Dann fassten sich die Männer an den Händen und füllten diese mit Schießpulver. Sie verteilten das Pulver nicht nur auf den Händen, sondern auch auf den Armen, so dass es einen geschlossenen Kreis ergab. Dann nahm mein Gesprächspartner eine Kerze und entzündete das Schießpulver. Es gab eine leichte Explosion und Flammen waren zu sehen, überall da, wo sich Schießpulver befunden hatte. Dies war zu erwarten gewesen. Was mich aber doch verblüffte, war die Tatsache, dass dies keinerlei Verletzungen hinterließ. In der Schüssel begann sich etwas zu regen.
Ich traute meinen Augen kaum, aber aus den Muscheln krochen so etwas wie Fangarme oder wie die Tentakel von Kraken. Es waren nur sehr kleine Gebilde, ich konnte sie bei der düsteren Beleuchtung kaum erkennen. Aber es gab eine eindeutige Bewegung.
Mein Gesprächspartner ließ auf einmal seinen Kopf nach hinten fallen. Er war ganz offensichtlich in Trance gefallen. Und nun begann er Worte auf portugiesisch zu sagen. Ich konnte nicht alles verstehen, dazu reichte mein Sprachschatz nicht aus. Aber den wesentlichen Inhalt kann ich hier wohl wiedergeben: Ihr, die Ihr kommt aus den Weiten hinter den Sternen. Ihr, die Ihr gewartet habt seit Äonen. Ihr, die Ihr gekommen seid, die ganze Schöpfung zu zerstören. Ihr, die Ihr als Samenkorn warten musstet auf den richtigen Moment. Ihr, die Ihr kommt, um Euch zu nehmen, was Euch seit alters her gehört. Kommet und sehet den Widersacher. Kommet und nehmet Kontakt auf zu diesem Hindernis, dieser Probe, diesem Ärgernis. Sehet, spüret, was für ein Mensch. Ein Mensch, kein Gott. Sehet. Spüret.
Dann murmelten alle Beteiligten außer mir mehrmals diesen Fluch, denn etwas anderes kann es nicht gewesen sein:
Krath a`lyktm chruktra lyah querff lártyrhh cherith ia.
Diese Tentakel erhoben sich, verließen die Schüssel. Nein, sie verließen sie nicht direkt, aber sie dehnten sich unheimlich aus und kamen mir in rhythmischen Bewegungen immer näher. In der gleichen Zeit stießen die Männer immer schneller und immer lauter seltsame Beschwörungsformeln aus.
Diese Tentakel schienen mich zu mustern, eingehend zu inspizieren. Es war wohl ein Beobachtungsposten, der das feindliche Terrain sondierte. Immer näher kamen sie meinem Gesicht und ich befürchtete, dass sie in wenigen Momenten in mich hineinkriechen könnten.
Ich riss mich los aus dieser Bannung und verließ fluchtartig die Behausung des Grauens. Hinter mir hörte ich immer noch den anschwellenden Singsang der Beschwörungsformeln. Ich rannte diese seltsame Treppe hinauf, ohne mich auch nur noch ein einziges Mal umzusehen. Ich floh diesen widerwärtigen Ort und ich habe ihn nie wieder betreten. Und eines kann ich Dir mit Sicherheit sagen. Ich werde ihn auch nie wieder betreten.
Mir war auch die ganze Zeit danach unheimlich zumute. Ich wusste nicht, worauf diese ganze Vorführung hinauslaufen sollte. Wozu hatten mich die Männer hierher bestellt? Natürlich war ihnen bekannt, dass ich einer der wenigen Menschen war, welche sich ernsthaft mit Nekromantie beschäftigten. Aber wieso verrieten sie mir hier innerste Geheimnisse ihrer Lehre, die streng gehütet waren. Dies konnte im Endeffekt doch nur heißen, dass...
Nun, es lief mir jedenfalls eiskalt den Rücken hinunter, das kann ich Dir versichern, mein Sohn.“
Wenn also eine solch fast entartete Religion dann noch als harmlos gilt, dann musste die andere Glaubensrichtung schon verderbt bis in den innersten Kern sein.
„Woher weiß man dann überhaupt etwas über diesen Stamm oder diese Sippe von Macumba-Jüngern, wenn sie keinen Kontakt zur Außenwelt haben?“ fragte Richard seinen Sohn.- „Ganz genau kann ich es Dir auch nicht sagen. Mir persönlich liegt nur der Bericht eines Jesuitenpaters vor, der dort vor 150 Jahren eine Art Krankenhaus betrieb. Dieser Pater muss eines Tages einen jener entarteten Menschen als Patient behandelt haben. Selbst schrieb er sogar, dass er lange daran Zweifel hatte, tatsächlich ein humanoides Wesen vor sich zu haben. Im Bericht steht auch noch, dass all seine eingeborenen Helfer den Kontakt zu diesem Individuum mieden. Eine Kommunikation mit diesem männlichen Wesen war kaum möglich. Er stieß tiefe, raue und kehlige Laute aus. Seine Augen flackerten wie in wildem Brand, als würde dahinter das Feuer der Hölle lodern. Sie irrten unruhig von einem Punkt zum nächsten, ohne mehr als eine Sekunde Ruhe zu finden. Nur mühsam gelang es, mit ihm in einem alten, kaum noch gesprochenen Dialekt dieser Region zu reden. Er war wohl entsetzlich zugerichtet, es muss ein gewaltiger Kampf stattgefunden haben. Dem Priester kam es so vor, als wenn ein riesiger Tintenfisch das Wesen mit seinen Tentakeln umschlossen und dann zugedrückt hätte. Überall, wo man Saugnäpfe vermuten könnte, waren große runde Hautteile aus ihm herausgerissen. Die Wunden hatten sich schlimm entzündet und das Wesen musste furchtbare Schmerzen leiden. Allerdings lehnte es jede Art von Medikamenten ab, verweigerte ebenso gekochte oder irgendwie zubereitete Nahrung. Letztlich war es so, dass der Priester ihm nachts, wenn die anderen Patienten schliefen und nur noch die beiden wach waren, rohes Fleisch zu essen (zu fressen?) gab. Darauf stürzte sich der Patient allerdings mit Heißhunger und verschlang buchstäblich alles.
Aus den Aufzeichnungen des Paters geht hervor, dass dieses menschenartige Wesen aufrecht laufen konnte, seine Hände überproportional groß waren. Sein Gesicht wirkte seltsam flach und eingefallen, die hohe Stirn schien zu fliehen. Seine Finger waren kaum in der Lage, etwas ordentlich zu umgreifen, mit einem Werkzeug umzugehen, um etwas Nützliches zu schaffen, schien nicht zu seinen täglichen Aufgaben zu gehören. Allerdings musste er ein erstaunlich gutes Gehör haben. Nachts, wenn sich der Priester zu dem Wesen setzte, um eine Unterhaltung zu versuchen, bemerkte er, wie es ganz offensichtlich seine Ohren spitzte. Im Gegensatz zu uns modernen Menschen konnte er sie auch in verschiedene Richtungen drehen. Manchmal schienen die Geräusche, welche für den Priester selbst unhörbar waren, zu beruhigen und eine Art friedlicher Ausdruck erschien auf dem Gesicht und er gab pfeifende Laute wie von einem Musikstück von sich. Manche Nacht aber weiteten sich die Augen vor Schreck und ein Ausdruck des Entsetzens und wahnsinniger Angst beherrschte das Wesen. In den wenigen Worten des uralten Dialektes erfuhr der Priester nur wenig über den seltsamen Stamm. Fest stand aber, dass sich dieser Stamm für auserwählt hielt, etwas Großes zu vollbringen. Er wäre einem höheren Wesen dienstbar, welches schon länger existierte als der Anbeginn der Zeit. Dieses Wesen umfasste in der Vorstellung des Stammes mehr als den gesamten uns bekannten Makrokosmos. Nein, es kam aus den Äonen vor der Erschaffung der Welt. Nun würde es aber in einer Art Totenruhe warten, bis die richtige Liturgie mit dem richtigen Opfer die Welt bereit machen würden für die Wiedergeburt des Wesens.
Wie gesagt, dies steht so in den Aufzeichnungen des Priesters, der sich viel davon selbst zusammengereimt hat aus dem halbmenschlichen Gestammel seines Patienten. In einer Nacht, als das Wesen offenbar etwas ruhiger schien, gestattete er sich die Frage nach der Ursache für die schwerwiegenden Verletzungen und Wunden, verstreut über den ganzen Körper.
Als Reaktion erhielt er nur einen völlig panikartigen entsetzten Aufschrei. Der Rest klang wie das Geschnatter einer ganzen Schimpansenfamilie, wenn sie aufgeregt ist. In diesem Kauderwelsch war die Rede von etwas Totem, was doch nicht ganz tot war und sich einfach die Opfer greife, die es benötige. Dann sprang das Wesen auf und rannte davon. Der Priester hat ihn nie wiedergesehen und auch kein anderes Individuum jener verderbten Art. Ich selbst konnte auch in vielen Forschungsberichten aus moderner Zeit kein weiteres Zeugnis für jenen geheimnisvollen Stamm finden. Auch historische Augenzeugenberichte, welche sowieso sehr unglaubwürdig waren, erzählten nur von seltsam aussehenden Wesen, die kehlige Laute ausstießen, die man eher einem Hund als einem menschlichen Wesen zuordnen würde.“
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