen Sommer Nachmittag, um die Ecke verschwand und mit ihm die seltsamen Blicke der Passanten. Niemand schaute mehr zu uns hinüber, während wir am Straßenrand standen und immer noch ängstlich in die Richtung blickten, wo Donald Herb verschwunden war.
So als befürchteten wir, das er zurück kommen würde.
Doch er würde nicht zurückkommen.
Wir wussten es beide.
»Es tut mir Leid!«, sagte Mel und ich fiel ihr mit den wackligen Schuhen fast in die Arme. Dabei misslang Melanies Versuch, mich aufzufangen und aufzurichten, weil ich über meine eigenen Füße stolperte, die vor Schmerz fast taub waren und wir fielen beide auf den Gehweg.
Polternd landeten wir vor der Hauswand und fingen an zu lachen.
»Die Klamotten gehen ja noch, aber diese verdammten Schuhe bringen mich um! Wie kann deine Mutter damit laufen?«, rief ich dabei verärgert.
»Sie zieht die Dinger eigentlich nie an.«, lachte Melanie.
»Na prima!«, wieder lachten wir und die Passanten blickten zu uns hinab.
Manche schüttelten den Kopf, andere gingen ohne eine Reaktion weiter. Melanie und ich störten weder die einen noch die anderen.
Nachdem wir uns wieder beruhigt hatten, verließen wir den Platz vor der Hauswand und zogen uns an unseren Lieblingsplatz zurück.
Den großen Mülltonnen hinter dem Einkaufsmarkt.
Zuvor kauften wir uns jeder noch ein Eis.
Dann setzten wir uns auf die großen, silbernen Container und genossen die Wärme, die von dem in der Sonne aufgewärmten Blech ausging. Von hier aus konnte man die lange Zufahrt zum Einkaufsmarkt, bis vor zur Straße einsehen. Dabei beobachten, wie viele Autos auf den Parkplatz vor den Markt fuhren und wie die Kunden in den Markt rasten. Gleichzeitig hatte man von hier aus einen herrlichen Blick auf die rückwärtigen Höfe, der angrenzenden Häuser, in denen viele Freunde von uns wohnten. Fast in jedem Hof waren wir schon gewesen und keiner wäre es wert gewesen, sich wirklich daran zurück zu erinnern. Die Häuser waren alt, verkommen und die dunklen Steineinfassungen der Höfe halb verfallen. Außerdem gab es dort im Moment nichts zu sehen.
In den Hinterhöfen herrschte absolute Stille.
Jeder versuchte irgendwie der Sonne zu entkommen und aus diesem Grund, verließen die Erwachsenen ihre Häuser im Moment nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Darum war es hier, bei den Mülltonnen, so schön ruhig und an diesen heißen Tagen, unser Lieblingsplatz. Auch wenn er sich, zu unserem Leidwesen, bei den Jugendlichen immer größerer Beliebtheit erfreute.
Читать дальше