1 ...6 7 8 10 11 12 ...30 Gleich nach Beendigung der Pause musste ich wieder zum Bäcker Kreutz fahren, denn wenn der Laden um halb drei aufgemacht werden sollte, mussten auch frische Brötchen da sein. So hatte ich meine Beschäftigung den lieben langen Tag. Zwischendurch half ich Emil bei der Arbeit. Es gefiel mir ganz gut. Ich tat meine Arbeit gewissenhaft. Als die Maurer Feierabend machten und für mich auch nichts mehr zu tun war, lud mich Arno ein, mit ihm an den Strand zu gehen. Zum Abendbrot war es noch zu früh und herumsitzen wollte er auch nicht.
Zunächst gingen wir auf die Düne und schauten von hier oben aufs Meer und auf den Strand. Von hier ging es 30 Meter oder auch mehr zum Strand hinunter. Jedenfalls waren es über 100 Stufen, wie ich nachher feststellte. Friedlich waren die See und der Strand, als könnte es gar nicht anders sein. Wir stiegen langsam die Stufen hinunter. Der Strand war mit feinem, weißem Sand bedeckt, der das Gehen erschwerte. Wir gingen dicht ans Wasser, denn dort war er fest und glatt. Die Wellen spülten vor, versickerten im Sand und ein Teil zog sich gleich wieder zurück,
2008, Strand bei Henkenhagen, heute Ustronie Morskie
ein ewiges Spiel des Wassers. Hier unten lagen zwei Boote, ein größeres und ein kleineres. Zwei junge Männer machten sich daran zu schaffen. Als wir näher kamen, erkannte ich sie. Es waren Hans und Kurt Schönberg, die Jungs aus dem Friseurgeschäft, die ich vom Konfirmandenunterricht kannte. Ihr Geschäft lag fast gegenüber von unserer Bäckerei. Die beiden Jungen fielen mir damals schon auf, denn sie waren Zwillinge, aber sie waren sich gar nicht ähnlich. Hans war groß und breitschultrig, während Kurt schmächtiger war und vielleicht 20 Pfund weniger wog.
Arno steuerte direkt auf sie zu und sie erwarteten uns auch. Wir begrüßten uns und sie sahen ein wenig neugierig auf mich. Das ist unser neuer Lehrling, sagte Arno. Er heißt Otto. Sehr angenehm, sagten die beiden Jungen und nannten auch ihre Namen. Ich erwähnte die Kirche in Lehnde, von wo wir uns kannten und sie konnten sich an mich erinnern. Arno unterhielt freundschaftliche Beziehungen zu ihnen und sie trafen sich oft. Nun staunten sie über mich. Sie stellten die gleichen Fragen, wie sie auch alle anderen stellten, mit denen ich bekannt gemacht wurde. Wo liegt Lindenhof, wollten sie wissen, denn den Namen hatten sie noch nie gehört. Der Name ist ja auch neu, sagte ich dann jedes Mal. Früher beim Unterricht, sprachen wir kaum miteinander, denn wir waren uns ja fremd. Wir dachten: Die Henkenhagener sind eingebildet und betrachten uns von oben herab. Nun konnte ich nichts Derartiges feststellen. Sie waren mir vom ersten Augenblick an sehr sympathisch, sprachen vernünftig und schienen keine Angeber zu sein. Die beiden Boote gehörten ihrem Vater und sie kamen tatsächlich von der See. Jedoch nicht vom Fischfang, sondern von einer Ruderpartie.
Ihr Vater Theodor Schönberg, befasste sich nicht mit dem Fischfang. Sein Friseurgeschäft ernährte seine Familie, das genügte ihm. Im Sommer, so erzählte Kurt, machten sie Bootsfahrten mit den Badegästen oder sie vermieteten die Boote auch. Da kann ich ja mal mitfahren, sagte ich scherzend. Sicher, sagte Hans, wenn du keine Angst hast. So was gibt es doch wohl nicht, sagte ich lachend. Warst du überhaupt schon mal auf See, fragte nun Kurt. Da muss ich leider nein sagen, gab ich kleinlaut zu. Sie sahen mich an und machten ernste Gesichter. Na, wir werden mal sehen, sagte wiederum Kurt, heute ist es ja schon ziemlich spät, aber ein andermal. Ich war auch gar nicht so fanatisch darauf versessen, ich konnte gern noch einige Wochen warten. Die Boote wurden nun festgemacht, sie zogen sie mit einer Winde auf den Strand.
Nun machten wir alle vier einen Bummel am Strand entlang. Es war ein herrliches Gefühl, im Schein der untergehenden Sonne, beim Rauschen des Meeres, so unbeschwert und sorgenfrei zu bummeln. Das hatte ich früher nicht gekannt. Die frische Luft allein war eine Erholung. Ach war das Leben schön, dachte ich immer wieder. Arno und die Schönberg Jungs erzählten, was sich hier im Sommer alles abspielt. Ein Leben wie in einem Kurbad, sagte Kurt und nickte gewichtig mit dem Kopf. Täglich gibt es Konzerte und es wird im Freien getanzt, betonte Hans nun seinerseits. Was? fragte ich verwundert, tanzen tun die Leute? Ja, arbeiten sie denn nicht? Sie lachten alle drei. Da kann man sehen, dass du überhaupt keine Ahnung hast, sagte Arno. Das Leben besteht doch nicht nur aus Arbeit. Die Leute sind doch zur Erholung hier, sagte nun auch Kurt. Alle drei sahen mich immer noch lachend an. Wo kommst du überhaupt her, fragte er mich deshalb. Ich komme aus Lindenhof, das liegt am Bahnhof Lehnde, berichtete ich nun wahrheitsgemäß. Stammen tue ich aus der Provinz Posen, da sind wir vor drei Jahren ausgewandert, dem Druck der Polen nachgebend. Ach von da stammst du und bei euch hat man nur gearbeitet? Na ja, in Posen hatten wir keine Ostsee und in Lindenhof auch nicht, da konnten wir nicht so spazieren gehen. Da habt ihr nur gearbeitet, gegessen und geschlafen? fragte Kurt. So ist es nun einmal, sagte ich etwas beschämt. Dir werden schon noch die Augen aufgehen, wenn du siehst, was es hier alles gibt. Du wirst hier gar nicht aus dem Staunen herauskommen. Sie amüsierten sich über meine Naivität. Als wir einige Kilometer gegangen waren, kehrten wir um und gingen wieder zurück. Es war kein Ende abzusehen, die Ostsee erstreckte sich noch meilenweit. Wir stiegen wieder die Treppen hinauf und kamen gerade noch rechtzeitig zum Abendessen.
Der nächste Tag verlief wie der Tag vorher. Arno kam wieder mit, als wir die Brötchen holten. Heute war Sonnabend und wir brauchten bedeutend mehr. Wir bekamen längst nicht alle mit und ich musste noch einmal fahren. Noch vor dem Frühstück fuhren wir beide mit Fahrrädern los, denn wir mussten einige Beutel mit Brötchen wegbringen. Verschiedene Kunden ließen sie sich ins Haus bringen. Arno zeigte mir, wo die Kunden wohnten. Wir hingen die Beutel an die Tür, drückten auf den Klingelknopf und verschwanden.
Erst als wir von dieser Tour zurück waren, bekamen wir Frühstück. Sofort musste ich abermals losfahren und Weißbrot und Kleingebäck holen. Nach dem Mittagessen machte Emil den Pferdewagen fertig und wir fuhren zusammen zum Bäcker Kreutz. Wir luden verschiedene Kisten voll Brot, Semmeln und verschiedene Blechkuchen auf, denn heute war Sonnabend. Zu Hause angekommen, blieb das Pferd gleich vor dem Wagen, denn nun sollten wir die Wiederverkäufer beliefern. Die Frau Meisterin zählte in andere Körbe Semmeln ein und auch Brote verschiedener Farbe und Größe. Alles wurde in Bücher eingeschrieben, die Emil an sich nahm. Nun erst bestiegen wir den Wagen und der Braune setzte sich in Bewegung.
Es ging die Dorfstraße in entgegengesetzter Richtung entlang, also nach Westen. Wir kamen aus dem Dorf heraus und fuhren einige Feldwege entlang und an verschiedenen Bauerngehöften vorbei bis in den Ort Ziegenberg. Dieser Ort war nur klein und lag nicht ganz dicht an der See. Jedoch im Sommer kamen die Badegäste auch hierher. Hier gab es zwei Geschäfte, die allerlei Waren verkauften, diese belieferten wir mit Backwaren. Sie lagen an der einzigen Straße des Ortes. Emil nahm die Bücher, verglich die Eintragungen mit der Ware und dann trugen wir die Körbe in den ersten Laden. Auch hier wurde ich bekannt gemacht. Emil sagte, dass ich nun oft allein kommen würde. Hierher fahren wir jeden Mittwoch und Sonnabend und im Sommer musst du jeden Morgen hierher fahren, erklärte er mir draußen. Ich nahm es zur Kenntnis. Im Sommer ist wohl viel zu tun in der Bäckerei? fragte ich. Viel ist gar kein Ausdruck, sagte Emil mit erhobenem Zeigefinger, da bist du von früh um 4 Uhr bis zum Einbruch der Dunkelheit auf den Beinen. Nicht nur du, für mich kommt dann noch die Feldarbeit dazu. Es sind doch nur 5 Morgen, wandte ich ein. Emil aber meinte, das reiche vollkommen. Wir haben zu Hause 48 Morgen bearbeitet und haben nebenbei drei Gebäude gebaut, erzählte ich ihm. Ist egal, sagte er, mir reicht die Arbeit vollkommen. Ich muss ja alles mit der Sense abmähen und bin immer allein dabei.
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