Die Flasche war halb leer, als sie anfing zu husten. Der Doc nahm die Flasche aus ihrem Mund heraus und schüttete den Rest über ihr Gesicht und ihre Brust. Gierig leckte er sich die Lippen, als sich ihre Brustwarzen auf dem nassen T-Shirt abzeichneten. Mit beiden Händen griff er zu und umklammerte ihre Brüste mit festem Griff. Sofort schrie sie vor Schmerz auf. Er ließ los und sie beruhigte sich wieder einigermaßen. Dann zog er ihr T-Shirt hoch und verdeckte damit ihr Gesicht. Dass sie ihn nun beide anschrien, schien ihn nicht zu stören. Er kam mit seinem Mund dicht an ihren rechten Busen und wollte gerade mit seiner Zunge ihre Brustwarze umkreisen, als sie ihm mit den Fingernägeln durchs Gesicht fuhr. Verdammt, ich hätte ihre freie Hand nicht loslassen sollen , war sein Gedanke.
In diesem Moment kam der Maat die steile Stiege herunter und sagte zu ihm: »Der Kapitän will dich sehen.«
Der Doc verpasste der jungen Frau noch eine Ohrfeige. Beide Männer gingen nach oben und überließen die Gefesselten weitere lange Stunden ihrem Schicksal. Als der Kapitän die Kratzer im Gesicht des Docs sah, war sein Grinsen nicht zu übersehen. Die Frage: »Haben wir Katzen oder Pumas an Bord?«, bereitete ihm sichtliches Vergnügen.
Der Doc kochte vor Wut. Er entdeckte in der Kajüte die Flasche Gin, die der Maat vom Einkauf mitgebracht hatte. Er nahm sie ohne ein weiteres Wort zu sagen und ging mit ihr nach Achtern.
Da die beiden unter Deck bisher noch keine Gelegenheit hatten sich zu unterhalten, sprachen sie nun fast gleichzeitig. Sie einigten sich, dass man nacheinander schnell seine Geschichte erzählen sollte. Stephan sprach über sich und wie er in Rom gefangen genommen wurde. Wie er auf das Schiff kam, wusste er nicht, da war er schon betäubt worden. Dann erzählte sie ihm ihre Geschichte. Ihr Name war Gianna. Ihre Eltern hatten sie nach der Rocksängerin Gianna Nannini so genannt. Sie stammte, wie die Nannini auch, aus einer Konditorfamilie und wurde zufällig auch noch, genau wie die Rocksängerin, in Siena in der Toskana geboren. Aber das war auch schon alles, was sie mit ihr gemeinsam hatte.
Ihre Musik war nicht gerade das, was Nannini sang. Sie bevorzugte Techno. Der monotone Grundton der elektronischen Musik brachte sie immer wieder in Ekstase. Sie war 18 Jahre alt. Nach der zehnten Klasse hatte sie die Schule verlassen, wonach ihr sämtliche finanziellen Mittel von den Eltern gestrichen wurden. Die hatten ein Studium und eine Karriere als Anwältin oder zumindest einen Fachwirt als Abschluss geplant. Zwei Jahre trampte sie mit einem Startkapital ihrer inzwischen verstorbenen Oma und gelegentlichen Diebstählen durch Österreich, Deutschland und die Schweiz. Wenn sie in der Koje des einen oder anderen LKWs lag, geschah das nicht immer zum Zweck des Versteckens an den Grenzen, an denen es noch Kontrollen gab. Es hatte auch den Vorteil, leicht und relativ gefahrlos mal schnell fünfzig Euro zu erarbeiten.
Meist aber wurde ihr nur einen Zwanziger oder gar nichts für ihre Dienste gegeben. Sie war keine »Professionelle« und wurde es in den drei Jahren auf der Straße auch nicht, obwohl sie mit ihrem Mund sehr schnell war. Schneller als manch ein LKW-Fahrer die Hose unten hatte, brachte sie ihn in höchste Verzückung. Vor einem Jahr war sie auf Sizilien gelandet und hier geblieben. Ein Freund mit bisexueller Neigung machte ihr den Vorschlag, bei ihm in einer Kellerwohnung in der Fonto Tinnirello zu wohnen. Er gehörte zur abgefuckten Schickimicki der Insel. Das Haus lag in unmittelbarer Meeresnähe, was ihr sehr gefiel und so sagte sie zu. Ihr Gönner verlangte von ihr fast nichts, nur ab und zu bei einer der skurrilen Partys, die er gab, dabei zu sein. Hier trafen sich die unterschiedlichsten Leute und es wurde ihr nie langweilig. Alkohol und Pillen sowie Gras waren für sie immer gratis.
Vor zwei Tagen gab es wieder eine solche Party. Zwei nette Herren aus Rom kümmerten sich liebevoll um sie.
»Mann, so viel Gras, wie ich in der Lunge hatte, wird wohl im ganzen Jahr nicht angebaut.«
»Was war dann? Mach schon«, drängelte Stephan.
»Sie fragten mich, ob ich ihnen für einen Hunderter den Weg zur Piazza dalla Dittatura in Salemi zeigen könnte. Klar habe ich mich gewundert, warum ich das machen sollte. Es gibt doch für so was Navis. Aber den Hunderter haben sie mir gleich gegeben. Und irgendwie dachte ich, ich könnte ihnen sonst wie behilfl ich sein und vielleicht noch ’ne Zulage bekommen. Dann bogen sie bei Vita ab, weil der eine mal musste. Als ich aussteigen wollte, bekam ich die volle Ladung Chloroform ab. Aufgewacht bin ich hier unten, wie du. Was wollen die von uns? Umbringen hätten sie uns schon längst können. Das macht keinen Sinn.«
Stephan, der in Physik eine Arbeit über Rausch- und Betäubungsmittel geschrieben hatte, wusste, dass der Einsatz von Chloroform in Deutschland und einigen anderen Ländern der EU aufgrund unerwünschter Nebenwirkungen verboten war.
CHC13, die chemische Formel für Chloroform, wurde bis 1977 auch als Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Es ist lebertoxisch und kann Schädigungen hervorrufen.
Herzflimmern ist ein weiterer Gefahrenpunkt, der zur Absetzung des Mittels beitrug.
»Sie wollen uns nicht umbringen. Jedenfalls jetzt noch nicht. Für irgendetwas brauchen sie uns noch.«
Am nächsten Morgen bekamen sie unter Deck Besuch vom Maat und dem Doc. Die Spritzen mit dem Langzeitschlafmittel Diazepam, was auch als Psychopharmaka zur Behandlung von Angstzuständen eingesetzt wird, konnte ihnen der Doc nur mit Mühe geben. Erst nachdem sich der Maat auf die Gefesselten setzte und den jeweiligen Arm bis kurz vor dem Ausrenken nach hinten bog, konnten sie keinen Widerstand mehr leisten. Das Stechen in die Vene war keine rücksichtsvolle Tat eines Arztes, somit war die Prozedur ziemlich schmerzhaft. Fünf Minuten später war das den beiden egal, sie dämmerten ins Reich der Träume. Dass sie in zwei Särge, die von einer Plane verdeckt im hinteren Bereich des Kahns standen, gelegt wurden, bekamen sie nicht mehr mit.
An Deck wurde der Maat vom Kapitän gefragt: »Was ist? Alles in Ordnung?«
»Aye, hoffentlich schaut nicht mal einer von der Küstenwache in die Särge und stellt fest, dass die Toten noch leben.«
»Na, die können doch lesen und sehen die Dokumente an den Särgen doch.«
Außen an den beiden Särgen klebte je ein Schreiben auf den Deckeln, auf denen man so etwas wie »Überführung von Strahlungsopfern« lesen konnte.
»Die Überführungspapiere sind doch echt, von einem echten Doc ausgestellt.«
Bei diesem Satz konnte sich der Kapitän vor Lachen kaum auf den Beinen halten.
Als der Kahn am nächsten Tag in einer kleinen Bucht in Ulcinj in Montenegro vor Anker ging, wurden die Särge auf einen Kastenwagen verladen, der schon seit dem Vormittag aus sie wartete. Über Virpazar ging die Fahrt an der albanischen Grenze entlang nach Norden über Berane und Bijelo Polje nach Serbien. Es kontrollierte sie keiner. Sie waren noch nie kontrolliert worden.
Es soll dir niemand widerstehen dein Leben lang.
Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen.
Josua 1, 5
Der Anruf im Büro von Stephans Vater Klaus Kronberg in Hamburg ging ein, als es schon dunkel war. Seine geschiedene Frau war am anderen Ende.
»Hast du was von Stephan gehört?«
»Hallo Sigrid, schön deine Stimme zu hören. Brauchst du Geld?«
»Lass das. Stephan hat sich seit über zwei Wochen nicht gemeldet.«
Seit ihrer Scheidung vor gut fünf Jahren hatten sie sich nur noch ein paar Mal gesehen. Meist ging es um finanzielle Dinge. Stephan war das einzige Kind und wohnte zu diesem Zeitpunkt schon in einer Wohngemeinschaft.
Sigrid Kronberg hatte das Gefühl, dass ihr Mann sie bei der Scheidung über den Tisch gezogen hatte. Seither ging es ihr finanziell nicht besonders gut, was auch daran lag, dass ihr Arbeiten nicht allzu viel Spaß machte. Ab und zu, wenn sie ihn friedlich darum bat, überwies er ihr mal fünfhundert, mal tausend Euro zusätzlich zu dem normalen Unterhalt, zu dem er verpflichtet war. So hatte sie ihr leidliches Auskommen. In der Tat hatte Klaus Kronberg schon Jahre vorher eine ordentliche Summe in ein Aktienpaket einer Edelmetall fördernden Firma in Ecuador investiert. Als diese Aktien innerhalb kurzer Zeit in die Höhe schossen, zog er einen Gewinn von zweihundert Prozent heraus. Daraufhin kaufte er Staatsobligationen in Kolumbien und einen großen Satz an Aktien eines Holzwerkes in Bolivien. Die Erträge aus den Obligationen waren nicht zu seiner Zufriedenheit, er war schon etwas verwöhnt. Als Kolumbiens Regierung bekannt gab, die Zinssätze aufzustocken, rief er seine Einlagen ab. Die Holzaktien der expandierenden bolivischen Firma Cleanwood International jedoch verzeichneten Spitzenwerte. Einen kleinen Teil rief er ab, einen großen Teil davon ließ er stehen, der ihm bis heute weitere Gewinne brachte. Mit dem Aktiengewinn kaufte er sich in eine kleinere Gebrauchtwagenfi rma ein. Ein Jahr später wuchs die Firma dank seiner Einlage und seinem Engagement auf respektable Größe an. Hinzu kam die Li-zenz der Bezirksvertretung der Fahrzeuge mit dem Stern am Kühler.
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