Das hielt ich damals in unserer doch überwiegend ländlichen Gegend für sehr gewagt. Es gab in Deutschland schon in den Großstädten das gemischte Saunabaden. Aber wie würde das bei uns auf dem Land ankommen?
Nach ein paar Tagen der Diskussion mit Jutta, entschloss ich mich dann doch, dem zu zustimmen. Aber um eventuellen „Wildwuchs“ vorzubeugen, wollten wir bei der Gemischt-Sauna die Kunden nur paarweise hereinlassen. Ein entsprechender Aushang wurde gefertigt und vierzehn Tage vor Beginn der Familien-Sauna in unserem Betrieb ausgehängt. Schon der erste gemeinsame Badetag wurde ein voller Erfolg. Die Sauna war bis auf den letzten Platz ausverkauft. Sie hatte zunächst eine Kapazität von bis zu dreißig Personen. Da wir zunächst nur einen Familien-Sauna-Tag in der Woche eingerichtet hatten, reichte das bei weiten nicht aus. Schon nach wenigen Wochen mussten wir einen solchen zweiten Tag einrichten. Irgendwelche unangenehmen Situationen sexueller Art oder gar Übergriffe hat es in meiner Saunaanlage niemals gegeben.
Die Bäder- und Massage-Abteilung lief auch sehr gut an. Nur dass ich die auf eine ganz andere Art und Weise ins Laufen bringen musste.
Schon von Anfang an kam zu uns in die Sauna ein Ehepaar namens Ute und Kali Möller. Kali war der Sohn und Mitarbeiter des Inhaber-Ehepaars Möller der Firma Möller und Schade. Damals ein sehr bekanntes und sehr nobles Damen- und Herrenoberbekleidungsgeschäft in Cuxhaven.
Durch unseren Bau und durch den dadurch hervorgerufenen dauerhaften Geldmangel, waren Juttas und meine Garderobe so ziemlich abgetragen, so dass ich mich mit den noch verbliebenen Klamotten nirgends mehr, wo es darauf ankam, sehen lassen konnte. Heutzutage würden ja eine abgetragene Jeans und ein Sacco reichen. Das war damals aber noch ganz anders. Da machte mir mein, mittlerweile zum Freund gewordener Kali Möller von sich aus ein tolles Angebot.
„Weißt du was, Paul, ich habe da schon mal mit meinem Vater gesprochen. Wenn deine Jutta und du wollt, dann kommt doch mal zu uns ins Geschäft. Da werden wir euch ganz neu einkleiden. Das Ganze könnt ihr dann in monatlichen kleinen Raten, so wie es euch beliebt, abzahlen. Ute und ich würde euch dann auch selbst bedienen.“
„Mensch, Kali, das würdet ihr wirklich für uns tun?“
„Na klar“, sagte er. „Euer Laden läuft doch gut an. Da ist doch für uns gar kein Risiko drin. Also, abgemacht!“
Dann hielt er mir die Hand hin, in die ich kräftig einschlug. Schon am nächsten Morgen fuhren Jutta und ich in die Stadt zu Möller und Schade. Von Kali und Ute wurden wir bestens beraten. Aber wir kauften viel mehr ein, als wir eigentlich wollten. Wenn ich mich recht erinnere, kamen dann unterm Strich so rund DM 1000,00 heraus. Das wollte Anfang der siebziger Jahre etwas heißen.
Dennoch, als wir mit unserem Einkauf auf Pump fertig waren, bat uns der alte Herr Möller, also Kalis Vater, in sein Büro. Was mich damals wirklich verblüfte, er bat uns Platz zu nehmen, bot uns Kaffee und mir noch zusätzlich eine wunderbare, kubanische Zigarre an. Obwohl wir das alles auf Kredit gekauft hatten, bedankte er sich sehr herzlich für den guten Einkauf. Diesen Moment habe ich damals wirklich genossen und ihn niemals vergessen. Bis zum Schluss bin ich dafür mit meiner Jutta immer Kunde bei Möller und Schade geblieben. Ute und Kali gehören heute noch zu unserem engsten Freundeskreis.
Wie bekam ich aber dann den letzten Schub in meine physikalische Therapie? Als gewerbefreier Therapeut und Betrieb war es mir anfänglich verboten, über Annoncen zu werben. Das nannte man Werbung zu Lasten Dritter, also zu Lasten der Krankenkassen, was verboten war. Also musste ich mir etwas anderes einfallen lassen.
Eines Tages begann ich, alle Ärzte nach telefonischer Voranmeldung zu besuchen. Um einen guten Eindruck zu machen, musste ich natürlich gut und solide gekleidet sein. Bei den einzelnen Ärzten stellte ich dann mein gesamtes, in Hannover erlerntes physiotherapeutisches Programm vor. Diese Idee sollte sich als sehr gut und sehr erfolgreich erweisen. Damals konnte ich richtig beobachten, wie nach jedem Arztbesuch die Patientenanzahl zunahm. Nach kurzer Zeit war das Arbeitsaufkommen so groß, dass ich es nicht mehr alleine bewältigen konnte, obwohl ich täglich von morgens 6 Uhr bis abends 18 Uhr, also 12 Stunden am Tag, in meiner Praxis arbeitete und täglich bis zu 40 Behandlungen gab. Also musste ich den ersten Therapeuten einstellen. Es war der Hermann Pöhlmann. Ein ganz hervorragender und sehr gut ausgebildeter Therapeut.
Unser Arbeitstag sah damals wie folgt aus: Wir standen jeden Morgen um halb sechs auf. Bevor ich in den Betrieb ging, frühstückten wir immer gemeinsam. Wenn ich das Haus verlassen hatte, kümmerte sich Jutta um die Kinder. Unser Ältester, der Martin, war in dem Jahr eingeschult worden und wurde von Jutta anfänglich immer zur Schule gebracht. Aber schon bald war er so selbstständig, dass er ganz alleine in die Schule ging, was für meine Jutta eine große Entlastung war.
Jutta machte dann am Vormittag den Haushalt. Am Nachmittag ging sie dann rüber in den Saunabetrieb und öffnete dann immer um 14 Uhr die Sauna. Sie kassierte das Eintrittsgeld, machte Kontrollgänge durch die Saunen und wenn gewünscht, machte sie den Gästen in der Saunakabine auch einen Aufguss. Ihr Arbeitsplatz, wo sie sich meistens aufhielt, war der sehr gemütlich eingerichtete Erfrischungsraum. Hier gab es Fruchtsäfte aller Art oder eine frisch gebrühte Tasse Kaffee. Bei Herren-Sauna gab es auch ein gutes kühles Bier.
Jutta war bald bei den Saunagästen durch ihre immer gleichbleibende Freundlichkeit sehr beliebt. Sie war der unumstrittene Mittelpunkt der Saunaanlage. Wie sie das damals alles auf einmal geschafft hat, weiß ich auch heute noch nicht zu sagen. Natürlich hat sie dann noch ganz nebenbei unsere Kinder versorgt und mit dem Ältesten die Schularbeiten gemacht.
Ich selber habe täglich bis 18 Uhr in der Therapie gearbeitet. Danach zog ich meinen weißen Kittel aus und löste dann meine Jutta im Erfrischungsraum vom Saunadienst ab. Jutta ging dann mit den Kindern rüber nach Hause und erledigte die Buchführung oder die Krankenkassenabrechnung. Mein Saunadienst ging dann noch bis 22 Uhr. Um diese Zeit wurde dann offiziell die Sauna geschlossen. Sehr oft kamen die Gäste aber nicht pünktlich aus der Anlage raus. Auch blieben sie gerne noch eine halbe Stunde oder sogar länger an der Bar sitzen, um mit mir zu klönen. Gerne luden sie mich auch noch auf eine Flasche Bier ein, die ich aus zwei Gründen nicht abschlagen konnte. Erstens trank ich immer gerne eine Flasche Bier und zweitens konnte und wollte ich nicht auf den zusätzlichen Umsatz verzichten. Das wurde aber für mich langsam aber sicher zu einem Problem. Jeden Morgen musste ich doch sehr früh raus und zum anderen ging ich so fast jeden Abend leicht alkoholisiert ins Bett. Mir wurde sehr schnell klar, das konnte und durfte so nicht bleiben. Da aber schon die ersten monatlichen Umsatzabrechnungen, die mir meine Jutta vorlegte, sehr zufriedenstellend aussahen, beschlossen Jutta und ich bereits nach einem halben Jahr eine weitere Angestellte einzustellen.
Wir hatten damals schon ein sehr nettes Nachbarehepaar, es waren Anne und Rudi Klint. Sie hatten direkt rechts neben uns gebaut. Deren Kinder waren schon groß und aus dem Haus. Anne hatte Jutta schon des Öfteren gefragt, ob wir nicht für sie einen kleinen Job hätten. Nun beschlossen wir, Anne für unseren Erfrischungsraum und für die Sauna-Aufsicht einzustellen, worüber sie sich sehr freute. Nach kurzer Zeit stellte sich schon heraus, dass es eine gute Entscheidung war. Wir hatten zwar Anne bei uns eingestellt, doch von Anfang an arbeitete sich ihr Ehemann Rudi, der beruflich als Beamter beim Wetterdienst auf meinem alten Flugplatz in Nordholz tätig war, bei uns mit ein. Das hatte den großen Vorteil, dass die beiden sich mit Jutta je nach Bedarf immer ablösen konnten. Besonders für Jutta war das eine große Entlastung. Da aber auch der Rudi bereit war, mit mir den Spätdienst zu teilen, war das auch für mich ein großer Vorteil, so dass die Versuchung, „jeden Abend Bier zu trinken“ ab sofort halbiert war und ich auch ab und an wieder ausschlafen konnte.
Читать дальше