Den wenigen Anhaltspunkten nach zu urteilen, war wahrscheinlich, dass ich eher eine Frau gewesen war.
Gesichert war diese Annahme keineswegs, doch anzunehmen, besah ich mir meine Erinnerungsfetzen. Das war nun eine interessante Überlegung. Wenn dem so wäre, warum wäre das so, fragte ich mich. War das einfach eine Grundvoraussetzung? Gab es männliche und weibliche Seelen? Dann wäre es ja für eine einzelne Seele niemals möglich, alle Erfahrungen zu machen. Schließlich gab es welche, die nur auf männliche Weise erlebt werden konnten und Erfahrungen die nur von Frauen gemacht werden konnten. Wie dieses Erlebnis etwa, in welches ich Kilian gerade begleitete, oder wie es war, ein Kind zu gebären und zu stillen.
Weiter kam ich nicht in meinen Gedankengängen, Kilian forderte schließlich auch meine Aufmerksamkeit und außerdem war ich nach wie vor in tiefer Unruhe angesichts dieser sich überschlagenden Ereignisse.
Nach der Reitvorführung suchte Kilian vorerst Gebhard auf, um ihm nochmals aufrichtig zu danken, für die Möglichkeit, die Fertigkeit des Reitens erlernen zu dürfen.
„Gerne junger Krieger, ich glaube, du hast gute Voraussetzungen. Bist bedächtig genug für die Viecher. Außerdem hoffe ich, dass du einer jener Männer bist, die sowohl Waffen als auch Tier zeitgleich geschickt zu führen vermögen. Wir werden ja sehen, ich werde selbst dieses Handwerk erst erlernen müssen. Womöglich handhabst du das Ganze geschickter als ich.“ „Ich vermute nicht, aber ich werde mich bemühen.“, antwortete Kilian lachend. „Warum kann Arvid nicht teilnehmen?“,
fragte er noch, da er, als er glücklich über diese Neuerung sofort seinen Freund davon unterrichtet hatte, erfahren musste, dass dieser wohl nicht ausgewählt worden war. Kaum spürbar stand seither dieses Thema zwischen den Freunden. „Ja, das bedauere ich selbst, doch vorerst sind nur zehn Krieger eines jeden Stammes zur Ausbildung geladen und es hätte tiefe Unruhe in die Männer gebracht, hätte ich euch beide teilnehmen lassen. Ich musste zusehen, dass ich das gerecht verteile.“ „ Ja, sicher, ich versteh schon.“ Kilian bedauerte diese Tatsache aufrichtig, doch in sehr kleinem Ausmaß entstand auch ein wenig selbstgerechte Freude. So etwas wird natürlich auch von uns im Auge behalten. Doch Kilian selbst erkannte diesen Zug seines hinterhältigen Egos und war sofort daran, diese Empfindung zu neutralisieren. Er spürte selbst, dass solche Gefühle unangemessen waren.
Der Tag neigte sich dem Ende zu und besagter Umtrunk rückte unweigerlich näher. Nach wie vor war ich zutiefst entsetzt und betrübt über die Erkenntnis meiner Eifersucht und all den beunruhigenden Neuigkeiten. Doch trotz dieser vorhandenen, wirklich schweren Schuldgefühle verschwanden die Auslöser derselben nicht gänzlich, was meine Unruhe erneut steigerte.
In mir wehrte sich nach wie vor ein doch beträchtlicher Teil, Kilian erneut in Wunnas Arme zu treiben. Ich wusste, dass das nicht sein durfte, schaffte es aber nicht, diese Empfindung zu besiegen.
Noch war sie jedoch mitsamt ihrem vorbildlichen Begleiter noch nirgends zu sehen.
Stattdessen trafen wir wieder auf Arvid und seinen Schutzengel, welcher mich nach wie vor besorgt musterte. „Siehst nicht gut aus. Falls ich aus deinen Farben lesen darf.“ „Nein, mir geht’s auch nicht so besonders, und das Schlimme ist, dass es trotz des Wissens nicht wirklich aufhört.“ „Du weißt aber schon, dass du wahrscheinlich heute die Ehre haben wirst, deinen Schützling zu seiner ersten Vereinigung zu führen?“ „Sicher weiß ich das!“, antwortete ich gereizt, um noch trotzig hinzu zu fügen. „Ich will aber nicht!“ „Pst, sei vorsichtig mit solchen Äußerungen. Du weißt, dass bei solchen Sachen kein Spaß verstanden wird.“ „Ja, meine Güte, ich hab mir diese Gefühle ja nicht eingepflanzt!“ „Ich weiß schon, finde es ja auch nach wie vor seltsam. Ich mein‘s ja nicht böse, ich möchte doch nur nicht, dass alles noch anstrengender wird für dich.“ „Weiß schon.“
Kilian und Arvid unterhielten sich und feuerten sich gegenseitig für die kommende Nacht an, tranken und lachten zusammen und nur wir merkten, dass diese kleine Unausgeglichenheit wegen des Reitens nach wie vor vorhanden war. Dass Kilian ausgewählt war und Arvid nicht, belastete die Freundschaft ein kleines bisschen. Etwas Neid auf Arvids Seite, etwas Selbstgefälligkeit auf Kilians Seite, doch im Moment war das nicht wichtig.
Ich entdeckte Wunna, bevor Kilian sie sah und eine so plötzliche Welle übelster Empfindungen überrollte mich, dass ich im ersten Moment nur dorthin starrte und zu nichts fähig war. Eine sehr schwache Stimme meinte zwar, ich müsse Kilian auf sie aufmerksam machen - Ihn lotsen, die richtige Gedanken anstupsen, adäquate Handlungen einleiten, ihren Schutzengel herbeirufen.
Von meinen Emotionen völlig besessen, waren diese Ratschläge jedoch einfach zutiefst utopisch. Ich konnte Kilian einfach nicht zu ihr führen. Konnte nicht und wollte nicht! Mir war klar, dass ich gegen alles verstieß, was mir beigebracht worden war. War aber gleichzeitig überzeugt, dass das von mir auch nicht verlangt werden könne. Auch relativierte ich meine Unlust, indem ich mir einredete, für einen Krieger wäre es völlig nebensächlich, die Frauen zu erkunden - Ja eigentlich sogar eine gefährliche Ablenkung. Ich glaubte diese Thesen nicht gänzlich, doch sie verharmlosten meine unangemessenen Gefühle soweit, dass ich mich mit diesen im Recht wägte. Ich im Recht, Gott lag falsch. Ich musste zugeben, dass war schon eine doch recht haarsträubende Anmaßung. Egal! Ich war sauer. Ich bekam ja noch nicht einmal eine Erklärung für all das, da war es das Mindeste, mir solche Gedanken zu verzeihen.
Hätten Michael und die oberen vielleicht auch, doch es blieb nicht bei Gedanken.
Einem spontanen Impuls folgend machte ich Kilian auf einen edlen Krieger aufmerksam, welcher ein atemberaubendes Schwert mit sich führte. Viele Menschen drängten sich um ihn und in diese dichte Masse führte ich Kilian nun zielstrebig. Ich sah noch den entsetzten Blick von Wunnas Schutzengel und Arvids Begleiter rief mich verzweifelt zur Umkehr auf, doch ich führte meine Handlung trotzig fort.
Kilian selbst wunderte sich, woher dieses plötzliche Interesse kam und war etwas irritiert, doch bisher konnte er sich ja immer auf seine spontane Intuition verlassen. Zumeist waren oft recht positive Wendungen zustande gekommen, hatte er auf seine innere Stimme gehört. Er war überzeugt, dass es schon irgendeinen verdeckten Sinn hätte, auch dieses Mal darauf zu vertrauen. Ich gebe zu, in diesem Moment streifte mich ein schlechtes Gewissen, wurde mir doch recht deutlich, dass ich sein Vertrauen gerade missbrauchte.
Doch nicht nur das streifte mich. Mit einer Gewalt, die nicht zu beschreiben ist, schoss plötzlich ein entsetzlich harter Strahl auf mich herab, in mich hinein, durch mich hindurch, um sich dann blitzschnell aus mir zurückzuziehen. Mit ungeheuerlicher Kraft schleuderte es mich plötzlich einige hundert Meter aus Kilians Nähe, um mich sogleich in rasender Geschwindigkeit zurückzuziehen. Begleitet von einem so zerreißenden Schmerz, dass ich völlig panisch wurde.
Im nächsten Moment stoppte all das und ich befand mich wieder an Kilians Seite.
Jedoch, etwas stimmte nicht. Es benötigte einige Sekunden bis ich realisierte, dass ich mich zwar neben ihm befand, doch abgegrenzt war von seiner Aura. Ohne auch nur eine winzige Möglichkeit der Verbindung zu erkennen. Wie in einer wabernden, undurchdringlichen Seifenblase gefangen. Entsetzt nahm ich all dies wahr und sah direkt neben mir einen meiner Kollegen. Zu nah. Nein! Dieser befand sich in Kilians Astralkörper. Nicht nur das, mit deutlichen Anweisungen führte er ihn aus der Menge heraus Wunna entgegen.
Читать дальше