Mittlerweile ist eine Woche vergangen, in der ich vieles über mein neues Zuhause und meinen neuen Kiez gelernt habe. Außerdem habe ich meine Bezugspersonen besser kennengelernt, die sich weiterhin mit mir große Mühe geben. Leider bin ich immer noch nicht stubenrein, sodass einer von den Beiden alle zwei Stunden mit mir vor die Tür gehen muss. Franzi ist wegen meiner Inkontinenz etwas genervt, weil es für sie furchtbar ist, permanent meine Flecken entfernen zu müssen, denn sie hat einen Sauberkeitstick. In der ganzen Dachwohnung ist keine einzige Staubfluse zu finden. Auch Bad und Küche blitzen wie neu, weil Franzi ständig am Putzen ist. Eigentlich passt ein Hund nicht in solch ein sauberes Ambiente, da er immer etwas Dreck von draußen mit hereinbringt. Rudi hat zum Glück keinen Putzfimmel. Meines Erachtens würde er sich auch in einer weniger sauberen Wohnung wohlfühlen. Wahrscheinlich putzt er erst das Klosett, wenn es anfängt zu stinken. Mir gefällt seine Einstellung zur Reinlichkeit wesentlich besser, als Franzis.
Für Franzi bin ich eindeutig ein Ersatzbaby, das sie beschützt wie ihr eigenes Kind. Gleichzeitig ist sie häufig furchtbar streng mit mir und bestraft mich prompt, wenn ich irgendetwas falsch gemacht habe, indem sie mich am Halsnacken greift und kräftig durchschüttelt. Gleichzeitig sagt sie dann immer: „Nein, nein, nein!“ Manchmal will sie mich auch bestrafen, indem sie mich ignoriert. Aber dieses Verhalten ist mir völlig egal, weil ich dann zu Rudi laufe, der sich immer freut, wenn ich zu ihm komme. In der Regel ist er nicht streng mit mir, stattdessen ist er der ideale Partner, um zu toben.
Manchmal haben meine Bezugspersonen auch Streit miteinander, der meistens äußerst heftig abläuft. Franzi benimmt sich dann wie eine verrückte Kampfhenne, die sich in Rage auf Rudi stürzt, um mit ihm zu kämpfen. Franzis heftige Ausbrüche verstehe ich nicht, weil Hunde innerhalb eines Rudels so etwas niemals machen würden. Dort gibt es ausschließlich Rangordnungsauseinandersetzungen, aber keine ernst gemeinten Angriffe. Bei solchen Tätlichkeiten gewinnt meistens Rudi, weil er körperlich der Stärkere ist. Der Kampf endet meistens, dass Rudi auf Franzis Brust sitzt, während sie auf dem Rücken liegt und hyperventiliert. Nach einigen Minuten erhebt sich danach Rudi vorsichtig, um den Streit zu beenden. Allerdings greift sie ihn häufig danach wie eine verrückte Henne erneut an. Diese Anwandlungen von Franzi verstehe ich überhaupt nicht. Die Auslöser sind meistens harmlose Diskussionen, die in Sticheleien übergehen und im Gebrüll mit tätlichen Auseinandersetzungen enden. Wenn sie sich dann wieder unter Kontrolle hat, schmollt sie viele Tage mit ihm, indem sie kein Wort mehr spricht. Die Menschen sind schon ziemlich seltsam. Für einen Hund sind diese komischen Verhaltensweisen kaum zu verstehen. Wenn Franzi und Rudi solche heftigen Konflikte haben, verziehe ich mich in die letzte Ecke der Wohnung, weil ich nicht auch noch mit Franzi kämpfen will. Nach meiner Auffassung leidet Rudi unter diesen Konflikten enorm. Leider ist er nicht in der Lage, das Problem zu lösen. Armer Rudi, da hast du wirklich ein schwieriges Weib an deiner Seite. Vielleicht wäre es für Rudi besser, wenn er sich ein neues Weibchen suchen würde.
Nach dem gemeinsamen Frühstück laufen wir die Treppen hinunter. Natürlich haben sie mir mein Halsband angelegt, damit mich Franzi führen kann. Als wir auf dem Bürgersteig angekommen sind, laufen wir zielstrebig zum Auto, das nicht weit entfernt geparkt ist. Endlich kann ich pinkeln, was auch schon dringend notwendig war, denn beinah hätte ich ins Treppenhaus gepinkelt. Rudi schließt den VW-Bus auf und öffnet die Schiebetür, damit Franzi und ich einsteigen können.
„Schön, dass wir mal wieder nach Wusterwitz ins Grüne fahren“, meint Franzi erfreut. Rudi antwortet: „Ja, es ist furchtbar, wenn man immer nur in der Stadt ist.“ „Außerdem kann sich Tisza dort prima im Garten austoben“, meint sie. „Ich muss mich heute unbedingt um den Garten kümmern, der ist mittlerweile bestimmt schon völlig zugewachsen“, kündigt er an. „Leider kümmern sich unsere Mieter, Peter und Anna, nur um den vorderen Teil des Bauerhofes, sodass wir den hinteren, nichtvermieteten Garten selbst in Schuss halten müssen“, stellt sie fest. „Ich habe eine Sense dabei, damit wird alles schnell wieder in Ordnung sein“, sagt er. „Wollen wir heute im Bus übernachten?“ fragt sie. „Na, logisch“, antwortet er.
Leider darf ich den riesigen Bus nicht erkunden, weil mich Franzi als Beifahrerin während der Fahrt auf ihren Schoss gesetzt hat und mich erbarmungslos festhält. Somit habe ich keine Chance ihr zu entweichen. Gott sei Dank bin ich groß genug, um wenigstens aus dem rechten Seitenfenster schauen zu können, denn ich bin sehr daran interessiert mein neues Umland kennenzulernen.
Zunächst fahren wir durch die nicht enden wollende riesige Stadt mit den unzähligen, großen Häusern und den vielen Straßenbäumen. Am Stadtrand werden die Häuser etwas kleiner. Waldgebiete tauchen vermehrt auf. Als wir uns auf der Autobahn befinden, rast die Landschaft an mir vorbei, weil Rudi sehr schnell fährt. Jetzt kann ich kaum noch Einzelheiten erkennen und mir wird ein wenig schwindelig. Aus diesem Grund lege ich mich auf Franzis Schoss und rolle mich zusammen. Ein kleines Schläfchen zur Entspannung ist jetzt nicht schlecht.
Unser Bus ächzt in den Achsen wegen der schlechten Straße, sodass ich wach werde. Wir befinden uns nicht mehr auf der Autobahn, sondern passieren auf einer kleinen Landstraße mehrere Dörfer, die zwischendurch von riesigen Feldern und Kieferwäldern unterbrochen werden. Manchmal sehe ich Kühe auf der Weide stehen, die gemütlich ihr Gras fressen. Auf einem Kirchturm sitzen zwei Störche, die sich um ihren Nachwuchs kümmern. Hier sieht es etwas so aus wie in Ungarn, deswegen bekomme ich ein wenig Heimweh nach meinem ungarischen Bauernhof mit meiner Mutter und meinen chaotischen Geschwistern. Aber leider bin ich nicht mehr in Ungarn sondern in der Mark Brandenburg. Letztendlich bin ich mit meinem neuen Rudel ganz zufrieden, denn es geht mir sehr gut bei Franzi und Rudi. Vielleicht geht es mir sogar besser, als meinen Geschwistern. Was aus ihnen wohl geworden ist? Hunde werden in Ungarn häufig nicht so menschlich behandelt wie in Deutschland, somit ist es nicht unwahrscheinlich, wenn ich die Einzige bin, die von unserem Wurf überleben wird.
Nachdem wir durch einen großen Wald gefahren sind, erreichen wir ein größeres Dorf mit dem Namen Wusterwitz, das an einem großen See liegt. Auf dem Gewässer befinden sich einige Motor- und Segelboote, die langsam ihre Bahnen ziehen. Da heute die Temperaturen sehr angenehm warm sind, sind einige Badegäste am Strand zu sehen. Ein paar Mutige wagen es sogar in die Fluten zu steigen. Wenn mein Menschen-Rudel jetzt ins Wasser gehen würde, würde ich ihnen sicherlich aus Neugierde folgen. Aber Rudi denkt nicht daran anzuhalten, sondern lenkt den Bus quer durchs Dorf bis auf einen Sandweg mit großen Schlaglöchern, sodass wir erneut kräftig durchgeschüttelt werden. Am Ende des Weges hält er vor einer Grundstückseinfahrt, weil uns ein verrostetes Tor an der Weiterfahrt hindert. Rudi steigt aus und schließt ein Vorhängeschloss auf, das eine Stahlkette zusammenhält. Anschließend öffnet er das Tor, kommt zurück zum Bus und fährt ihn aufs Grundstück. Im dichten Gras parkt er, steigt aus und läuft zurück zum Tor, um es sorgfältig zu verschließen.
Franzi setzt mich ohne Leine ins Gras. Als erste Handlung pinkele ich erleichtert auf dem Grundstück. Anschließend erkunde ich gründlich hoch interessiert mit meiner Nase das Terrain. Leider ist hier die Vegetation so üppig, deswegen kann ich mich mit meinen kurzen Beinen kaum vorwärts bewegen. Was für eine ungerechte Welt!
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