Am letzten Sonnabend wollte Herr Piltz zum Abschluss seines hiesigen Aufenthalts noch einmal in der Ostsee baden. Ich wollte natürlich, wie konnte es anders sein, ihm dabei Gesellschaft leisten. Jedoch das Wetter meinte es gar nicht gut mit uns. Ein scharfer Wind blies von Norden her. Wir wollten es trotzdem versuchen. Ich werde zuerst die Wassertemperatur messen, sagte ich, nahm mir ein Thermometer und ging hinunter. Ich zog Schuhe und Strümpfe aus und ging ein Stück ins Wasser. Au, war das kalt! Ich hielt das Thermometer hinein, aber immer neue Brecher
kamen und ich musste zurückweichen. Herr Piltz, der auf der Düne stand, rief mir etwas zu, aber ich konnte es nicht verstehen. Ich schaute auf das Thermometer und stellte fest: 17 Grad! Unmöglich konnte man da baden, dachte ich. Ich ließ den Kopf ein wenig hängen und stieg die Treppe hinauf. Auf halber Höhe rief ich ihm zu: 17 Grad, das ist unmöglich! Er jedoch meinte: Für die Ostsee ist das nicht zu kalt. Machst du auch mit? fragte er Arno, als wir wieder in der Backstube waren. Der war ganz überrascht und sagte: Ich hatte eigentlich nicht die Absicht, weil mir gestern Mittag nicht ganz wohl war. Aber du machst doch mit? fragte er nun mich. Ich nickte mit dem Kopf und war einverstanden.
Wir gingen sofort nach oben, zogen unsere Badehosen an und den Bademantel drüber und kamen wieder in die Backstube. Arno nahm die Uhr in die Hand und sagte: Fertigmachen! Auf los, geht’s los. Es ist genau 14 Uhr fünf. Wir eilten vom Hof auf die Straße und gleich die Treppe hinunter zum Strand. Dicht am Wasser warfen wir den Bademantel ab und taten zunächst ein paar Sprünge am Strand. Arno, stand auf unserer Düne und beobachtete uns. Wir winkten ihm zu und riefen: Es ist wunderbar! Nun gingen wir mit den Füßen hinein, aber schon im nächsten Augenblick waren wir wieder draußen. Das Wasser war kalt und es gab auf der ganzen Linie Brecher; durch die galt es erst mal hindurch zu kommen. Immer weiter wagten wir uns hinein, vor den Brechern sprangen wir hoch. Zur gleichen Zeit durchbrachen wir die Brecher und waren im nächsten Augenblick im ruhigen Wasser. Nun warfen wir uns hinein und begannen zu schwimmen; es war auf einmal nicht mehr kalt. Die Frau Meisterin und Marie hatten sich zu Arno gesellt und schauten uns zu. Wir tummelten uns im Wasser, standen auf und warfen uns wieder hin, begannen erneut zu schwimmen. Nach etwa zehn Minuten rannten wir aus dem Wasser, zogen unsere Bademäntel an und eilten sofort die Treppe hinauf. Im Laufschritt erreichten wir die Backstube und stellten uns sofort an den Ofen. Nun erst trockneten wir uns ab. Sofort zogen wir unsere Sachen an, die schon vorgewärmt waren. Wir fühlten uns sehr wohl. Es ist 14 Uhr dreißig, sagte Arno. Fünfundzwanzig Minuten hat das gedauert. Es war wirklich fabelhaft und wir freuten uns über die gelungene Tat. Nun habe ich doch ein letztes Andenken an die Ostsee, sagte Herr Piltz nachdenklich.
Am Montag, es war der 15. September, nahm Herr Piltz Abschied von uns. Ich wollte ihn zur Bahn begleiten. Im Strandschloss wurden noch Gäste erwartet und deshalb fuhr Helmut mit dem Pferdewagen zur Bahn. Für uns kam das gerade recht, denn wie sollten wir sonst die Koffer zur Bahn bekommen. Er bekam ein gutes Trinkgeld dafür. Wir erreichten den Bahnhof rechtzeitig und Herr Piltz holte sich eine Fahrkarte nach Breslau. Er fuhr über Frankfurt/Oder. Die Fahrt dauerte sicherlich sehr lange. Ich hatte noch nie eine so lange Fahrt unternommen und konnte mir das gar nicht vorstellen. Ich winkte ihm solange nach, bis ich vom Zug nichts mehr sah.
Nun waren wir wieder allein, der Meister, Arno und ich. Wir hatten jetzt genau so viel Arbeit wie damals im Mai. Wir backten in der Hauptsache Brot, Brötchen und Schnecken. Fast jeden Tag gab es auch Amerikaner und an den Sonnabenden machte der Meister einige Bleche Plunder, Kranzstangen und einen Blechkuchen. Die beiden Verkäuferinnen waren nacheinander auch entlassen worden. Ich hatte nur noch an den Sonnabenden einige Frühstückskunden Es war ein ruhiges Geschäft. Arno und ich machten manchmal Teegebäck oder rösteten Zwieback. Der Meister kam nur selten in die Backstube.
Am 1. Oktober begann die Fortbildungsschule. Hier waren die Lehrlinge aller Berufe vertreten: Bäcker, Fleischer, Schneider, Schumacher, Tischler, Schmiede, Schlosser, Maurer, Zimmerleute und was es sonst noch gab. Wir, die Bäckerlehrlinge Charly, Willi und ich, saßen auf der obersten Bank. Als Lehrer hatten wir den zweiten Lehrer des Dorfes.
Er lehrte ganz allgemein, was jeder Handwerksgeselle wissen musste. Da ging es um die Bestellung der Ware, die Überprüfung und um die Bezahlung der Rech-nung. Weiter erzählte er von der Entstehung des Handwerks und der Zünfte und deren Weiterentwicklung bis zur Entstehung der Innungen. Er erklärte uns den Begriff des Handwerksburschen, des wandernden Gesellen, der von Stadt zu Stadt zog, um seine Kenntnisse zu erweitern und ein Stück von der Welt zu sehen.
Wir lasen Geschichten und Gedichte über das Handwerk. Wie manche Handwerksburschen um den ganzen Erdball wanderten, nur um am Ende festzustellen, in der Heimat ist es doch am schönsten. Oder andere, die im Frühling, wenn die Sonne höher stieg, ihre Arbeit hinwarfen, um auf Wanderschaft zu gehen. Herr Meister und Frau Meisterin, lasst uns in Frieden weiter ziehen und wandern, hieß es so schön in einem Wanderlied.
Weiter sprach unser Lehrer von der Eröffnung eines Betriebes. Dann erklärte er uns die kaufmännische Buchführung und das Rechnen. Alles wurde jedoch nur gestreift, von einer Vertiefung in die einzelnen Gebiete konnte keine Rede sein. Jeder lauschte gespannt und dachte: Ob ich das jemals gebrauchen kann? Diese Schule war die einzige, die wir Lehrlinge besuchen durften. Hier sollten wir uns das nötige Wissen aneignen, um die Gesellenprüfung zu bestehen. Die meisten der Lehrlinge hielten diesen Unterricht für überflüssig. Er fand nur im Winter statt und ging außerdem von der Freizeit der Lehrlinge ab.
Im Oktober dunkelte es schon sehr bald, auf der Dorfstraße brannten einige Lichter. Wir standen sehr oft vor der Haustüre und warteten auf das Abendbrot, das es jetzt immer erst um sieben Uhr gab. Nachher ging ich allein in die Backstube, um den Sauer zu machen. Emil stand inzwischen am Ofen und wärmte sich. Anschließend gingen Emil und ich noch ein Stück spazieren. Interessant war es schon auf der Straße, denn die wenigen Lampen erhellten immer nur ein Stück der Straße. Es
waren viele kleine Trupps unterwegs und man konnte sich irgendeinem anschließen oder man blieb allein. Es wurde viel geklönt und die neuesten Nachrichten gingen schnell von Mund zu Mund: Welches Mädchen mit welchem Burschen ging, welcher Bursche sein Mädchen gewechselt hatte, wann die nächste Hochzeit stattfindet und wer sich wohl scheiden lassen wird.
Bei schlechtem Wetter saßen wir in der Stube, lasen ein Buch oder Emil hatte Besuch von Bekannten. Waren sie zu dritt, dann spielten sie Karten. Oft gab es dabei Streit, dann war es ziemlich laut. Außerdem rauchten sie Pfeife und qualmten die ganze Stube voll. Oft saßen sie bis zwölf Uhr und ich konnte nicht ins Bett gehen. Ich war schon verärgert. Ich musste notgedrungen zusehen, selbst spielen konnte ich nicht und lesen konnte ich dabei auch nicht. Das Geld wechselte dauernd seinen Besitzer und ich wunderte mich, wie schnell man gewinnen oder verlieren konnte. Schließlich wurde auch mein Interesse am Kartenspiel geweckt. Man erklärte mir die Karten und ich war bereit, mit ihnen zu spielen. Zunächst nahm man auf mich Rücksicht, man korrigierte mich, wenn ich falsch ausspielte. Man ließ mich sozusagen gewinnen. Dann jedoch grinsten sie, wenn ich falsch ausspielte und langten kräftig drein. Sie lachten und ich ärgerte mich. Nun machten sie mir Mut, ich hätte doch Kredit, ich solle nur ruhig weiter spielen, sie pumpten mir sogar Geld. Aber ich verlor weiter und überlegte, wie ich den Schaden wieder gut machen sollte, wo ich doch so gut wie keine Einnahmen hatte. Wenn ich auch mal fünf Pfennig gewann, so merkte ich doch, wie ich immer tiefer abrutschte. Jetzt oder nie! dachte ich. Wenn ich jetzt nicht radikal aufhöre, dann verfalle ich dem Spiel. Ich warf die Karten auf den Tisch und sagte: Niemals in meinem Leben werde ich wieder Karten anfassen! Emil und seine Kollegen lachten und sagten: Wenn diese Worte eine Brücke wären, würden sie nie darüber gehen. Täuscht euch nicht, sagte ich, das ist mein voller Ernst.
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