Die Zeit verging ganz schön schnell und langweilig wurde es uns nicht. Wir bildeten eine fast gerade Linie, nur Onkel Theodor blieb ein wenig zurück. Arno und ich nahmen abwechselnd seinen Korb mit und entleerten ihn, auch Emil war besorgt um ihn. So kamen wir in drei Stunden am anderen Ende an. Es ging sehr gemütlich zu und keiner brauchte sich zu überanstrengen. Emil ging nun zurück, um den Korb mit dem Essen zu holen. Wir anderen machten es uns inzwischen gemütlich. Es war zwölf Uhr vorbei. Nun konnte es sich jeder ausrechnen, wann wir ganz fertig sein würden. Zunächst teilte Marie das Essen aus und auch das Getränk. Jeder konnte nach Herzenslust zugreifen. Das Gespräch wurde während des Essens fortgesetzt. Als Emil mit dem Essen fertig war, steckte er sich die Pfeife an, Arno rauchte eine Zigarette. Wir dehnten die Pause noch ein wenig aus, denn bis vier Uhr würden wir es schaffen.
Ein Sack nach dem anderen wurde vollgeschüttet. Es standen bereits eine stattliche Anzahl gefüllter Säcke in einer Reihe und es kamen jetzt immer mehr dazu. Würde denn der Braune das schaffen? Es werden doch bestimmt 30 Zentner. Ist das nicht eine Fuhre für zwei Pferde? Zu Onkel Theodor sagte ich: Die Kartoffeln lohnen in diesem Jahr besonders. Er nickte mit dem Kopf: Auf so einem Stück hatten wir sonst nur 20 Zentner, heute sind es dreißig. Onkel Theodor, der sehr gottesfürchtig war, sagte. Wir müssen besonders dankbar sein für diese reiche Ernte! Ich dachte nur: Der Braune wird gerade nicht dankbar sein, dass er die schwere Last nach Hause ziehen muss. Dankbar waren wir jedoch auch; die Landbevölkerung ist das immer, sie weiß am ehesten den Segen des Feldes zu schätzen.
Nun aber ging es dem Ende zu. Endlich hatten wir es geschafft. Emil hatte das Pferd bereits angespannt und wir Männer folgten ihm ans andere Ende des Stückes. Die Frauen machten sich bereits auf den Heimweg, denn alle konnten auf dem Pferdewagen nicht mitfahren. Emil und Arno hoben gemeinsam die Säcke auf den Wagen, während ich sie dann zu recht rückte. Onkel Theodor fuhr den Wagen immer ein Stückchen weiter, so dass die beiden Auflader es bequem hatten. Wir blieben zunächst auf dem Wagen, als wir heimfuhren. Emil sagte. Wenn es dem Pferd zu schwer wird, können wir immer noch absteigen.
Wir kamen auf den Hof, als es bereits dunkelte. Emil fuhr den Wagen in die Scheune und wollte ihn am nächsten Tag abladen. Mir war es recht, denn ich war ziemlich müde. Wir gingen in die Backstube und wuschen uns Gesicht und Hände; nun
erst fühlten wir uns wohl. Marie hatte bereits das Abendbrot gerichtet und rief nach uns. Die beiden Frauen waren auch noch da und warteten auf das Essen, denn das gehörte dazu. Wir saßen um den Tisch in der Küche und waren unter uns. Ich dachte an die Schule und überlegte, ob ich mich beeilen sollte, damit ich es noch hin schaffe. Ich schwankte zwischen Pflichtgefühl und Bequemlichkeit. Schließlich zog ich die Bequemlichkeit vor, denn meine schmerzenden Knie erinnerten mich daran, dass ich heute genug gearbeitet hatte. Der Meister hatte mich sicherlich entschuldigt. Mich überkam eine derartige Müdigkeit, dass ich nur schlafen wollte. Nach dem Essen ging ich sofort in die Backstube und machte den Grundsauer und die Hefestücke. Arno kam auch und besprach mit mir das Ganze. Bist auch müde? fragte er. Ich geh sofort schlafen, wenn ich hier fertig bin, sagte ich zu ihm. Den ganzen Tag habe ich nichts gemerkt, aber jetzt kommt die Müdigkeit auf einmal. Bei mir ist es dasselbe, sagte Arno. Nur gut, dass es nur einen Tag gedauert hat.
Im Oktober fiel der erste Schnee, draußen wurde es kälter. Nun merkte ich erst, wie schön es in der Backstube war. Alle kamen zu uns herein, um sich zu wärmen. Du hast es gut, Otto, sagte einer wie der andere. An den Sommer dachte keiner dabei. Eines Tages besprach der Meister mit Arno die Pfefferkuchenbäckerei. Ich spitzte sofort die Ohren. Tatsächlich, es sollte bald losgehen. Für mich war das etwas ganz Neues. Ich wollte höllisch aufpassen und mir einiges notieren.
Zunächst holten wir einen Eimer Sirup aus dem Laden, den wir in einen Kessel gossen und auf dem Herd warm machten. Aber nicht der Sirup allein wurde zum Kochen gebracht, sondern einige Kilo Zucker kamen noch hinzu. Nun ließ Arno alles richtig aufkochen und rührte ein paarmal kräftig durch. Dann stellte er den Kessel zum Abkühlen auf die Erde. Ich ließ mir nicht das Geringste entgehen. Nun kam der Meister und ließ sich von Arno berichten, wie weit der Sirup sei. Er überprüfte die Temperatur des Sirups. Er konnte nun in den Bottich der Knetmaschine gegossen werden. Dann wog Arno das Mehl ab, aber die anderen Zutaten wog der Meister selbst ab, ebenso die Triebmittel.
Bis jetzt hatte ich mir alles gemerkt; ich sah ja die Gewichte, die auf der Waage standen. Die Maschine lief bereits, als sie das Triebmittel hinein schütteten. Es waren Ammonium und Pottasche. Warum gibt es da zwei Sorten? fragte ich Arno, als der Meister einen Augenblick hinaus gegangen war. Also das ist so, erklärte mir Arno und kam sich dabei sehr wichtig vor. Das Ammonium hebt das Gebäck und die Pottasche treibt es nach der Seite. Es darf aber nicht gleich beigemischt werden. Deshalb auch die spätere Zugabe, jetzt leuchtete es mir ein. Und die Zusammensetzung, wonach richtet sich die? Ich dachte, Arno würde mir die auch erklären. Er aber sagte nur: So machen wir den Teig schon seit Jahren. Es ist ein gutes Rezept und es vererbt sich von einer Generation auf die andere. Ich lachte. Brauchst gar nicht so zu lachen. Was meinst du, wie geheim manche Meister mit ihren Rezepten umgehen? Dabei kann ich aber doch nichts lernen, sagte ich entrüstet. So ist es nun einmal, verteidigte sich Arno, obwohl jeden Tag Pfefferkuchen gebacken werden und jeden Tag Teige gemacht werden, die Zutaten wiegt der Meister selbst ab. Damit ihm der Geselle das Rezept nicht absieht und es nicht an die Konkurrenz verraten kann. Raffiniert! dachte ich, aber ich komme schon noch dahinter. Was denkst
du wohl, begann Arno weiter zu erzählen, warum die Nürnberger Lebkuchen so berühmt geworden sind? Das Geheimnis beruht auf jahrhundertelanger Erfahrung, wobei die erprobten Rezepte immer wieder verbessert wurden, bis sie den heutigen Stand erreichten.
Den einfachen Pfefferkuchen kann jeder, der steht in Zeitschriften und Rezeptbüchern, aber Spezialitäten muss jeder selbst austüfteln, erklärte mir Arno und kam sich dabei sehr überlegen vor. Der Grundstoff ist immer Honig oder Sirup und Zucker, dazu kommt Mehl Triebmittel und Gewürze. Wie das alles zusammen harmoniert, das muss jeder selbst ausprobieren. Ach wäre ich doch schon so weit, dachte ich.
Jetzt wollen wir eine Probe backen, sagte Arno und rollte ein Stück aus. Mit einem Ausstecher stach er einige Stücke aus und legte sie auf ein Blech. Sie kamen sofort in den oberen Ofen. Wir warteten auf das Abbacken. Der Meister erschien ebenfalls und sah sich die Probe an. Sie nahmen jeder ein Stück, brachen es auseinander, rochen daran und kosteten es. Arno meinte, es wäre zu wenig Aroma drin. Der Meister sagte dagegen: Aroma ist genug drin, es fehlt Pottasche, denn sie ziehen zu hoch. Sie einigten sich und Arno wog noch 50 Gramm Pottasche ab. Er löste sie in Wasser auf, schüttete die Flüssigkeit auf den Teig und schaltete die Maschine ein. Wir machten im Anschluss daran eine zweite Probe und verglichen sie mit der ersten. Der Meister hatte recht! sagte Arno. Siehst du den Unterschied? Natürlich sah ich ihn. Ich hatte doch einen Blick dafür.
Der Meister war mit der zweiten Probe zufrieden und für uns begann nun die Arbeit. Zunächst warfen wir den Teig auf den Tisch und stießen ihn zusammen Er war noch ganz schön fest, obwohl er noch warm war. Arno schnitt mit dem Messer ein Stück ab und rollte es aus. Ich holte die Bleche und setzte auf, während er ausstach: Herzen, große und kleine, Sterne und andere Figuren. Die ersten 12 Bleche kamen sofort in den Ofen, der erste Herd war voll. Weiter machten wir, die nächsten Bleche wurden voll. Nun waren die ersten gebacken. Arno holte sie heraus und schob die nächsten gleich hinein. Insgesamt hatten wir 52 Bleche.
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