1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Mit dieser Darstellung der hiesigen Polizei war Victor halbwegs beruhigt. Hatte er doch schon befürchtet, es könne ihm so ergehen, wie es manchmal in Italien der Fall war. Dort unterbrachen die Polizisten oft seine Darbietungen, ließen sich den Ausweis zeigen und fragten ihn nach dem Grund seines Hierseins. Dabei waren sie nicht unfreundlich, machten ihm aber anschließend unmißverständlich klar, daß seine Anwesenheit unerwünscht sei und er sofort zu verschwinden habe, wenn er sich keinen Ärger einhandeln wolle. Einmal wurde er sogar auf das Revier geführt und durchsucht. Nach einem kurzen Verhör setzte man ihn wieder auf freien Fuß, nicht aber zuvor seine gesamte Barschaft zu »beschlagnahmen«, wohl wissend, daß er in seiner derzeitigen sozialen Situation gegen sie nichts unternehmen konnte. All diese Widrigkeiten trugen dazu bei, ihm seinen Aufenthalt zu verdrießen, worauf er sich entschloß, sein Glück in Frankreich zu versuchen. Hier konnte er, dank des einträglichen Auftritts im Cabane, erst einmal in Ruhe das Terrain sondieren. Es gab keinen finanziellen Engpaß, der ihn dazu zwang, sogleich losschlagen zu müssen, ohne vorher Sitten und Gebräuche dieser Gegend kennengelernt zu haben. Deshalb beschloß er, sich von Felipe, dem Insider, soviel Informationen wie möglich zu verschaffen – das sparte ihm Zeit und reduzierte unangenehme Erfahrungen.
Felipe hielt ihm eine Packung Zigaretten hin: »Willst du auch eine?«
»Nein, danke. Keine Gauloises ohne. Die sind schlecht für die Stimme. Ich rauche schon, aber nur mit Filter.«
»Bei mir ist es egal. Im Gegenteil – wenn man Flamenco singt, ist es gut, eine rauhe Stimme zu haben.«
»Kann man denn mit spanischer Musik gut verdienen?«
»Einigermaßen.« Felipe zündete sich eine Zigarette an, inhalierte und hustete. »Am besten sind die Jobs auf Yachten oder in Strandclubs. Da kann man ordentlich was verlangen.«
»Und wie kommt man an solche Jobs?«
»Ganz einfach. Du suchst dir einen Platz am Hafen – direkt vor den Luxuskähnen der Reichen. Dort beginnst du zu spielen. Wenn du gut bist, so wird es nicht ausbleiben, daß man dich auffordert, auf eine der Yachten zu kommen, um dort weiterzuspielen. Oder man macht mit dir einen Termin für einen späteren Zeitpunkt ab. Meistens veranstalten sie dann eine Fête. Dann allerdings mußt du sehr pünktlich und vor allen Dingen einigermaßen gut gekleidet sein. Das erwarten sie von einem für ihr Geld.«
»Was springt denn dabei im Schnitt so heraus?« Victor war nun echt neugierig geworden.
»Das kommt ganz auf dein Selbstvertrauen an. Du mußt selber wissen, was du wert bist. Man darf in solchen Situationen niemals zögern, seinen Preis zu nennen, sonst wird die Unsicherheit ausgenützt. Ich verlange zum Beispiel immer tausend Franc. Wenn sie das bezahlen – okay. Falls nicht, lasse ich mich bis zur Schmerzgrenze von fünfhundert herunterhandeln – da habe ich immer noch gut verdient. Und noch etwas: Vereinbare stets die Dauer des Auftritts und beende ihn auf die Minute. Im Schnitt dauert er eine Stunde. Wollen sie dich anschließend noch länger hören, so müssen sie entsprechend drauflegen.«
»Das sind ja verlockende Perspektiven, die du mir da aufzeigst! Fünfhundert Franc für eine Stunde! Mehr als dreihundert D-Mark! Das kann sich sehen lassen!« Victors Begeisterung wuchs. »Wenn man bedenkt, daß ein Durchschnittsarbeiter pro Woche so an die zwei- bis dreihundert Märker gelöhnt kriegt...«
»Früher war es in dieser Beziehung noch weitaus besser.« Felipe spuckte einen Tabakkrümel auf den Boden. »Leider läßt sich der wahre Jet-Set hier kaum noch blicken. Was du hier siehst, sind zumeist aufgeblasene Möchtegerne auf gemieteten Yachten. Für ein oder zwei Wochen wird dann ›High-Society‹ gespielt: Man läßt sich das Diner vom Steward auf das Achterdeck servieren, um dem schaulustigen Pöbel etwas vormampfen zu können. Ab und zu wird ein Fest arrangiert, wozu man sich auch einige hübsche Mädchen einlädt. Das sind dann meist solche, denen man an der Nasenspitze ansieht, daß sie auf ihren Traumprinzen warten. Die glauben, das große Los gezogen zu haben und lassen sich willig in einer Kajüte im Unterdeck durchbumsen. Aber spätestens jedoch, wenn sie am Ende der Party von Bord geschickt werden, ohne daß sie auch nur einen einzigen Franc bekommen haben, wird ihnen klar, daß sie ganz gewaltig verarscht wurden. Beim nächsten Mal sind sie nicht mehr so blöde. Da verlangen sie dann was sie denken, daß es ihnen zusteht, im Voraus. Das Leben hier ist wahnsinnig teuer. Für jeden Furz mußt du bezahlen. Und findest du keine Möglichkeit, Geld zu verdienen, so bist du ganz schnell am Ende. In dieser Stadt schenkt man dir keinen müden Sou. Du mußt ihn dir erarbeiten – egal, auf welche Weise.«
»Ähnliche Erfahrungen habe ich auch schon in Italien gesammelt. Aber nach alledem, was du mir so erzählst, lebt es sich hier doch um eine ganze Ecke besser. Apropos leben... Da fällt mir ein... Ich suche eine Möglichkeit, zum Wohnen. Kannst du mir vielleicht einen heißen Tip geben?«
»Im Hotel zu wohnen kannst du dir abschminken. Während der Saison ist alles restlos ausgebucht. Ein möbliertes Zimmer zu finden, ist aus eben diesem Grund genauso unmöglich. Außer einigen üblen Bruchbuden mit Schimmel an den Wänden, ohne fließendes Wasser und Toilette, die zu horrenden Preisen angeboten werden, gibt es keine Alternative. Am besten wäre es, wenn du dir außerhalb etwas suchst. Bist du motorisiert?«
»Ich bin zwar im Besitz des Führerscheins, aber zu einem Auto habe ich es bisher leider noch nicht gebracht.«
»Ist auch nicht notwendig. Ein Moped reicht hier vollkommen aus. Damit kommst du hier überall hin und sparst dir zudem noch die teueren Parkplatzgebühren, die sie überall kassieren. Die Investition hast du spätestens in einem Monat locker wieder drinnen, weil du dir ja schon jede Menge an Miete sparst, wenn du außerhalb wohnst. Außerdem ergeben sich noch Mehreinnahmen, da du ja durch deine Mobilität in der Lage bist, während der Mittagszeit, wo normalerweise in der Stadt ›Tote Hose‹ angesagt ist, auch die vollbesetzten Strandclubs abzuklappern.«
»Was kostet denn so ein Moped? Ich habe nämlich davon nicht die geringste Ahnung.«
»Das kommt ganz darauf an, welche Ansprüche du stellst. Neu oder gebraucht, schnell oder langsam, Luxus- oder Standardausführung.«
»Am besten ein Gebrauchtes. Gut erhaltene Mittelklasse. Muß keine Rennmaschine sein, aber eine Sitzbank sollte sie schon haben.«
»Da wirst du schon eineinhalb bis zwei Mille hinblättern müssen. Aber in Toulon bekommt man die Dinger weitaus billiger als hier. Weißt du was...? Wir machen morgen einen kleinen Ausflug dahin – es sind nicht viel mehr als sechzig Kilometer. Dann werde ich wie ein Luchs aufpassen, daß man dich nicht übers Ohr haut. Von Motoren verstehe ich nämlich eine Menge.«
»Das würdest du für mich tun? Mann! Du kennst mich doch erst seit einer halben Stunde!«
»Weißt du... Es gibt Leute, die sind mir entweder auf Anhieb sympathisch oder auch nicht. Bei dir habe ich ein recht gutes Gefühl. Warum soll ich dir also nicht helfen?«
»Darauf möchte ich mit dir anstoßen – ich gebe eine Pulle Champagner aus!«
»Bist du verrückt? Doch nicht in diesem Schuppen! Die ziehen dir das Fell über die Ohren, daß es gerade so rauscht. Das machen wir, wenn du das Moped gekauft hast – und dann auch woanders. Aber zuerst bin ich dran – mit dem Ausgeben. Wir saufen jetzt das Nationalgetränk der Basken. Meine Mutter kommt nämlich aus San Sebastian.«
Felipe ging zum Tresen und kam gleich darauf mit zwei Gläsern, in denen sich eine dunkle Flüssigkeit befand, zurück. Victor nahm ein Glas und schnupperte mißtrauisch daran.
»Was ist denn das für ein Zeugs?« Victor rümpfte die Nase. »Riecht beinahe wie Cola.«
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