Wegen der Forschungsarbeiten mit Viren ist die Insel für die Öffentlichkeit gesperrt!
Jetzt werden Sie sich fragen, warum das so ist, oder?
Die Antwort ist einfach zu geben: Es handelt sich um ein BSL-4-Laboratorium!
Die Erforschung hochpathogener Viren ist die zentrale Aufgabe des BSL4-Labors wozu sowohl Arbeiten zum Verständnis der krankheitsauslösenden Wirkung von hochpathogenen Viren, als auch die Diagnostik von importierten (z.B. Marburg-, Ebola-, Nipah- und Lassaviren), neuen (z.B. SARS-Coronavirus) und ausgerotteten (Pockenviren) Viruserkrankungen gehören.
Dort wird mit den Dingen gespielt, von der die Menschen hoffen, es würde sie nicht geben. Aber es gibt sie! Und sie können uns jede Sekunde töten. Aber wer will das schon wissen?
Doktor Sanderbrink bremste den Mercedes ab.
„Was ist?“, zischte ich dicht an seinem Ohr.
Der Doktor war erregt. Sein Herz pochte, als wollte es ihn zerreißen.
„Ich kann nicht!“, antwortete er.
Ich fixierte ihn scharf. „Was kannst du nicht?“
„Ich werde meinen Job verlieren.“
„Oder dein Leben. Was ist dir lieber?“
Er wandte sich zu mir um. „Sie verlangen zu viel ...“
„Schade, dass du so unvernünftig bist!“
„Du bist wirklich übergeschnappt, Mädchen. Weißt du überhaupt, was hinter dieser Mauer ist?“
Der Doktor hatte seinen Mut wiedergefunden.
„Natürlich weiß ich, was sich dort befindet“, antwortete ich. „Fahren wir!“
Ich ließ wirklich keine Zweifel aufkommen, dass es mir ernst war. Sanderbrink fühlte, wie sich etwas in seiner Magengegend zusammenbraute, eine Art von Geschwür, das schneller wuchs als ein Waldbrand und ihn heiß durchbebte, als er langsam auf die gelb-schwarz gestrichene Schranke zufuhr, die in grellem Licht lag.
„Man wird Sie verhaften“, sagte er leise.
„Das glaube ich kaum“, gab ich ungerührt zurück.
Noch fünfzig Meter trennten uns von der Einfahrt.
„Blenden Sie ab, wie Sie es immer machen!“, befahl ich, und meine Stimme klang sehr förmlich.
Noch zwanzig Meter.
Als er einen Blick zu mir riskierte, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Ich steckte in einem weißen Kittel, wie ihn die Wissenschaftler im Institut zu tragen pflegten, und hatte neben der Brusttasche eine Mitarbeiter Magnetkarte heften.
Der Wagen tauchte in das grelle Licht, ein hochaufgeschossener Wachtposten kam heran.
„Bitte die Dienstausweise!“
Ich sah, wie die Hand von Doktor Sanderbrink zitterte, als er seinen Ausweis raus reichte.
„Und Sie?“, fragte der junge Soldat. „Wo ist Ihr Ausweis?“
Ich übergab ihm meinen gefälschten Mitarbeiterausweise. Hoffentlich hatten die Fälscher der CEDIS gute Arbeit geleistet.
Der Soldat betrachtete beide Ausweise, dann nickte er und ließ uns passieren. Der Mercedes rollte langsam über die Hauptachse auf den Gebäudekomplex zu, der direkt vor uns lag.
„Wer sind Sie?“, fragte Doktor Sanderbrink völlig verwirrt. „Der Soldat hat Ihren Mitarbeiterausweis sofort akzeptiert! Aber Sie dürften keinen haben. Wir befinden uns in einem Hochsicherheitskomplex.“
„Fahren Sie auf den Parkplatz hier rechts!“, befahl ich scharf.
In den markierten Feldern standen nur wenige Wagen. Als Sanderbrink den Motor abgestellt hatte, wollte er sich zu mir wenden, aber er kam nicht mehr dazu. Er spürte einen gemeinen Schmerz, dann wurde es schwarz vor seinen Augen. Das letzte, was er wahrnahm, war ein mitleidiges Lächeln in meinem Gesicht.
Ich hatte einen Betäubungszauberspruch geflüstert. Der gute Mann würde einige Minuten außer Gefecht sein. Ich warf noch einen letzten Blick auf den Doktor und verließ den Wagen.
Ich hatte den genauen Lageplan der Forschungsstätte im Kopf. Um diese Zeit wurde nur das äußere Gelände bewacht. Wie ein Schatten lief ich über den Rasen auf ein dreistöckiges Steingebäude zu, dessen Wände von außen angestrahlt wurden. Alle Fenster waren vergittert.
Kurz bevor ich die Mauer erreichte, bog ich nach rechts und kam in der Deckung der Seitenfront, die ganz in Dunkel getaucht war, zur Rückseite des Gebäudes.
Ich hielt inne und lauschte.
Alles war totenstill. In der Ferne bewegten sich die Lichtfinger der großen Scheinwerfer über den Himmel. Hinter einer Reihe frisch gepflanzter Kiefern schimmerten die flachen Bungalows aus weiß lackiertem Holz im Widerschein der Nacht.
Es war der dritte auf der rechten Seite!
Nun ließ ich mir Zeit. Diese Fenster waren nicht vergittert, sondern nur durch Holzläden verschlossen. Ich stemmte die Läden hoch und hängte sie aus. Geschickt drückte ich die Scheibe ein und wartete wieder, ob etwas zu hören war. Von irgendwo kam das Pfeifen eines Liedes, verstummte wieder.
Ich öffnete den inneren Riegel, ohne das geringste Geräusch zu verursachen. Dann blickte ich auf die Uhr. Es war viertel vor vier Uhr morgens.
Sekunden später war ich im Inneren des Raumes und machte Licht. Die einzelnen Schubladen der Stahlschränke waren nicht verschlossen. Es dauerte nicht lange, bis ich die gesuchte Akte gefunden hatte. Ein Laie hätte sich kaum in den verwirrenden Zahlen zurechtgefunden, aber ich sah auf Anhieb, dass erst vor kurzer Zeit Korrekturen vorgenommen worden waren.
Ich hatte das Blatt gerade herausgenommen, um es mit meinem Handy zu fotografieren, als ich Schritte hörte, die sich dem Bungalow näherten. Neben den Stahlschränken war eine Tür, die ich vorsichtig öffnete. Dahinter roch es stark nach Desinfektionsmittel, und ich schloss daraus, dass ich in einer Toilette gelandet war.
Inzwischen hörte ich die Stimmen ganz nahe.
„Wieso brennt hier eigentlich Licht?“
Verdammt! Ich hätte wenigstens daran denken können!
„Ich weiß nicht“, antwortete eine Frauenstimme.
„Also, dann holen Sie die Akte mal heraus! Bei den geringsten Unsauberkeiten werde ich ein Verfahren einleiten müssen. Haben Sie das denn heute erst gemerkt?“
Die Frau antwortete nicht, und es entstand eine Stille. Ich hörte, wie jemand in den Akten blätterte. Noch immer hielt ich das Papier mit den unglaublichen Korrekturen in der Hand.
„Aber das ist doch ...“
„Was ist?“
„Die Seite fehlt!“, sagte die Frau in einem fast hysterischen Tonfall.
Ich zuckte zusammen, denn völlig unerwartet ging in diesem Augenblick nebenan das Licht aus. Zwei dumpfe Schläge waren zu hören, dann ein Aufschlag, als wäre jemand zu Boden gefallen. Schritte entfernten sich hastig.
Ich riss die Tür auf, stolperte im Dunkeln über etwas, das direkt im Weg lag, und tastete mich zum Lichtschalter vor. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis ich ihn erreichte.
Im ersten Moment blendete die nackte Birne an der Decke meine Augen, der ganze Raum schien zu schwanken. Die Frauengestalt in einem altmodischen dunkelblauen Kostüm lag auf dem Gesicht, sodass ihre Züge nicht zu erkennen waren. Neben einem Ausschnitt ihres weißen Nackens bildete sich auf den Holzdielen eine dunkle Lache aus Blut.
Ich hob den Körper mit dem Fuß an. Die Frau am Boden mochte Ende Dreißig gewesen sein, und Schönheit hatte sie sicher nie ausgezeichnet. War das ein Grund gewesen, sie zu töten?
Ich hatte keine Zeit, mir solche Fragen in dieser Situation zu beantworten. Während das Blut langsam auf dem Fußboden verlief, fotografierte ich die Seite mit meinem Handy und heftete das Original wieder ein. Dann stellte ich den Ordner weg.
Noch wussten nur zwei Menschen von der Toten: der Mörder und ich selbst.
Aber jeden Augenblick konnte die grausige Entdeckung von einem der Wachhabenden gemacht werden. Das deutsche MAD – der Militärische Abschirmdienst -, der für die Sicherheit dieser Einrichtung verantwortlich ist, war stolz auf das perfekt funktionierende Alarmsystem.
Ich löschte das Licht und horchte auf die Geräusche. Das leichte Summen in meinen Ohren musste der Ton eines Generators, vielleicht auch der Heizung sein.
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