»Das soll deine Idee sein?! Du bist doch völlig bescheuert!«, knurrte Chuck wenig begeistert. »Du hast die Leiche gesehen, James. Sei nicht dämlich. Was, wenn wir dem Killer tatsächlich auf die Spur kämen ... viel zu gefährlich! Der Typ, der die arme Frau so zugerichtet hat, muss vollkommen durchgeknallt sein! Willst du am Ende selbst bei diesem irrem Pathologen auf dem Tisch liegen?«
Enttäuscht über Chucks Rede wollte sich James schon abwenden, als Silky an seine Jacke zupfte und ihn zurückhielt.
»Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es gefährlich werden kann, aber vielleicht hast du recht«, räumte sie schlichtend ein. »Habt ihr euch mal diesen Ehemann genauer angesehen?« Sie griff in ihre Jacke, holte ein Päckchen Kaugummis hervor und zog einen Streifen heraus. »Wollt ihr auch?« Anbietend hielt sie den beiden das Päckchen hin. Die beiden nahmen dankend an. »Ich sage euch, der hat ein irre schlechtes Gewissen.« Sie wickelte das Kaugummi aus und steckte es sich in den Mund. »Und vor allem hatte der Mann Angst vor uns. Der hat sich doch gar nicht getraut uns überhaupt mal richtig anzusehen. Und dieser Chief Inspector, muss das auch bemerkt haben. Die ganze Zeit hat er den Mann nicht aus dem Auge gelassen. Dieser Blake wollte was checken!«
Chuck nickte zustimmend, um gleich darauf doch wieder den Kopf zu schütteln.»Stimmt, ist mir auch aufgefallen, Silky«, bestätigte er und fügte nachdenklich hinzu: »Aber mal ehrlich! Wir und Detektive? Das kann einfach nicht gut gehen.«
»Willst du etwa weiterhin als Mordverdächtiger bei der Polizei gelten?«, forderte James ihn hitzig heraus. »Ich habe da jedenfalls keinen Bock drauf!«
»Ist ja schon gut!«, gab Chuck zurück und legte seinem Freund beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Ich mache mit.«
»Prima!«
»Mit dem Ehemann fangen wir an«, entschied Silky. »Ich vertraue meinem Bauchgefühl. Wenn der nicht bis über beide Ohren in diesen Mord verwickelt ist, dann färbe ich mir die Haare giftgrün!.«
Chuck kam nicht umhin zu grinsen.
»Witziges Angebot, Silky!«, kommentierte James Sheppard lachend. »Grün wolltest du sie doch schon vor Monaten machen, oder habe ich da etwas nicht richtig mitbekommen.«
Jetzt musste auch sie schmunzeln.
»Zumindest gehen wir bei dem Kerl kein hohes Risiko ein. Ich glaube auch, dass der Typ nicht sauber ist.« Chuck hakte sich bei den beiden unter und gemeinsam überquerten sie die Straße. »Vielleicht haben wir Glück und er ist noch im Gebäude. Wenn er rauskommt, dann folgen wir ihm.«
Sie hielten ihr Vorhaben für eine ausgezeichnete Idee und ahnten nicht, auf welch grauenerregendes Abenteuer sie sich damit einließen – denn Ashley Cartwright war erst die Ouvertüre!

Kapitel 8
E
s dauerte nicht lange und Remington Cartwright trat aus dem Haupteingang des Yards auf die Straße hinaus. Ein leichter Wind war aufgenommen und er schlug den Kragen seines Mantels hoch. Die Hände tief in den Taschen vergraben wendete er sich nach links. Er suchte nach einem Taxi, eines jener über London hinaus bekannten ›Black Cabs‹ . Die Einheimischen wussten nicht, ob diese Touristenattraktion kurz über lang aus dem Stadtbild verschwinden würde, denn über den Fahrzeughersteller, der diese Wagen ausschließlich für die Hauptstadt fertigte, war das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
Cartwright brauchte nicht lange zu suchen. Er winkte einen freien Wagen heran, sprang hinten hinein und nannte dem Fahrer das Ziel. Immer wieder blickte sich der Taxifahrer nach seinem Fahrgast um. Als er wieder einmal an einer Ampel halten musste, schob er seine Schirmmütze ein wenig in den Nacken und sah Cartwright sorgenvoll über den Rückspiegel an.
»Sie sehen nicht gut aus, Mister!« Er sprach klar aus, was er dachte. »Soll ich Sie nicht besser zu einem Arzt bringen? Mit Ihnen stimmt doch was nicht.«
»Nein, alles in Ordnung!«, widersprach Cartwright abwehrend. »Fahren Sie nur!«
Verständnislos schüttelte der Fahrer leicht seinen Kopf, wandte sich aber wieder dem Verkehr zu. Für ihn war klar, dass der Mann im Fond schwer krank war! Die Wangen waren eingefallen und die Augen lagen tief in den Höhlen. Außerdem hatte er eine käsige Gesichtsfarbe und seine Hände zuckten völlig unkontrolliert. Wäre sein Fahrgast erheblich jünger gewesen, er hätte ihn für einen Junkie auf Entzug gehalten. Aber er glaubte nicht, dass dieser Mann etwas mit Drogen am Hut hatte.
Cartwright nahm es dem auf sein Wohl bedachten Fahrer nicht übel, denn so ganz Unrecht hatte er ja nicht. Nie zu vor hatte er sich in seinem Leben derart elend gefühlt. Gerade hatte er den unumstößlichen Beweis erhalten, dass die fremde Frau zumindest in einem Punkt bereits die Wahrheit gesagt hatte: Seine Ashley war tot!
Aber wer ist dieser Herr und Meister, von dem sie gesprochen hat? , fragte er sich. Hat er tatsächlich dieses brutale Verbrechen begangen?
Kaum war der Fahrer in die Straße zu seiner Wohnung eingebogen, holte Cartwright auch schon seine Brieftasche heraus. Er warf einen kurzen Blick auf das Taxameter und entnahm, aufgerundet, ein paar Pfundnoten. Ohne etwas zu sagen, warf er sie auf den Beifahrersitz, als der Fahrer hielt, sprang aus dem Wagen und lief wie von Furien gehetzt ins Haus.
Er konnte nicht mehr. Alles in seinem Kopf kreiste um die Mordgedanken, die sich auf eine Art und Weise erfüllt hatten, die er sich niemals hatte träumen lassen. Der Anblick seiner Ashley auf dem Seziertisch der Pathologie hatte ihm einen derartigen Schock versetzt, von dem er nicht zu sagen wusste, ob er sich jemals davon erholen würde.
Sein Weg führte ihn direkt in die Küche und an den Schrank, in dem er den Scotch aufbewahrte. Er brauchte jetzt einen Drink. Er füllte ein Glas, nahm den Inhalt mit einem großen Schluck, nur um gleich noch einmal nachzuschenken. Mit Genugtuung stellte er fest, dass er noch eine Reserveflasche hatte. Er nahm sie mit ins Wohnzimmer, denn er wollte sich sinnlos betrinken, um an nichts mehr denken zu müssen.
Der Alkohol brannte scharf in seiner Kehle und löste in seinem Magen ein warmes, wohliges Gefühl – doch diesmal wartete er vergeblich auf die benebelnde Wirkung. Zumindest klärten sich seine Gedanken, weil die ungeheure Anspannung von ihm abfiel. Deutlich konnte er sich an jede Einzelheit erinnern. Er glaubte das eingebrannte Zeichen schon einmal gesehen zu haben. Ihm fiel nur nicht, wo und in welchem Zusammenhang das gewesen war.
Wer auch immer Ashley getötet hatte, er hat dafür gesorgt, dass seine ›Handschrift‹ erkannt wird! Das Symbol ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Ich kenne es ... nur woher?
Plötzlich glaubte er es zu wissen. Ja, er war sich sicher!
Leicht schwankend erhob er sich aus dem Sessel und ging zum Bücherbord hinüber. Er selbst war keine Leseratte und hatte es im Leben höchstens auf drei oder vier Bücher gebracht, aber Ashley hatte das Lesen geliebt. Vor allem aber hatte sie antiquare Bücher geschätzt, die schon allein durch ihre Aufmachung wunderschön anzusehen waren. Er erinnerte sich daran, dass sie erst vor kurzem ein Buch erworben hatte, dass in dunkelbraunes Leder eingebunden war und eine vergoldete Prägung auf dem Deckel aufwies. Das Buch hatte ihn auf unbestimmte Weise beeindruckt.
Zögernd holte er das Buch aus dem Regal hervor, nahm es mit zum Tisch und schlug es auf, nachdem er sich wieder gesetzt hatte. Eine Weile blätterte er darin herum, dann hatte er es gefunden. Augenblicklich ging sein Atem schneller und sein Herz begann wie wild zu pochen.
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