Im Büro empfing ihn Frau Herr mit der Nachricht, daß sie Frau Zappeck, die um einen Termin nachgesucht hatte, für elf Uhr einbestellt habe.
Ob das ihm Recht sei?
Ihm war das natürlich recht. Und so saß ihm um elf Uhr eine angespannt wirkende Frau Zappeck gegenüber.
„Also, ich habe mit unserem alten Geschäftsführer gesprochen.
Er hat mich in meiner Sicht hinsichtlich der Entwicklung unserer Firma bestätigt und mir auch seinen Rat gegeben.
Er meinte, das bisherige Geschäftskonzept werde nicht mehr lange tragen. Die Firma sei zu klein.
Rundherum seien große Konkurrenten herangewachsen. Entweder, es werde von der Familie energisch investiert, um sich neue Märkte erschließen zu können oder die Firma müsse seiner Ansicht nach mit einem der Marktführer kooperieren. Das werde dann noch eine Zeit lang über die Runden helfen.
Besser aber würde es seiner Meinung nach jedoch sein, ein Konkurrent würde die Firma übernehmen, solange sie noch einen Gewinn mache. Dabei könne mein Neffe einen Geschäftsführerposten erhalten und werde zugleich unter Kontrolle gestellt.“
Frau Zappeck wirkte trotz dieser Bestätigung ihrer Ansichten nicht beruhigt. Deshalb fragte Renansen: „Und hat er auch einen Vorschlag gemacht, wie Sie vorgehen sollen?“
„Ja, er meinte, ich solle nicht kritisieren, sondern positiv vorgehen.
Dazu solle ich die Zukunftsaufgaben der Firma thematisieren und Objektivität schaffen, indem die Geschäftssituation durch einen Wirtschaftsprüfer grundsätzlich analysiert werden sollte. Das könnte durchaus der Herr Seidel machen.
Wenn die Fakten auf dem Tisch lägen, habe man eine Grundlage für eine zielgerichtete Diskussion. Den Fakten könne sich niemand entziehen.“
Sie schaute unglücklich drein.
„Aber ich fürchte, die Fakten werden meine Familie nicht sehr beeindrucken. Sie wollen die Wahrheit doch gar nicht wissen! Die wollen doch einfach nur, daß alles so bleibt wie es ist! Und daß alles so weitergeht, wie es immer gegangen ist.“
„Und da liegt für Sie das eigentliche Problem, nicht wahr?“ meinte Renansen.
„Ja, genau!“
„Da habe ich einen Vorschlag für Sie.
Was halten Sie davon, wenn Sie Ihren Vater in Hypnose fragen könnten? Denn für dessen Lebenswerk kämpfen Sie doch hauptsächlich, wenn ich es richtig verstanden habe.
Ihre Eigeninteressen und die der gesamten Familie sind für Sie mit im Spiel, jedoch sekundär.
Sie könnten in Hypnose mit Ihrem Vater sprechen und ihn um Rat fragen. Er ist doch ein erfolgreicher und gewiefter Geschäftsmann gewesen. Zudem kennt er die Familie und deren Stärken und Schwächen zur Genüge.“
„Ihr Vorschlag ist ja ein wenig komisch, aber wenn das möglich wäre, könnte ich es ja versuchen“, war die Antwort.
„Gut“, sagte Renansen, „dann setzen Sie sich bitte wieder hin wie neulich und bitten Sie Ihr Unbewusstes, wieder eine Hypnose aufzubauen, während eine Hand von ganz alleine nach unten sinkt! Sie kennen das ja schon.“
Als die hypnotisch Trance eingetreten war, fragte der Coach: „Können Sie sich noch an Ihren Vater erinnern, so wie er gesund und lebensfroh war und sich ihn ganz genau vorzustellen, so daß Sie sein Bild vor sich sehen oder vorstellen können?“
„Ja!“
„Gut! Dann machen Sie bitte Folgendes!
Während Sie das Bild Ihres Vaters vor sich sehen oder sich vorstellen, gehen Sie bitte gleichzeitig in sich selbst hinein nach innen!
Fühlen Sie, was Sie gerade, nicht allgemein, gerade jetzt für Ihren Vater fühlen! Werden Sie sich dessen gewahr!
Und dann, bitte, sprechen Sie Ihren Vater innerlich an, und sagen ihm das, was Sie fühlen! Mit Ihren Worten.
Und Sie brauchen mir nicht zu sagen, was Sie ihm sagen. Und achten Sie bitte darauf, wie Ihr Vater reagiert! Was er sagt oder tut, wenn Sie ihm sagen, was Sie gerade jetzt für ihn fühlen!“
Es war jetzt ganz ruhig im Raum.
Frau Zappeck hatte die Augen geschlossen. Ihre Wangen hatten sich leicht gerötet, während sie mit geschlossenen Augen gerade vor sich hin zu schauen schien. Eine Träne lief langsam über ihre rechte Backe nach unten und hinterließ eine feuchte Spur. Sie schien es nicht zu bemerken.
Nach einer Weile lösten sich ihre Lippen leicht voneinander.
Der Coach nahm das zum Anlass zu fragen: „Nun, was hat er gesagt und getan?“
„Er hat sich gefreut und mich in seine Arme genommen.“
„Nutzen Sie jetzt die Gelegenheit und schildern Sie Ihrem Vater die Situation in der Firma und der Familie und bitten Sie ihn um einen Rat!“
Vielleicht fünf Minuten lang war es wieder still im Raum.
Frau Zappeck schien in intensivem Kontakt mit ihrem Vater zu sein.
Otto Renansen schaute derweil zum Fenster hinaus. Der Gesang eines Vogels vor dem Fenster wurde ihm bewusst. „Eine Amsel“, dachte er.
Dann begann die Frau vor ihm zu sprechen.
„Er sagt, das sei typisch für unsere Familie. Ich solle alles so machen, wie der alte Geschäftsführer es vorgeschlagen habe. Und dann solle ich darauf drängen, daß alle Geld in das Geschäft einschießen. Das würden die niemals tun.
Je mehr ich darauf bestehen würde, desto mehr würden sie auf einen Verkauf drängen. Und dann würde mein Neffe das Problem bekommen, sich gegen seine eigene Mutter stellen zu müssen.
Aber der sei ein Muttersöhnchen mit einem gelben FerrariSpielzeug. Er werde dann schon nachgeben und das machen, was seine Mutter wolle.
Wichtig sei nur, daß die Geschäftsverhandlungen nicht durch ihn alleine, sondern auch durch Herrn Seidel geführt würden, dann würde es schon klappen.
Aber die Zeit dränge, denn einen guten Preis bekämen wir nur, solange wir noch Gewinne schrieben. Und es solle vertraglich festgelegt werden, daß der Neffe die Firma eigenständig für die neuen Mutterfirma führen solle oder als Filiale. So werde er der Lösung letztendlich zustimmen.“
Renansen fragte: „Was meinen Sie zu diesem Rat?“
„Ich finde ihn gut. Es wird schwer, aber es könnte klappen!“
„Gut, Frau Zappeck, dann danken Sie bitte innerlich Ihrem Vater und Ihrem Unbewussten.
Und Sie können wissen, daß Sie von jetzt an, immer wenn Sie wollen, mit Ihrem Vater in Hypnose Kontakt aufnehmen können.
Sie gehen einfach in Hypnose. Stellen sich Ihren Vater vor. Wenn Sie ihn sehen oder ihn sich vorstellen können, gehen Sie gleichzeitig nach innen und überprüfen, welche Gefühle Sie in diesem Moment für Ihren Vater haben und teilen Sie ihm diese in Ihren Worten mit.
Wenn er dann reagiert, ist die hypnotische Beziehung stabil und
funktioniert.
Und dann können Sie mit ihm über das sprechen, was Ihnen wichtig ist.
Hinterher danken Sie bitte jeweils Ihrem Vater für sein Erscheinen und dem Unbewussten für seine Unterstützung und lösen die Hypnose wieder auf.
Und für Ihren Verstand erkläre ich Ihnen, daß die hypnotische Technik, die wir gerade genutzt haben, die sogenannte dissoziative Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen war.
Gemeint sind eigene Persönlichkeitsanteile, hier Ihr ,Vaterteil’.
Diese psychischen Teile unserer Persönlichkeit werden im dissoziierten psychischen Zustand der Hypnose für uns zugänglich.
In diesem ,Vaterteil’ Ihres Unbewussten ist alles das gespeichert, was Sie mit ihm erlebt haben und von ihm unbewusst und bewusst wissen.
Lösen Sie bitte jetzt Ihre Hypnose auf, indem Sie von zwanzig auf eins zurückzählen! Und bei ,Eins’ sind Sie wieder im Hier und Jetzt und können sich an alles erinnern!“
Es dauerte eine Weile, dann öffneten sich die Augen. Frau Zappeck reckte und streckte sich. Erst jetzt bemerkte sie die Träne auf ihrem Gesicht und kramte ein Tempotuch heraus.
„Das wird nicht leicht“, sagte sie. „Aber ich werde es versuchen!“
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