Der Schaukampf mit den Pferden war äußerst beeindruckend und Kilian schaffte es nun doch für einen geraumen Zeitraum, seine Aufmerksamkeit diesem Ereignis zu widmen.
Ja, das wollte er unbedingt lernen. Verspätet kam nun auch bei ihm an, welch große Ehre es war, ausgewählt zu sein, diese Kunst ausüben zu dürfen. Er war zutiefst beschämt, Gebhard nicht den gebührenden Dank gezeigt zu haben. Er nahm sich vor, dies zum nächstmöglichen Zeitpunkt besser zum Ausdruck zu bringen.
Erstaunlich um wie vieles überlegener man auf einem Pferd sitzend seinen Feinden war. Nun, wenn man es schaffte, dieses zu beherrschen. Kilian wusste, dass bereits das eine Herausforderung darstellen würde. Seine Begeisterung war entfacht und er hatte den Vorsatz, hart zu trainieren um dieses Ziel zu erreichen.
„Sei gegrüßt junger Krieger!“, begrüßte ihn Wunna plötzlich. Beide überrumpelt wechselten wir unverzüglich die Farben. „Oh, guten Tag.“, stammelte Kilian. Kommentarlos begutachtete Wunnas Engel erneut meine Kleiderfarbe und auch Arvids Engel betrachtete mich irritiert.
Auch ohne diese unerwünschte Aufmerksamkeit war mir bewusst, wie ich schon wieder aussehen musste. Stur blickte ich geradeaus. Nach einem kleinen Plausch, verabschiedete sich Wunna auch schon wieder - Am Abend wollten sich die Beiden auf einem kleinen Umtrunk erneut treffen.
Plötzlich wurden wir durch lautes Geschrei und Gezeter auf zwei andere Frauen aufmerksam. Sowohl Kilian und Arvid als auch wir zwei Schutzengel richteten unsere Aufmerksamkeit auf dieses Ereignis. Wir hörten wie sich eine der Frauen ereiferte, dass sie so eine Unverschämtheit nie wieder dulden würde. Sie schrie die andere Frau an, sie solle ihre Finger bei sich lassen und drohte mit Mord, würde diese sich ihrem Mann in Zukunft auch nur nähern.
Mit liebevollem, aber doch leicht besorgtem Grinsen meinte Arvids Engel zu mir: „Schau dir mal die Aura der Frau an, lieber Kollege. Oder soll ich sagen, Kollegin?“ Entsetzt blickte ich abwechselnd zwischen mir und der schreienden Frau hin und her. Immer ungläubiger und fast schon panisch steigerte sich mein Entsetzen ins Unermessliche. „Oh mein Gott!“, entfuhr es mir. „Meinst du, meinst du wirklich, denkst du, dass ich, ich mein, kann es nicht sein, dass dieselben Farben unterschiedliche Aussagen haben könnten?“ Ich schämte mich zutiefst. „Farben lügen nicht, ich denke, das weißt du so gut wie ich.“
Eifersucht, einer der fatalsten Gemütszustände der Menschen. Eine der gefährlichsten und feindlichsten Emotionsverbindungen die es geben konnte. Das Gefühl, das die Reinheit der Liebe zu zerstören vermag, das Gefühl, dass der menschlichen Liebe eigentlich immer beigemischt ist und so verhindert, dass Gott gänzlich gefunden werden kann. Etwas, das zu überwinden von größter Bedeutung ist, möchte man ins Himmelreich aufsteigen. Das Gefühl, das so zerstörerisch ist, dass unzählige heimtückische Morde geschehen.
Die Liebesempfindungen werden den Menschen geschenkt, auf dass sie eine Ahnung erhalten zu welchem Glück sie gelangen könnten. Die lächerlich geredete rosa Wolke ist ein Geschenk Gottes, damit Menschen merken, wie sehr die ganze Welt sich einzig durch unsere innere Verfassung verändern kann. Wie unwichtig plötzlich all ihre ansonsten gesteckten Ziele werden könnten, wie wohlwollend sie Mitmenschen gegenüber sein könnten, wenn sie Liebe so deutlich empfinden.
Mit aller Macht stellen sich die erdgebundenen Verlangen dagegen, versuchen uns einzureden, Liebe mache blind. Das Ego meldet sich, bläst sich auf, besteht darauf, selbst von der Person geliebt werden zu müssen, verlangt Beweise der Gegenliebe. In Form von Geschenken oder zumindest der Versicherung, dass der andere einem nun persönlich gehört. Solche Eigenschaften sind Gift für dieses wunderschöne Geschenk. Kurzfristig, da dadurch Leid entsteht, Zweifel und Angst. Längerfristig, da viele Menschen zukünftig schon grundsätzlich dieses Geschenk ablehnen, da sie meinen zu wissen, dass es eine Mogelpackung sei.
Wir jedoch sehen, wie viel positive Energie verbreitet wird durch Menschen, die glücklich verliebt ihres Weges gehen. Wie sie mit einem Dauerlächeln durch die Gegend laufen, hilfsbereit sind und voller Energie. Alles um sie herum leuchtet. Es funktioniert ja, jedoch leider nur, solange zurück geliebt wird. Ist das nicht der Fall verkehrt es sich ganz schnell ins Gegenteil. Doch prinzipiell spräche nichts dagegen, sich einfach nur daran zu erfreuen, die eigene Liebe so intensiv zu spüren. Alles andere ist das Ego. Wären Menschen bereit, wenigstens einen Menschen bedingungslos zu lieben, würden sie permanent positive Schwingungen verbreiten. Selbst wenn das nur den wenigsten Menschen gelänge, das Licht würde sich wie ein Buschfeuer ausbreiten.
Mal im Ernst, fühlt sich Liebeskummer besser an, wenn die Liebe negiert wird? Wenn Hass stattdessen im Herzen wohnt und Bitterkeit? Oder die kühle Gleichgültigkeit? Ich denke nicht. Das Ego schreit und weint und ich weiß, dass Liebeskummer furchtbar weh tut. Lasst den Schmerz zu und liebt weiter, ich verspreche euch, dass der Schmerz besser zu ertragen ist, als wenn ihr den herkömmlichen Weg geht. Wenn ihr diesen Schritt tatsächlich gehen könnt, ist euer Ego so am Boden zerstört, dass eure Liebe freie Bahn hat und ihr werdet anfangen sie überall um euch zu verbreiten und zu empfinden. Das ist ein so großer Schritt, dass ihr unglaublich frei und unverletzbar werdet. Also, schämt euch weder für die Verliebtheit, noch für die Liebe generell, sie ist auch in der kleinsten zwischenmenschlichen Form ein göttliches Geschenk.
Soviel zu meinem Wissen, doch hier saß ich nun, einer der stärksten Waffen des Egos ausgeliefert- Der scheußlichen, abscheulichen, niederträchtigen Eifersucht. Die mir nicht nur meine Aufgabe zu vereiteln suchte, sondern darüber hinaus noch meine Liebe zu Kilian vergiftete.
Wenngleich bisher meine schon recht anstrengenden Emotionen mir zwar meinen Auftrag schwer gemacht hatten, so war der Grund hierfür aufrichtiges Mitgefühl und Sorge gewesen. Es hatte sich zwar um negative Emotionen gehandelt, doch immerhin waren diese von Zuneigung geprägt.
Das hier entfremdete mir Kilian, es machte mich ihm weniger wohlgesonnen.
Ich ärgerte mich über ihn und im besten Fall geleitete ich ihn mit kühler Gleichgültigkeit. Es war nicht zu fassen, dass ich in diese Falle gegangen war.
Demütigst bat ich um Verzeihung - Kilian, Michael, das Göttliche. Mit aufrichtiger, echter Reue und ich gelobte aus tiefstem Herzen Besserung. Voller Mitgefühl sah mich Arvids Engel an und schwieg. „Ich bin für dich da, ich bewerte dich nicht, das weißt du hoffentlich.“, sagte er mit seinem Blick. Ich war ihm sehr dankbar für seine Anwesenheit.
Nachdem ich mich einigermaßen gefangen hatte dachte ich mir: „Na wunderbar, ich fühle also nicht nur wie ein Mensch für diesen jungen Mann, nein, ich fühle außerdem für ihn wie eine Frau. Nicht nur wie eine Mutter, eine Freundin oder eine Schwester - Nein, außerdem wie eine menschliche Frau!“ Mir wurde direkt übel bei der Erkenntnis.
Wir Schutzengel sind uns unseres Geschlechts niemals bewusst. Es ist schlicht völlig irrelevant für unsere Tätigkeit. Wenn wir nicht arbeiten, also in den Zeiten zwischen den Aufträgen schweben wir einfach in das Gefühl der Glückseligkeit. Wir lösen uns nicht völlig auf in dem Licht, doch so gut wie. Wir sind noch nicht soweit, völlig eins zu werden, doch verschwimmen die Grenzen sehr stark. Wir empfinden dann so etwas wie Verliebtheit, doch ohne dass wir dafür eine Gegengeschlechtlichkeit bräuchten. Dort bleiben wir meist, bis wir wieder auf die Erde geschickt werden. Wie dem auch sei, natürlich kommen viele von uns ursprünglich von der Erde und dort bewohnten wir dementsprechend auch Körper.
Erinnerungen an diese Zeit waren jedoch kaum mehr vorhanden. Trotzdem grub ich nun eifrig darin herum. Nun wollte ich heraus finden, ob ich zu Erdenzeiten beide Geschlechter bewohnte oder grundsätzlich eine Frau war.
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