Rumänien, durch das Ceausescu-Regime, durch die jahrelange Herrschaft dieses Verbrecherehepaares bis an den Abgrund eines menschenwürdigen Lebens getrieben, litt über Hunger und Not, wie kein anderes Land im damaligen Ostblock. Es fehlte an allem. Die Kinder und Rentner waren die, die am meisten darunter leiden mussten. Hunger, vor allem in den größeren Städten, von Süßigkeiten für die Kinder ganz zu schweigen, war an der Tagesordnung. Die Kinder, die an den Transitstraßen zum Schwarzen Meer wohnten erkannten schon von weitem, wenn sich ihnen Autos aus anderen Ländern näherten. Uns war an den Autonummern der Autos, die uns entgegen kamen oder die wir überholten aufgefallen, dass es nur drei Autotypen in Rumänien gab. Es waren Autos der Marke Oltena und Dacia, Eigenproduktionen dieses Landes. Mitunter sahen wir PKW der Russischen Marke Wolga, die aller Wahrscheinlichkeit nach nur Parteifunktionären zur Verfügung standen. An den Tankstellen sahen wir unüberschaubare Autoschlangen.
Gefüllte Reservekanister mitzuführen war in Rumänien verboten. Wir hatten damit kein Problem, denn der Tankinhalt unseres Lada betrug etwa fünfzig Liter. Auf einhundert Kilometer verbrauchte er 7,5 bis maximal 8 Liter.
Wenn wir damals gewusst hätten in welcher Not dieses Volk lebte, sich nach Süßigkeiten bettelnde Kinder wegen einem Bonbon in Lebensgefahr brachten, hätten wir Süßigkeiten für diese Kinder mitgenommen.
Der Fahrer, unser Gastgeber erzählte uns, dass er seit etwa sechs Jahren die Strecke Teheran-Hamburg fährt und Frachten, die im Hamburger Hafen für den Iran bestimmt sind, nach Teheran befördert. Eine Strecke bewältigte er in sechs Tagen. Die längste Pause auf dieser 5000 Kilometer langen Route legte er in Sofia ein. Er verbrachte diese Pause bei seiner Familie, am Stadtrand der bulgarischen Hauptstadt Sofia.
Er hatte, etwa ein Jahr zuvor ein kleines Einfamilienhaus für seine Familie erworben.
Seinen Stolz darüber konnten wir ihm angesehen.
Jahresurlaub, oder einzelne Urlaubstage nahm er nie, für uns unvorstellbar.
Er verdiente damals etwa 180 Lew, ein sehr guter Verdienst im damaligen Bulgarien, sowie 750 US-Dollar monatlich, die vom Iranischen Auftraggeber gezahlt wurden.
Das Haus war bezahlt. Er hatte sich vorgenommen noch etwa vier Jahre dieser Arbeit nach zu gehen um dann so viel Geld verdient zu haben, das er sich zur Ruhe setzen konnte, oder ganz unabhängig und ohne Notwendigkeit mal hier mal dort mit Hand anlegt, um sich ein paar Lew als Taschengeld dazu zu verdienen. Wir fragten ihn, ob denn der kurze Zwischenaufenthalt zu Hause ausreicht um genügend Kräfte für diese anstrengenden Touren zu sammeln.
Er meinte ganz verschmitzt: „natürlich, was denkt ihr denn! Zuerst wird, nach der Ankunft zu Hause geduscht, dann gut gegessen, dann werden die Kinder gezüchtigt und ins Bett gesteckt. Wenn sie eingeschlafen sind wird die Frau beglückt und nach acht Stunden Schlaf geht`s dann wieder auf Tour.“
Uns fehlten die Worte, aber gemeinsam begannen wir zu lachen. Wir verabschiedeten uns und sahen nach diesem Erlebnis einen guten Freund in ihm.
Noch heute bin ich davon überzeugt, wir setzten unseren Weg vor ihm in die gleiche Richtung fort, wenn wir aus irgendwelchen Gründen in Gefahr geraten wären, er hätte uns beigestanden und geholfen! Ganz bestimmt ohne zu seinen Gunsten, oder finanzielle Hintergedanken.
Wir erreichten, zu unserem Erstaunen auf gut ausgebauten Straßen, das „Eiserne Tor.“
Schon von weitem erkannten wir eine traumhaft schöne und außergewöhnliche Landschaft, die wir beide in unserem Leben so noch nie gesehen hatten. Vor uns lag das wohl schönste Stück der Donau, die Gebirgsdurchbrüche und als Krönung, das „Eiserne Tor.“
Es gilt als einer der imposantesten Taldurchbrüche Europas. Auf der rumänischen Seite wurde der "Naturpark Eisernes Tor" eingerichtet. Auf der gegenüberliegenden Seite der Donau befindet sich Serbien.
Wir sahen Wachtürme der Rumänischen Grenzbehörden. Uns war bekannt, dass es in der Vergangenheit einigen DDR-Bürgern gelungen war die Donau zu durchschwimmen, oder sie mit einem Schlauchboot nach Serbien zu überqueren, die DDR so für immer zu verlassen.
Die Behörden des Blockfreien Jugoslawischen Staates, dazu gehörte auch Serbien, lieferten keine Bürger des Ostblocks aus, denen die Flucht gelungen war. Heute, wenn man sich mit Freunden, Bekannten, zum Teil auch mit Familienangehörigen über dieses leidige Thema unterhält, stoße ich sehr oft auf Unverständnis, wenn ich sinngemäß unsere damalige Meinung äußere.
Wir hatten nichts auszustehen, hatten Arbeit und fühlten uns in sozialer Sicherheit. Warum hätten wir eine Flucht ins Ungewisse riskieren sollen? Für gute Schwimmer oder mit einem Schlauchboot soll es nicht so gefährlich gewesen sein über diese Grenze in den Westen zu gelangen, als den Weg über die Grenzsicherungsanlagen der DDR, der damaligen CSSR, sowie denen der Volksrepublik Ungarn zu überwinden.
Wir waren uns immer darüber einig die DDR nicht zu verlassen. Wir führten ein intaktes Familienleben, liebten unsere Kinder und waren stolz auf dass, was wir uns aufgebaut hatten und dem, was wir uns leisten konnten.
Mit voller Überzeugung sehe ich mich heute als Mitläufer in diesem verbrecherischen DDR-Regime. Ich machte mir damals keine Gedanken über die politischen und wirtschaftlichen Missstände in diesem Land, sondern sorgte für das Wohl meiner Familie. Noch heute bin ich der Meinung, dass ich mich nicht dafür schämen muss!
Auf einem kleinen Parkplatz, unmittelbar am Fluss, legten wir eine kurze Rast ein, um diese Naturschönheit in aller Ruhe zu bewundern.
Die in das Tal gebettete Donau, die steilen Berge links und rechts der Ufer, wir waren überwältigt, kaum fähig ein Wort zu sprechen.
In dieser Ruhe nahm ich wahr, dass sich ein Auto, wahrscheinlich mit einer defekten Auspuffanlage näherte. Ich behielt Recht, denn nur wenige Minuten später fuhr ein PKW-Dacia auf diesen Parkplatz. Ein Dacia, ich war verwundert, tief bis fast auf den Boden hängend, wahrscheinlich mit defekten Stoßdämpfern und Federn sowie klapperndem Motor. Er war, nach meinem Erstaunen noch in der Lage, sich mit eigener Kraft fortzubewegen. Ihm entstieg ein Ehepaar, etwa um die vierzig.
Der Mann öffnete die Motorhaube dieses Vehikels, nahm dann einen Kanister aus dem Kofferraum (die Klappe war mit einem Vorhängeschloss und einer Kette gesichert) und füllte, aller Wahrscheinlichkeit, Motorenöl in den Motor. Ich beobachtete im Blickwinkel dass er uns musterte, sich wahrscheinlich Gedanken machte wo wir denn herkommen und wohin unsere Reise geht. Beide waren gut angezogen, dieses Auto passte ganz einfach nicht zu ihnen.
Wir wollten unseren Weg fortsetzen. Es blieb aber beim wollen. Als wir in unser Auto stiegen kam er zu uns. Er sprach kein Wort Deutsch, gab uns aber mit Gesten zu verstehen, dass wir doch diese paar Meter zu ihrem Auto kommen möchten. Ich dachte er benötigte unsere Hilfe, aber ich hatte mich damit geirrt. Dem Kofferraum hatte seine Frau inzwischen einen kleinen Gas-Grill entnommen, einen Fisch, ich glaube es war ein Wels und ein angerostetes Messer. Wir verstanden die Einladung und waren ganz einfach nicht in der Lage diese abzulehnen. Ganz wohl fühlte ich mich dabei nicht, denn wir hatten noch etwa 150 Kilometer bis zum Grenzübergang Vidin vor uns.
Es war gegen 14/15Uhr und bis zur Dunkelheit mussten wir diese Strecke schaffen. Wir wussten ja nicht im Voraus was uns noch alles erwartet.
Die Paprikafrüchte, Tomaten und Pfirsiche, die wir in Ungarn eingekauft hatten und die uns der LKW-Fahrer zuvor beim Spiegeleieressen wieder zurück in unseren Kofferraum hat bringen lassen, wollten wir diesem Picknick beisteuern. Aber dieses Ehepaar lachte und er schlug mir auf meine Schultern. Dann holte er aus seinem Kofferraum Obst und natürlich, natürlich auch Paprikaschoten, und bat mich, meine „Zugaben“ doch bitte wieder in unserem Auto zu verstauen.
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