„Lass uns erstmal zu Peter und Anna gehen, um sie zu begrüßen“, schlägt Rudi vor. Franzi antwortet: „O.K., machen wir!“
Mein Menschenrudel läuft einen kleinen Weg entlang, der zum vorderen Grundstücksteil führt. Wegen des dichten Bewuchses habe ich ziemlich Schwierigkeiten ihnen zu folgen. Franzi erlöst mich von diesem Albtraum und nimmt mich wieder auf den Arm, während Rudi mein kleines Problem gar nicht mitbekommen hat. Wir betreten einen kleinen Innenhof mit einer halbverfallenen Scheune und einem alten Haus. Der alte, etwas heruntergekommene Bauernhof hat viele Ähnlichkeiten mit dem Gehöft in Ungarn, wo ich vor einigen Wochen das Licht der Welt erblickt habe.
Rudis und Franzis Mieter begrüßen uns im Innenhof. Peter ist ein kleiner Mann um die 50, der immer nur kichert und wie ein Waschweib schwätzt. Rudi hat vor dem Treffen erzählt, dass er früher mal Pferde-Jockey war und heute nur noch von Sozialleistungen lebt. Sein Spitzname ist Indien-Peter, weil er früher jahrelang in Indien gelebt hat. Seine Frau Anna ist ungefähr so alt wie Peter und häufig von ihm genervt. Sie haben ein gemeinsames, zehnjähriges Kind, um das sie sich rührend kümmern. Anna war früher einmal heroinabhängig, aber sie hat dieses Kapitel glücklicherweise abgeschlossen. Franzi und Rudi setzen sich an einen großen, wackligen Tisch mit alten Holzstühlen. Franzi platziert mich erneut auf ihren Schoss, damit ich keinen Blödsinn veranstalte. Die vier erwachsenen Menschen unterhalten sich angeregt bei Kaffee und Kuchen, während das Kind im Garten spielt. Peter bietet Rudi einen Joint an, dessen getrocknetes Gras von den auf dem Grundstück selbst angepflanzten Marihuana-Pflanzen stammt. Rudi lehnt das Angebot nicht ab, auch Franzi zieht wenig später genüsslich am Joint.
„Haus und Scheune sind völlig marode“, sagt Peter. Rudi antwortet: „Ich weiß, dass alles am Arsch ist.“ „Eigentlich ist die Miete viel zu hoch“, meint er. „Willst du weniger bezahlen?“ fragt Rudi. „Wir können ja mal darüber diskutieren, weil ich mal wieder pleite bin“, erzählt er. „Du weißt, dass die 300 DM im Monat sowieso schon ein Freundschaftspreis sind“, sagt Rudi. „Ja, ja, aber ich bin trotzdem pleite“, meint er. „Ich kann dich hier nicht gratis wohnen lassen. Alleine schon nicht wegen der Nebenkosten, die monatlich anfallen. Für mich ist es wichtig eine vermietete Immobilie zu haben, um Steuern zu sparen“, sagt Rudi. „Ich kann dir die Rechnungs-Bons fürs Finanzamt auch weiterhin geben, aber bitte ohne die Mietzahlung“, schlägt er vor. „Ich kann auf die 300 DM nicht verzichten. Diese Summe ist gar nichts, ein Fliegenschiss bei diesem großen Grundstück“, entgegnet Rudi. „Du wirst keinen anderen Mieter finden, ohne vorher in das Haus investiert zu haben“, sagt er. „Ja, du hast Recht! Da ich nichts investieren werde, werde ich auch keinen anderen Mieter finden. Aber für dich gibt es diesen Spezialpreis“, erklärt Rudi. „Na, dann muss ich wohl die bittere Pille schlucken“, meint er resigniert. „Es wird einem im Leben eben nichts geschenkt“, kommentiert Rudi.
Die beiden Männer erheben sich vom Kaffeetisch und gehen in die Scheune. Franzi und Anna bleiben sitzen, um sich zu unterhalten. Kurzentschlossen springe ich Franzi vom Schoss und renne ihnen hinterher in die Scheune. Schnell finde ich Rudi und beiße ihm freundschaftlich in den linken Socken.
„Aua, nicht beißen“, sagt Rudi zu mir. Peter meint: „Die Scheune ist kurz vorm zusammenfallen!“ „Sie hat oben im vorderen Giebel ein großes Loch, aber ich glaube nicht, dass sie einstürzt, sonst wäre es bereits passiert“, sagt Rudi. „Du bist ja ein richtiger Optimist“, entgegnet er. „Nee, ich bin ein echter Realist“, stellt Rudi klar.
Die Beiden verlassen die Scheune, laufen über den Innenhof und betreten das Wohnhaus. Natürlich renne ich ihnen hinterher, weil ich den Ausflug äußerst spannend finde. Was ist das hier für eine elendige Hütte! Im Haus ist es äußerst kalt und staubig. Indien-Peter scheint ein ziemlich chaotischer Mensch zu sein. In einem Raum stehen große selbstgemalte Gemälde und Farbtöpfe, wahrscheinlich ist er ein Künstler. Beim Überprüfen der Töpfe tauche ich mit meiner Nase zu tief in einen gelben Farbtopf ein. Natürlich ist sie nun gelb, aber Rudi wischt sie schnell mit seinem Taschentuch sauber. Mein Missgeschick war sehr unangenehm für mich, weil ich an der Nase sehr empfindlich bin. Außerdem stinkt die Farbe so furchtbar, dass ich deswegen nießen muss. So macht man als Junghund seine Lebenserfahrungen! Die ungleichen Herren laufen durch alle Räume und unterhalten sich. Neugierig folge ich ihnen, denn hier ist viel zu entdecken. Peter hat vor unserem Besuch alle Fenster geöffnet, damit frische Luft hereinkommt. Zum Inventar gehören auch zwei Allesbrenneröfen, die nach alter Asche riechen. Im Winter wird es hier wegen der Kälte bestimmt kaum aushaltbar sein.
Nach dem Rundgang durch die untere Etage des Hauses steigen Rudi und Peter eine steile Holztreppe zum Dachboden hinauf. Ich schaffe es nicht ihnen zu folgen und lasse meine kläglichen Miep-Geräusche ab, damit Rudi mich mitnimmt. Tatsächlich dreht er nochmal um, kommt zu mir herunter, nimmt mich auf den Arm und steigt mit mir erneut die Treppe hinauf. Oben angekommen lässt er mich frei laufen, was keine gute Idee war. Hier ist es noch staubiger und dreckiger als unten in der Wohnung, sodass ich nach kurzer Zeit statt einem weißem Fell ein graues habe. Nach der Dachinspektion nimmt mich Rudi auf den Arm und läuft mit Peter wieder die Treppe hinunter. Anschließend verlassen wir das Haus, betreten den Innenhof, gehen ein Stück an der Hauswand entlang und steigen dann eine Außentreppe hinunter bis zum Kellereingang. Vorsichtshalber lässt mich Rudi auf dem Arm, was ich mittlerweile wegen der vielen Unzugänglichkeiten sehr begrüße. Im Keller befindet sich nur eine winzige Lampe an der Decke, die nur wenig Licht spendet. Hier ist es kalt und modrig-feucht. Die Männer kontrollieren einen hauseigenen Brunnen mit Druckbehälter, dann verlassen sie zum Glück das furchtbare Verlies und setzen sich wieder an den Kaffeetisch zu den beiden Frauen, die immer noch angeregt tratschen. Rudi lässt mich weiter auf seinen Schoss sitzen. Angestrengt passe ich auf, dass ich ihm nicht auf die Hose pisse.
„Was hat mich nur geritten, so eine verkeimte Polenkate zu kaufen“, sagt Rudi. Peter meint: „Du kannst froh sein, dass dein Anwesen noch nicht zusammengekracht ist. Schau dir nur mal die Westwand des Hauses zur alten Nachbarin und den Scheunengiebel an.“ „Ich habe aber leider nicht das Geld, um zu investieren! Und die Miete kann ich dir auch nicht erlassen“, sagt Rudi. „Ja, ja, ich hab´s kapiert! Dann machen wir so weiter wie bisher“, antwortet er resigniert. „Ist doch o.k.! Du hast hier einen super Fleck, um deine Kunst zu machen und um Gras anzubauen, weil niemand von den Landeiern im Dorf etwas merkt“, stellt Rudi fest.
Dieses Stichwort beflügelt Peter einen neuen Joint zu bauen. Rudi setzt mich auf den Boden und sagt zu Franzi: „Lass uns noch ein bisschen laufen!“ Sie antwortet: „O.K., machen wir!“ Wenig später erheben sie sich von ihren Stühlen und laufen den kleinen Mittelweg auf dem Grundstück zurück zum Hintereingang. Hocherfreut folge ich ihnen, weil ich Spaziergänge toll finde, fast so gut wie Fressen und Schlafen.
Gleich hinter dem Bauernhof beginnt ein kleiner Feldweg, den wir für unsere Wanderung nutzen. Links und rechts sind große Getreidefelder, die kein Ende zu haben scheinen. Wie eine Verrückte flitze ich hin und her und freue mich des Lebens. Überall sind duftende Blumen, Schmetterlinge flattern durch die Luft, manchmal fliegen Bienen an meinem Kopf vorbei. An einem Pferdekegel stoppe ich und bestaune das seltsame Ding, weil ich so etwas so niemals gesehen habe. Da der Geruch äußerst interessant ist, beiße ich hinein und fresse etwas davon. Es schmeckt wunderbar!
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