Dann sah es zunächst so aus, als würde es überhaupt nicht mehr weitergehen. Eine feste Wand versperrte mir den weiteren Weg. Erst als ich mich direkt vor dieser Wand befand, konnte ich erkennen, dass rechts neben mir eine Treppe aus schlecht gemauerten Steinen in die Tiefe führte. Ich musste sofort an Katakomben denken und an die merkwürdigen Ereignisse, als ich den Wahrheitsgehalt der Geschichten von Lovecraft überprüfte.
Trotz meiner Bedenken betrat ich die Treppe, welche hinab in den Untergrund führte. Es war eine Wendeltreppe und sie führte mich etwa 5 Meter unter die Erde. Dort gab es einen Gang, dessen Boden aus gestampfter Erde bestand. Ich fragte mich, ob ich mich wirklich noch in der Hauptstadt Frankreichs befand, oder eine unbemerkte Reise in arabische Länder angetreten hatte.
Dieser Gang endete an einer einfachen, primitiven Holztür, welche mehr zeigte als sie verbarg. Man schien auf mich gewartet zu haben, denn ich war noch nicht ganz an die Tür heran getreten, da wurde sie mir von innen schon geöffnet.
Es war einer der Männer, welche mich eingeladen hatten.
Ohne Höflichkeitsfloskeln oder andere Phrasen eröffnete er gleich einen langen Monolog. „Macumba ist oft nur eine Sammelbezeichnung für die vielen lebendigen Traditionen aus Afrika, die bis weit in die weiße Mittelschicht hinein praktiziert werden. Diese werden die Tatsache aber nicht zugeben, denn sie öffnen sich hin zu westlichen Staaten und wollen nicht als rückständig angesehen werden.
Kennzeichnend für unsere Religion ist das Nutzen von Fetischen, weiße und schwarze Magie gehören zur Grundausstattung. Auch der Hexenglauben spielt eine enorme Rolle.
Macumba ist in unserem Heimatland Brasilien sehr negativ behaftet. Richtige Christen meiden Menschen, von denen es heißt, sie betrieben Macumba.
Letztlich stammt Macumba aus Westafrika und hat seine Entsprechung in Cuba im Santeria.
Die Sprache unserer Religion ist portugiesisch und nicht in einer afrikanischen Sprache. Das höchste Wesen, an welches wir glauben, nennen wir Zumbi.
Was uns wahrscheinlich von den anderen Kulten unterscheidet, die auch in Afrika entstanden sind, ist die besondere Verbindung mit den Toten.
Macumba unterscheidet nicht zwischen Gut und Böse, anders als das Christentum. Es gibt nur eine herrschende Kraft und die Wertefeststellung liegt dadurch immer im Auge des Betrachters. In einigen Seitenlinien des Kultes wird eine Grenze des Erlaubten darin gezogen, wo die Freiheit des anderen eingeschränkt ist. Dies ist allerdings keine gemeinsame Grundüberzeugung. Es gibt durchaus Anhänger, welche die Auffassung teilen: der oder das Stärkere überlebt. Von anderen afrikanischen Religionen werden wir sehr schräg angeschaut. Wir gelten als niederer oder gar verbrecherischer Spiritismus. Aber dies ficht uns natürlich wenig an, denn wir sind ja wie schon erwähnt der Auffassung, dass es eben nur eine Kraft gibt. Ob diese gut oder böse ist, hängt vom Betrachter und von der jeweiligen Situation ab.
Wir arbeiten stark mit den Mitteln der Zauberei. Viele Religionen arbeiten mit einem Fetisch. Selbst das christliche Abendmahl könnte man unserer Meinung nach als einen solchen bezeichnen, wenn man den Begriff etwas weiter fasst. Aber wir verstehen Fetisch nicht nur als einen kraftgeladenen Stoff, sondern im Macumba wird eine Gottheit in den Fetisch hinein gebannt. Dies erklärt auch seine übermächtige Wirkung.
All unsere Zauberei ist ausgerichtet auf den obersten Verderber aller Welten, welchen auch ihr Christen kennt. Wir benennen ihn Luzifer oder Beelzebub oder Aschtaroth. Er wird unterstützt von ganzen Heerscharen an Dämonen, welche in seinen Diensten stehen.
Wir nennen sie Exus und Du kannst getrost davon ausgehen: Alle Dämonen, welche Du dem Namen nach kennst: Sie dienen dem bösen Gott der Macumba-Zauberei. Und ihre Lieblingsfarbe ist schwarz. Unsere rituellen Gewänder sind schwarz“ (Mein Sohn, hier wurde mir richtig Angst und Bange-diese Männer trugen alle schwarze Gewänder-hieß das, sie wollten mit mir eine rituelle Handlung beginnen?).“
An dieser Stelle stockte Richard kurz. Er starrte vor sich hin und man konnte direkt erkennen, wie er die Szene noch einmal vor dem inneren Auge sah. Alexander lauschte ihm gebannt, wie er es fast immer tat. Er war fasziniert und entsetzt von dem, was sein Vater erzählte. Manchmal hatte er einfach das Gefühl, sein Leben bestehe aus verschiedensten Puzzlestücken, welche dann erst einen Sinn ergaben, wenn sie alle zusammengesetzt waren. Hier hatte er wieder dieses Sehnen im Körper. Es zog durch ihn hindurch. Alexander konnte es objektiv nicht erklären, aber dies war einer der Zeitpunkte, wo sich einfach eins zum andern fügte. Sein Vater fuhr mit seiner Erzählung fort:
„Ich konnte meinen sorgenvollen Gedanken kaum zu Ende führen, da sprach der eine wieder: „Werde nun Zeuge einer solch mächtigen Beschwörung und sei Teil des umfassenden Netzwerkes des Bösen. Hast Du die Pakete gesehen, die draußen an Straßenkreuzungen lagen? Nein, nicht im Herzen der französischen Metropole, sondern hier in der Nähe, als die Gassen immer kleiner und enger wurden? Ja, dein Blick verrät mir, dass Du sie gesehen hast. Dies waren Gaben für die Boten der Götter, für unsere Exus. Weißt Du, wir wollen und werden sie damit gefügig machen und gleichzeitig schützen wir uns durch diese Gaben vor ihnen. Denn sie sind gefährlich und sie sind auch bösartig. Jederzeit könnten sie ausbrechen und sich auch gegen uns wenden. Dies gilt es unter allen Umständen zu verhindern. Wir gehen davon aus, dass diese Boten draußen hin- und her eilen, um die verschiedenen Aufträge auszuführen. Dabei bemerken sie unsere Opfergaben und wir können uns ihrer bedienen.“
Nun, mein Sohn, senkte dieser Mann weiter die Stimme, um mir Erklärungen zu liefern. Hinter ihm aber wiegten sich seine Begleiter hin und her und begannen mit einem Ritual. Ich hörte Gesänge und ich hörte auch Beschwörungsformeln. Ich kann sie nicht wiedergeben, denn ich war der Sprache nicht mächtig. Aber ich bemerkte, dass sie extrem ernsthaft waren.
Was folgte, hörte sich an wie ein alter Abzählreim. Fast so einer, wie Kinder ihn benutzen: Sie liebt mich, sie liebt mich nicht...
Der Mann erklärte mir, dass nunmehr die Kulthandlung beginne. Wir beschwören nun Wesen, welche auf unserer Erde nicht existieren, sagte er. Wir sind die Speerspitze der Entwicklung. Wir beschwören Mächte von außerhalb jeder Vorstellungskraft. Sie existieren jenseits unseres Universums und wir werden ihnen helfen, unseren Makrokosmos zu erobern.
Du, so haben die Götter festgestellt, bist eine Gefahr für sie. Also werden wir Dir zeigen, worauf Du Dich im Begriff bist einzulassen.
Eine kleine Schüssel wurde hereingetragen. Diese war leer. Mein Begleiter bat mich hinzu und zeigte sie mir. Fast fühlte ich mich wie bei einem amateurhaften Zaubertrick, aber das ungute Gefühl wollte mich nicht verlassen. Einer der Männer nahm eine Handvoll Kaurimuscheln und warf sie in die Schale. Immer schön einzeln. Und bei jeder dieser Muscheln sprach er ein Wort aus in einer Sprache, die nicht von dieser Erde stammen konnte.
Krath (klack)
a`lyktm (klack)
chruktra (klack)
lyah (klack)
querff (klack)
lártyrhh (klack)
cherith (klack)
ia (klack)
Und mit jedem Wort klapperte eine neue Muschel in der Schale. Es klang so hohl wie Knochen in einem Zinksarg. Ich dachte, mir würde das Blut in den Adern gerinnen.
Dann wurden ein paar Stofffetzen hereingetragen, die alle ein rüsselartiges Aussehen hatten. Unter anderen Umständen hätte ich darüber gelacht, aber dies hätte nicht meiner damaligen Stimmung entsprochen. Immer wieder unter unheimlichen Beschwörungsritualen wurden Nadeln in diese Stofffetzen hineingestochen. Und Alexander, Du wirst es mir vielleicht nicht glauben, aber ich verspürte an verschiedenen Stellen meines Körpers große Schmerzen.
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