Zu keinem Zeitpunkt würde Oberkommissar Wildfang mit ungeputzten Schuhen in den Dienst kommen. Seine Jacketts sind von einem prominenten Schneider aus München, von Hand gefertigt. Der dazugehörige Schlapphut, ein echter Borsalino, stammt selbstverständlich aus Florenz. Ein sehr edles Stück um den ihn seine Kollegen alle beneiden. Broder meinte mal, „Kein Wildfang ohne seinen Borsalino.“ Sein Spitzname unter den Kollegen ist „Der Monaco“.
Walter Broder ist da eher das Gegenteil. Da kommt es schon mal vor, dass die Tasche an seiner Jacke, die er seit einigen Jahren fast täglich trägt, eingerissen ist. „Seine Jacke ist sein Firmenzeichen“, soll er mal gesagt haben. Es ist ein Sakko von der Stange, grün/braun gemustert. Als es noch neu war, hatte es einen grünen Schimmer von Eleganz. Aber das ist bereits etliche Jahre her. Walter Broder hatte vor etlichen Jahren in München zu tun, es ging um einen komplizierten Mordfall, der Grenzüberschreitend geklärt werden musste. So konnten sie ihr Wissen unter Beweis stellen.
Gerd Wildfang hat seinen Dienst bei der Einbruch- und Diebstahlsabteilung begonnen, aber nun ist er seit einigen Jahren bei der Sondereinheit Mord und Todschlag. Es gibt ein Abkommen zwischen den Dienststellen München und Salzburg, das die grenzüberschreitende Arbeit regelt. So bleibt es nicht aus, dass fast alle zwei Wochen ein dienstliches Treffen erforderlich ist. Wildfang meinte mal: „Diese Treffen sind die Highlights in unserem Leben.“
Walter Broder ist schon am Hauptportal des Präsidiums, da fällt ihm ein, dass er ja noch einen Koffer und einen kleinen Rucksack benötigt, schon wegen des Bergsteigens. Das mit dem Koffer schiebt er schon seit einiger Zeit vor sich her. Auch bei seiner letzten Reise bemerkte er, dass sein alter Koffer ziemlich ramponiert ist. Die Ecken schließen nicht mehr wirklich. Ein plötzlich einsetzender Regen würde eindringen, deshalb also der Entschluss einen Neuen anzuschaffen. Broder redet gern mit sich selbst, was seine Kollegen mit einem Lächeln abtun. So führt er gerade eine Diskussion, bei welchem Fachgeschäft er den neuen Koffer erwerben sollte. Da gäbe es zum einen den Kofferladen in der Vorstadt, hier kennt er die junge Verkäuferin. Zum anderen gibt es ein Kaufhaus im Zentrum, hier hätte er sicher eine größere Auswahl. Dann ist sein Entschluss gefallen, Susi hat er schon lange nicht mehr gesehen und so frischt er die Bekanntschaft wieder auf, so sein Gedanke.
Walter Broder geht mit samt seinem neuen Koffer auf seine Wohnungstüre zu und findet auf der Fußmatte einen Brief. „Aha, sicher eine Mieterhöhung“, brummelt er vor sich hin. Vor einer guten Woche traf er seinen Vermieter und der rief ihm zu: „In kürze kommt ein Schreiben mit einer Mieterhöhung. Aber für sie wird es erträglich sein!“
„Mal sehen, was er mit erträglich meint“, Walter Broder führt ein Selbstgespräch. Dann geht die Türe auf, die der seinen gegenüberliegt. „Ach sieh mal einer an, der Herr Broder geht wohl in Urlaub und dazu hat er sich einen neuen Koffer gekauft.“
Sein Gegenüber, das ist die „Dicke Berta“, wie er sie scherzhaft nennt. Berta hört das zwar nicht so gerne, aber Walter Broder darf das sagen. Schließlich kennen sie sich ja schon seit fast dreißig Jahren. Damals lebte Broders Frau noch. Es war eine gute Freundin von der dicken Berta. Sie gingen beide zusammen in die gleiche Klasse des Salzburger Gymnasiums und anschließend traten sie ihre Lehrstelle bei der Stadtverwaltung an. Hier lernte Broder dann seine „Kleine“, wie er sie immer nannte, kennen. Broders Frau war gerademal einsachtundfünfzig. Broder scherzte gerne, in dem er spöttelte, „Sie ist ideal für einen Kleinwagen!“ Die Dicke Berta meint, „Hast du etwa auch eine Mieterhöhung bekommen?“ „Sieht so aus, aber ich hab es noch nicht gelesen. Fällt sie denn mächtig aus?“
Berta meint, „Zwanzig Euro will er haben, als ob ihn das reich machen würde. Ach, dein Abendessen ist schon auf dem Tisch, also lass mich nicht so lange warten.“ Walter Broder schnappt sich noch ein Bier aus seinem Kühlschrank und eine Flasche Wein aus der Wachau, dann geht er nur über den schmalen Gang, die Eingangstüre steht bereits für ihn offen.
Es ist zu einem Ritual geworden, dass seine Nachbarin für ihn sorgt. Natürlich hat sie immer gehofft, dass er sie vielleicht mal heiraten würde, aber Walter Broder hat sich dazu zu keiner Zeit positiv geäußert. „Ach lass mal, in unserem Alter sollte man keine unnötigen Gefahren eingehen“, sagte er noch vor einer guten Woche zu Berta, als diese ihn auf eine eventuelle Heirat ansprach. Sie meinte im Scherz, „Es ist ja nur wegen der Rente!“ Nach dem Abendessen sitzen sie meist noch vor dem Fernseher, aber diesmal verabschiedet sich Walter Broder mit den Worten: „Du weißt ja, ab morgen beginnt der Urlaub am Chiemsee, ich muss noch Packen.“
„Du wirst doch nichts dagegen haben, wenn ich dich mal besuchen komme?“, fragt Berta mit listigem Blick. „Natürlich nicht, komm immer wann du Zeit hast, aber nimm bitte ein Zelt mit, da die Pension ausgebucht ist.“ „Du bist ein richtiges Ekel! Ich werde mir überlegen, ob ich weiter für dein Wohl sorgen werde“, frotzelt Berta. Natürlich hat sie keine andere Antwort erwartet. Schließlich lässt sie sich gerne von Walter aufziehen und gefallen lässt sie sich sowieso nichts. Walter kennt ihre kurzen, geschliffenen Antworten, die meist eine Drohung beinhalten.
In München sitzt Gerd Wildfang vor seinem abgegessenen Tisch und seine Lebensgefährtin Gerti meint, „Es wird Zeit, dass du mit dem packen anfängst.“
„Kommst du denn nicht mit“, fragt Wildfang erstaunt. „Ich komme nach, ich will noch meinen Bruder in Aschaffenburg besuchen.“ „Seit wann weißt du das denn? Gestern sprachst du noch davon, dass du gleich mitkommst. Aber mach es wie du willst.“ Verärgert und eingeschnappt geht Gerd Wildfang in sein Arbeitszimmer und blättert in der Post. Er macht das eigentlich nur, um sich abzulenken. Seit einigen Tagen spürt er, dass sein „Schätzchen“, irgendetwas auf dem Herzen hat. Vielleicht hat sie ja genug von ihm. Verstehen könnte er es ja. Sein Dienstplan in den letzten Wochen war eine einzige Katastrophe.
Bis spät in die Nacht musste er sich wegen einer Personen Überwachung die Nächte um die Ohren schlagen und rausgekommen ist dabei wie immer nichts. Gerd Wildfangs Lebensgefährtin ist eine gut aussehende Endvierzigerin. Gerti, ist aus gutem Hause, wie sie immer betont. Ihr Vater war der Vorstand einer bekannten Lebensversicherung und hat es zu einem ansehnlichen Vermögen und einem Häuschen am Stadtrand gebracht. Seinen letzten Dienstwagen durfte er behalten und mit in den verdienten Ruhestand überführen.
Seit einiger Zeit liegt Gerti ihrem „Liebling“ in den Ohren. Ihr Vater will, dass sie beide in das Haus umziehen. Die Eltern von Gerti sind über siebzig und würden sich über eine Hilfe im Haushalt von Seiten Ihrer Tochter freuen. Erst vor einer Woche, bei einem gemeinsamen Abendessen mit den Eltern wurde das Thema zum X-ten Mal angesprochen. Gerd Wildfang meinte nur, „Lass uns das auf einen günstigeren Termin verschieben.“
Gerti weiß natürlich, dass es für „Ihren“ Gerd niemals einen günstigen Termin geben wird. Zu keiner Zeit würde er seine gepflegte Wohnung in Schwabing aufgeben. Er hat sie vor siebzehn Jahren von einem Kollegen übernommen, als dieser nach Hamburg umgezogen ist. Kommissar Wildfang muss nur vor die Haustüre gehen und befindet sich im Herzen von seinem geliebten Schwabing. Das Eiscafé gleich um die Ecke und sein Lieblingsrestaurant, dass Leopold liegt fast gegenüber. So eine gute Lage, wird es nie wieder geben.
Gerd Wildfang freut sich auf den gemeinsamen Urlaub mit Walter Broder. Schon vor einem Jahr „zogen sie es gemeinsam durch“, wie Wildfang sagte. Es war eine reine Männergesellschaft, die sich auf den Weg machte. Mit drei Fahrzeugen brachen sie auf. Sechs Mann, alle von der Polizei. Das ausgemachte Ziel war der Gardasee. Riva war angesagt und der Kalterersee wurde mehrfach besucht, schon wegen des guten Weines. Auf dem Rückweg ließ es sich Walter Broder nicht nehmen eine Kiste vom Roten einzuladen. „Den schmuggeln wir“, sagte er und beide lachten bei dem Gedanken als sie es sich bildlich vorstellten.
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