Nun hatte sich der Duft in der ganzen Backstube verbreitet und die Frau Meisterin und Luzie kamen neugierig zu uns. Die duften ja herrlich! riefen sie wie aus einem Munde. Sie wurden auf emaillierte Bleche geschüttet und in den Laden gebracht. Die großen Herzen streicht ihr doch mit Schokolade? fragte die Frau Meisterin und Arno nickte. Die kleinen Sterne strichen wir mit Zuckerglasur und bestreuten sie mit buntem Zucker. Der Duft verbreitete sich nun auch im Laden. Jeder sollte wissen: Jetzt werden Pfefferkuchen gebacken, jetzt ist bald Weihnachten. Den ganzen Dezember hindurch machten wir neben den Ausstechern auch Stollen, kleine Napfkuchen mit viel Rosinen und Rosinenbrote. Dann verarbeiteten wir den Pfefferkuchenteig zu Steinpflaster, Pfeffernüssen, rechteckigen Stücken, die wir glasierten und mit Mandeln belegten und Weihnachtsmännern.
In der Backstube wurde es jetzt interessant. Zahlreiche Kunden brachten jetzt Bleche mit Ausstechern oder Stollen, die wir abbacken sollten. Vor dem Fest war besonders viel los. In den frühen Morgenstunden kamen die ersten Kunden. Sie brachten auch Blech- oder Napfkuchen. Manche brachten sogar Brotteig, den wir zu Brot oder Brötchen verarbeiten sollten. Ich nahm ihnen den Kuchen ab, fragte ob es Pulver oder Hefe sei, dann stellte ich sie entsprechend weg. Wir überwachten die Gare bei den Hefekuchen und schoben die Pulverkuchen sofort in den Ofen, wenn Platz war. Arno stand dauernd am Ofen und nahm die Gebackenen heraus. Dann reichte ich ihm die Neuen zu. Der Ofen war dauernd voll. Beim Abholen wurde gleich kassiert. Die kleinen kosteten 10 Pfennig und die großen 20. Viele Kunden gaben mir Trinkgeld, das ich zuerst gar nicht annehmen wollte. Aber sie drängten es mir förmlich auf. So nahm ich es dann schließlich mit Dank an. Manche gaben mir sogar 50 Pfennig und ich war am Ende doch froh, denn als ich es am Schluss zählte, waren es bald 10 Mark. Mein erstes selbstverdientes Geld.
Am Heiligen Abend wurde der Kuchen nur bis Mittag angenommen; am Nachmittag scheuerten wir die Backstube und wuschen den Ofen. Arno half natürlich auch mit. Einige Kunden hatten noch schnell ihren Festtagsbraten gebracht, den wir auch in den Ofen stellten. Oft war es die Weihnachtsgans oder ein Schweinebraten.
Um sechs Uhr rief Arno mich und Emil, wir sollten ins Haus kommen. Im Zimmer, in dem wir sonst zu Tisch saßen, waren unsere Geschenke aufgebaut. Jeder von uns bekam einen bunten Teller, ein praktisches Geschenk und einen Umschlag mit einem Geldbetrag. Auf jedem Teller lag ein Kärtchen mit dem Namen. Der Meister und die Frau Meisterin wünschten uns Frohe Weihnachten und wir bedankten uns herzlich. Nun hatten wir noch ein wenig Zeit bis zum Abendessen und ich ging mit Emil auf unsere Stube, wo wir uns das Geschenk erst einmal ansahen. Bei mir steckten 10 Mark im Umschlag, ich war glücklich. Emil holte 20 Mark aus seinem Umschlag heraus und war auch nicht glücklicher als ich, denn er hatte damit gerechnet. Für mich war es jedenfalls eine große Überraschung, denn ich hatte ja keine Ahnung.
Beim Abendbrot ging es heute ein wenig geheimnisvoll zu, denn keiner wusste, was der andere bekommen hatte. Man sah förmlich, wie die Gedanken umher eilten und zu ergründen suchten, was ihnen doch nicht gelang. Als wir gingen, wünschten wir eine gute Nacht und nochmals Frohe Feiertage. Nun war das Herzklopfen vorbei und die Spannung hatte sich gelegt. Emil schickte sich an, nach Hause zu gehen, denn er wohnte ja im Dorf. Ich wollte erst morgen Vormittag gehen. Heute war es schon dunkel und es hatte am Nachmittag ein wenig geschneit.
Am ersten Weihnachtsfeiertag stand ich schon früh auf. Marie hatte noch gar nicht den Frühstückstisch gedeckt, da wollte ich schon frühstücken. Ich konnte es einfach nicht länger erwarten, zu meinen Eltern und Geschwistern zu gehen. Ich hatte mein Bündel, das ich mitnehmen wollte, schon mit heruntergebracht. Nun aß ich schnell und verabschiedete mich. Der Meister trug mir Grüße an meine Eltern auf, die ich mit Dank annahm. Dann machte ich mich auf den Weg. Ich musste die Strecke zu Fuß gehen und benötigte immerhin, bei den Schneeverhältnissen, reichlich mehr als eine Stunde. Jetzt war es acht Uhr und um halb zehn wollte ich da sein. Es hatte auch in der Nacht noch ein wenig geschneit und so musste ich mir
erst einen Weg bahnen. Die Niederungen waren verweht und es war keinerlei Verkehr auf der gesamten Strecke. Ich war ganz allein unterwegs, alle schienen an diesem Morgen Weihnachten zu feiern. Mit vor Kälte und vom Wind geröteten Backen kam ich schon vor der geschätzten Zeit an. Man erblickte mich schon von weitem und winkte mir zu. Helmut kam mir sogar ein Stück entgegen. Im Haus legte ich mein Bündel auf den Tisch und begrüßte zuerst meine Eltern und dann meine Geschwister. Wir alle freuten uns über das Wiedersehen. Ich stellte meinen bunten Teller auf den Tisch und forderte alle auf, zuzugreifen. Im Nu hatte jeder eine Kostprobe genommen und der Teller war leer.
Im Wohnzimmer stand der geschmückte Weihnachtsbaum und darunter lagen noch die Geschenke. Jeder zeigte mir sein Geschenk. Mein Geschenk war noch verschnürt. Ich löste behutsam die Verschnürung und stieß einen Jubelruf aus. Eine weiße Bäckerjacke hatte Mutter für mich besorgt, ich war glücklich. Sofort musste ich sie anziehen, denn alle wollten sehen, wie ich darin aussehe. Die Jacke passte genau und ich wurde von allen Seiten bestaunt und belächelt. Luise war sehr stolz, denn sie hatte die Jacke in der Stadt ausgesucht und mitgebracht. Sogar Vater lächelte vor Freude. Wir bestaunten nun auch die anderen Geschenke und ich zeigte ihnen noch den Schal, den ich vom Meister bekommen hatte.
Nun wurde der Kaffeetisch gedeckt und nun musste ich auch den Kuchen kosten, den Luise gebacken hatte. Sie war auf mein Urteil gespannt, denn ich war ja nun Fachmann. Er war natürlich gut, aber ich konnte ihr doch einige Tipps geben. Das kann man aber nicht mit einigen Fingerzeigen lernen, das muss man sehen, sagte ich. Ich fragte nach den Mengen der Zutaten, aber sie konnte mir das nicht genau sagen, denn sie hatte sie nicht gewogen. Du musst alles wiegen, sonst gelingt dir der Kuchen nicht. Nun begutachteten wir auch die Ausstecher, die sie zu den Feiertagen gemacht hatte. Sie waren selbstverständlich gut, nur einiges sagte ich dazu: Ich hätte nicht so viel Fett genommen, dafür lieber etwas mehr Zucker, dann sind sie nicht so mürbe, sondern etwas röscher. So ist das also, sagte sie nachdenklich.
Im nächsten Jahr, das musste ich jetzt schon versprechen, sollte ich zu Hause die Pfefferkuchen backen. Ich versprach es und freute mich jetzt schon darauf. Wir können auch mal gern einen anderen Kuchen backen, sagte ich. Ich kann euch dann die Handgriffe zeigen, die den Kuchen erst zum Kuchen machen. Wir schauten gleich auf dem Kalender nach und suchten einen günstigen Termin. Ich sagte Luise auch, welche Zutaten sie besorgen sollte.
Wir sprachen noch, als das Mittagessen bereits aufgetragen wurde. Wieder gab es, wie zu allen Feiertagen, eine Weihnachtsgans. Ich bekam ein ordentliches Stück davon. Das schmeckte einmal ganz anders als beim Meister. Ich soll euch auch Grüße vom Meister und der Frau Meisterin bestellen, sagte ich und sah meine Eltern dabei an. Vater fragte: Hat er das wirklich gesagt? Natürlich hat er das gesagt, heute früh beim Frühstück. Nun schmunzelte er doch und Mutter wiederholte: Vom Meister und der Frau Meisterin. Nun staunten sie alle. Elfie sagte: Was du in einem dreiviertel Jahr alles gelernt hast, da muss man ja staunen. Sie ging jetzt das letzte Jahr zur Schule. Zum Fest waren alle versammelt, sogar Fritz und Paul waren da.
Nun waren wir neun Personen am Tisch.
Paul hatte es nun auch leichter, denn Vater hatte ihm erlaubt, jetzt im Winter mit der Bahn zu seinem Arbeitsplatz nach Kolberg zu fahren. Er hatte die Prüfung als Chauffeur schon gemacht, konnte also schon ein Auto fahren. Fritz arbeitete noch auf der Ziegelei und verdiente viel Geld. Er fuhr immer mit dem Fahrrad, denn er hatte es nicht so weit. Willi war angehender Bauer und war hier zu Hause.
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