Impressum
Otto Reinhold Lemm
Mein Weg ins Leben
Eine Jugend in der Zwischenkriegszeit 1926 -1939
kommentiert und herausgegeben von
Angelika Ludwig
Copyright © 1915 Angelika Ludwig
ISBN 978–3-7375-7590-4
Otto Reinhold Lemm
Mein Weg ins Leben
Eine Jugend in der Zwischenkriegszeit
1926 – 1939
Vom Bauernhof in Pommern nach Berlin
Herausgegeben und kommentiert
von
Angelika Ludwig
Inhalt
Vorwort
1. Sonntägliche Stille im dunklen Buchenwald
2. Bewerbung um eine Lehrstelle
3. In der Lehre
4. Der erste Tag in der Backstube
5. Hochsaison
6. Die Nachsaison
7. Das Winterhalbjahr
8. Ende des ersten Lehrjahres
9. Die Gesellenprüfung
10. Die Gesellenzeit
11. Erste Anstellung in Altbanzin
12. Arbeit in Kolberg
13. Wieder zu Hause
14. Zweiter Sommer in Kolberg
15. Wieder arbeitslos
16. Fahrt nach Berlin
17. In Berlin
18. Eine Wende bahnt sich an
19. Wieder in Berlin
20. Erste Urlaubsreise mit dem Fahrrad
21. Zweite Urlaubsreise mit dem Omnibus, 1937
22. Ein eigenes Motorrad
23. Die Freundin vom kleinen Hans
24. Mit dem Motorrad in den Sommerurlaub
25. Wieder in Berlin
26. Neue Arbeitsstellen
27. Kriegsbeginn
Der vorliegende Text bezieht sich auf eine Zeit, die fast 100 Jahre zurück liegt. Sie zeigt eine ganz andere Welt, als wir sie heute kennen. Das Faszinierende daran ist, dass wir in eine Welt eintauchen, die wir heute nur aus Erzählungen unserer Eltern kennen, wenn wir, so wie ich, zur 1. Nachkriegsgeneration gehören. Die heutigen Jugendlichen im Alter des Protagonisten, also die in den Neunzigern bis zur Jahrtausendwende Geborenen, können sich diese Welt nur noch aus Büchern rekonstruieren.
Es handelt sich hier um den ganz persönlichen Lebensbericht meines Vaters, der aus einer Bauernfamilie in Pommern stammt. Im Alter von 15 Jahren ergreift er den Beruf des Bäckers, weil nicht alle fünf Brüder auf dem elterlichen Hof bleiben können und weil er raus will aus der Isoliertheit des Bauernlebens. Er macht uns bekannt mit seiner Welt, die er anrührend und geradezu poetisch beschreibt.
Abgesehen davon, dass man Einblick in das einfache und harte Leben einer Bauernfamilie erhält, in einer Zeit, als es noch keinen elektrischen Strom oder Traktoren gab, erlebt man mit dem 15jährigen Otto, was es bedeutet, 1926 in Pommern das Bäckerhandwerk zu erlernen. 3 Jahre begleiten wir ihn in die Backstube und bei der Aneignung einer neuen Lebenswelt im Kurort Henkenhagen bei Kolberg. Diese Welt gibt es heute nicht mehr, da nach dem Ende des 2. Weltkrieges ganz Pommern östlich der Oder polnisch wurde.
Er lässt uns teilnehmen an seinen Gedanken und Gefühlen. Wir erleben, wie er begeistert alles Neue aufnimmt und langsam heranwächst und oft mit Humor oder auch Sarkasmus das Erlebte kommentiert. Anschaulich und geradezu spannend beschreibt er die Arbeit in der Backstube.
Als er nach 3 Jahren seine Lehre beendet, schreiben wir das Jahr 1929 und die Weltwirtschaftskrise macht sich auch in Pommern bemerkbar. Er findet nur schwer eine Arbeit und muss sich mit Saisonarbeit im Kurort Kolberg zufrieden geben. Doch er verbindet hier das Nützliche mit dem Angenehmen und genießt 2 Sommer lang den Kurbetrieb in Kolberg. Hier spürt er schon den Duft der großen, weiten Welt und so ist es nicht verwunderlich, dass er nach vergeblichen Bemühungen, eine Arbeit als Bäcker zu finden, mit 21 Jahren das Fahrrad nimmt und nach Berlin fährt. Das tut er heimlich, ohne den Eltern oder Geschwistern etwas zu sagen. Er will erst wieder zurück kommen, wenn er es in Berlin zu etwas gebracht hat.
Die nächsten 2 Jahre in Berlin sind hart. Er ist berauscht von der Großstadt Berlin, muss aber die verschiedensten Gelegenheitsarbeiten annehmen, um sich über Wasser zu halten. Doch er schließt Freundschaften und lässt sich nicht unterkriegen. Er entwickelt seine ganz eigene Philosophie vom Schicksal und glaubt fest an sein Glück. Sein erstes Geld verdient er als Eisverkäufer mit einem eigenen Eiswagen auf Kommission, mit dem er den Sommer 1932 in der Veteranenstraße in Berlin Mitte steht und einmal ganze 35 Mark am Tag verdient.
1933 erlebt er die Regierungsübernahme Hitlers. Er lebt in einer politisch brisanten Zeit, doch in seinen Erinnerungen spielt die Politik keine große Rolle.
Nach 2 Jahren findet er schließlich eine feste Anstellung in der Materialverwaltung der Vereinigten deutschen Papierwerke. Er ist inzwischen 23 Jahre alt, ein eleganter junger Mann, wie man auf den Fotos sieht. Ihm gefällt die tägliche Arbeit im Büro und der Austausch mit seinen Kollegen. Für die erste Fahrt nach Hause kleidet er sich neu ein, um den Eltern zu zeigen, dass er es zu etwas gebracht hat. Als er vor Ort ist, wird ihm klar, dass er inzwischen dieser kleinen, bäuerlichen Welt entwachsen ist. Doch er ist voller Anerkennung für das, was die Familie und die Brüder inzwischen geschaffen haben.
Zurück in Berlin beginnt er, sich in einer Abendschule weiterzubilden, um seine Arbeit als Angestellter auf eine fundierte Basis zu stellen. Er möchte nun nicht mehr zurück in seinen Beruf als Bäcker. Er hat den Drang nach mehr Bildung, da er nur eine einfache Dorfschule besucht hat. Seine Studien, das Eintauchen in neue Wissensgebiete beglücken ihn so sehr, dass er zeitweilig für nichts anderes mehr Zeit hat. Er kann nun nicht mehr verstehen, wie er ohne dieses neue Wissen leben konnte.
Ausführlich beschreibt der nun inzwischen 25jährige Otto seine erste Reise mit dem Fahrrad nach Süddeutschland. Nun kann er sich endlich seine Jugendträume erfüllen und die Alpen und den Rhein sehen. Zwei weitere Reisen folgen und am Ende erleben wir ihn als verheirateten Mann mit einer kleinen Tochter. Er ist auf einem guten Weg. Sein berufliches Können und sein Selbstbewusstsein haben zugenommen. Doch dem beginnenden Krieg kann keiner entkommen. Ein 1. Einberufungsbefehl im März 1940 kann zurückgestellt werden, aber im Dezember 1940 ereilt ihn das Schicksal seiner Altersgenossen.
Er wird „1000 Tage an der Ostfront“* verbringen und über diese Zeit ein ausführliches Tagebuch schreiben. In diesem Buch erleben wir die Jugend und das Erwachsenwerden des Soldaten und Funkers Otto Lemm. Es ist vielleicht für alle die, die sein Tagebuch „1000 Tage an der Ostfront“ gelesen haben, sehr aufschlussreich, zu erfahren, woher kommt dieser Funker Otto Lemm, wie ist er aufgewachsen und welche Ereignisse haben sein Denken geprägt. Wir erfahren in diesem Buch woher er kommt, was ihn geformt hat und mit welcher Einstellung er in den Krieg zog.
Ich möchte wieder den gesellschaftlichen und poltischen Hintergrund beschreiben, der sein Leben notgedrungen geprägt hat. Er selbst beschreibt nur seinen persönlichen Weg ins Leben, aber es ist klar, dass ihn die politischen Verhältnisse beeinträchtigt haben. Schon der Neuanfang in Pommern war politisch bestimmt durch den Versailler Friedensvertrag. Wie wirkten sich die veränderten Verhältnisse nach der Machtergreifung Hitlers auf ihn aus? Die obligatorischen Straßenkämpfe zwischen Kommunisten und SA Kampfgruppen wird er gesehen haben. Von den systematischen Einschränkungen der Juden bis zur Reichskristallnacht und den Deportationen ganz zu schweigen. Ebenso musste die aggressive Außenpolitik Hitlers zu Diskusionen führen. Doch von all dem schreibt mein Vater nichts. Wie konnte man damals ein ganz privates Leben führen, ohne diese Veränderungen zur Kenntnis zu nehmen? fragen wir uns heute. Der Kriegsbeginn am 1. September 1939 konnte allerdings nicht mehr ignoriert werden, denn das Leben veränderte sich danach drastisch.
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