Jedenfalls nahm ich in den nächsten Tagen keine Karten in die Hand, obwohl sie mich dauernd dazu aufforderten. Ich meinerseits forderte Emil auf, beizeiten aufzuhören, denn ich musste ja um fünf aufstehen. Sofort, sagte dann Emil, dies ist das letzte Spiel. Wenn sie dann wirklich gingen, öffneten wir schnell das Fenster und trieben den Rauch mit einem Handtuch hinaus. Sie verabschiedeten sich dann bis zum nächsten Abend und versprachen pünktlich zu sein. Emil schmunzelte und ich war ärgerlich.
In der Backstube begann jetzt für mich die Zeit, in der ich alles genauer wissen wollte. Arno musste mir vieles erklären, was für mich noch unklar war. Zuerst besprachen wir die Brötchen. Wie berechnet man die Hefe für den Teig? fragte ich zunächst. Die Hefe richtet sich nach dem Mehl, erklärte er mir. Bei kleineren Teigen nimmt man 50 Gramm auf ein Kilo Mehl und bei größeren Teigen nur dreißig Gramm. Ich staunte. Dazu gehört Fingerspitzengefühl, dann kommt es auf die Wärme an und auf die Zeit, die zur Verfügung steht. So langsam sah ich das ein und begann, darüber nachzudenken. Nochmals sagte Arno: Je kleiner der Teig, um- so größer ist der Anteil der Hefe. Gibt es da keine feste Norm? fragte ich. Nein, sagte er, Hefe schadet dem Teig nicht. Außerdem unterscheiden wir die direkte und die indirekte Teigführung. Bei der direkten machen wir kein Hefestück und bei der in
direkten machen wir vom dritten Teil des Mehles ein Hefestück. Das Hefestück muss drei Stunden stehen, bis es verarbeitet wird.
Was gehört außerdem noch in den Teig? wollte ich jetzt von ihm wissen. Ja, das kommt immer darauf an, was ich der Kundschaft bieten will, sagte er überlegend. Außerdem gibt es viele Sorten von Brötchen. Ich meine die Brötchen, die wir machen, sagte ich und wollte es genau wissen. Also pass auf! sagte Arno und er schien alles zu geben, was er gelernt hatte. Salz gehört zunächst in jeden Teig, und zwar rechnet man auf einen Liter Flüssigkeit 20 – 30 Gramm. Dann kann man die gleiche Menge Zucker nehmen, außerdem gibt es eine ganze Menge Backhilfsmittel; die Zahl ist groß und man muss zuerst probieren. Wie ist es mit Milch oder Milchpulver? fragte ich. Ist auch gut und die Kundschaft wird es dir danken, sagte Arno. Er war jedoch nicht sehr begeistert. Vom Dankeschön kann man nicht leben, sagte er und lächelte.
Wie wird denn das Wasser berechnet? wollte ich nun wissen. Das Wasser richtet sich danach, wie fest ich den Teig haben will, da gibt es keine Norm. Arno wusste über alles Bescheid. Für 10 Kilo Mehl ungefähr? fragte ich. Für 10 Kilo ca. 7 – 7,5 Liter. Das ergibt 10 Pressen Brötchen oder 15 Weißbrote. Ich war völlig zufrieden. Also nimmt man Zucker und Salz zu gleichen Teilen und dazu Backhilfsmittel, wiederholte ich noch einmal. Ja, sagte Arno, Backhilfsmittel, so man hat. Ich sah ihn etwas ungläubig an und fragte: Warum? Es gehören eben Jahre dazu, um das auszuprobieren und um das Fingerspitzengefühl zu bekommen, das lehrt man an den Fachschulen und gibt es von einer Generation an die nächste weiter.
Aber nun zu den Kuchenteigen, was nimmt man da? Das richtet sich danach, was ich machen will und wie teuer der Kuchen sein soll. Kuchenteig nennt man den Teig, wo auf 90 Gewichtsteile Mehl, 10 Gewichtsteile Fett und Zucker kommen. Diese können im Teig sein oder sie dürfen dem Gebäck anhaften. Das ist natürlich der einfachste Teig und man kann ihn nicht überall verwenden. Zutaten kann man nehmen, so viel man will, sagte Arno. Man muss nur richtig kalkulieren, damit man nicht nur auf seine Kosten kommt, man will ja auch daran verdienen. Das leuchtete mir ein. Schau, wir verkaufen vier Schnecken für 10 Pfennig, da muss der Teig halt einfach sein, denn die vier Schnecken wiegen bereits 150 Gramm.
Bei den Weihnachtsstollen kommt auf ein Kilo Mehl bereits ein Kilo Zutaten und manchmal sogar mehr. Meine Augen wurden immer größer. Ich sah es ein, dass man in der Bäckerei sehr viel lernen konnte und auch lernen musste. Es hieß Augen und Ohren offen halten. Nimmt man zu wenige Zutaten und verkauft das Gebäck zu teuer, dann geht die Kundschaft weg. Sie sagt dann: der Kuchen schmeckt nicht. Die Kundschaft entscheidet letzten Endes darüber, ob ein Geschäft geht oder nicht. Jetzt machte mir das Bäcker lernen erst richtig Spaß, mir gingen die Augen ganz von selbst auf. Ich wollte noch mehr fragen, aber Arno war nicht mehr dazu zu bewegen. Er sagte: Nicht alles an einem Tage, wir können uns ja noch öfter unterhalten. Nach diesem Gespräch mit Arno, saß ich noch lange auf der Stube und dachte darüber nach. Einiges schrieb ich in mein Büchlein.
Als ich später am Strand entlang ging, dachte ich über alles noch einmal nach. Was man doch alles in einem halben Jahr lernen kann? Zuerst hatte ich von alledem gar keine Ahnung, keinen blassen Schimmer, wie man sagt. Und ab heute beginne ich zu begreifen. Erst jetzt, wo es wieder ruhig geworden ist, kann ich mich in die ganze Sache vertiefen. Jetzt habe ich Zeit, über das bisher Gelernte nachzudenken. Ich werde Arno weiterhin mit den unmöglichsten Fragen aus der Reserve locken. Ich werde nicht müde werden, bis mein Wissensdurst gestillt ist.
Kurz vor sechs Uhr hatte ich meine Wanderung beendet, es dunkelte bereits. Ich ging nun die Treppen wieder hoch. Mit dem heutigen Tag war ich zufrieden. Als ich auf den Hof kam, sah ich im Stall noch Licht. Emil hatte das Pferd und die Kühe gefüttert und Marie war noch beim Melken. Ich setzte mich auf ein Bündel Stroh, denn ich war von der Strandwanderung müde geworden.
Marie platzte sofort mit einer Neuigkeit heraus. Otto, sagte sie, morgen beginnen wir mit der Kartoffelernte, da sollt ihr, Arno und du, auch mithelfen. Es kommen noch mehr Leute dazu; wir wollen bis zum Abend fertig sein. Das kann doch nicht wahr sein, sagte ich ganz entrüstet, morgen habe ich doch Schule. Der Meister wird dich entschuldigen, sagte Marie und lachte, er hat es schon gesagt. Ich wusste wirklich nicht, was ich dazu sagen sollte. Warum regst du dich auf, sagte Emil, wenn gearbeitet wird, brauchst du nicht zur Schule. Beim Abendessen sagte es mir die Meisterin auch. Ich musste es kommentarlos zur Kenntnis nehmen. Es war eine beschlossene Sache. Um fünf Uhr aufstehen, dann die Arbeit in der Bäckerei und nach dem Frühstück aufs Feld.
So kam es dann auch. Arno und ich saßen nach dem Frühstück mit den anderen auf dem Wagen und fuhren aufs Feld. Zwei fremde Frauen waren noch dabei. Wir waren nun sieben Personen. Emil lenkte den Braunen auf dem Wege, den ich schon mehrmals gefahren war. Also heute ging es in die Kartoffeln. Na ja, der Winter war lang und zur Familie gehörten allerhand Esser. Als wir auf dem Kartoffelacker ankamen, zählte ich zuerst die Reihen, es waren vierzehn. Einmal rauf und einmal runter, sagte ich zu Emil, der schon alles organisiert hatte. Deshalb waren wir auch sieben Mann. Bis zum Abend sollten wir damit fertig sein. Die Stimmung war nicht schlecht.
Zunächst brachte Emil das Pferd auf die Wiese. Er nahm ihm das Geschirr ab und band es an eine lange Kette, damit es fressen konnte. Den Korb mit unserem Essen stellte Marie sicher auf den Wagen und deckte ihn zu. Inzwischen hatten sich die Frauen fertig gemacht. Wir zogen uns ebenfalls eine Hose über, denn wir mussten ja auf den Knien die Reihen rauf und runter arbeiten. Nun standen wir mit der Hacke in der einen und dem Korb in der anderen Hand bereit. Jetzt kam Emil und teilte die Reihen ein. Er legte genug Säcke hin, in die wir die Kartoffeln hineinschütten sollten. Dann ging es auch gleich los. Wollen mal sehen, wer seinen Korb zuerst voll hat, spornte Emil uns an. Das Wetter war gut, die Sonne schien ein wenig und wir brauchten nicht zu frieren. Zwei Reihen hatte jeder. Ich musste mich ganz schön anstrengen, um nicht zurück zu bleiben. Die Frauen legten ein ganz schönes Tempo vor. Sie hatten ihren Korb bereits voll, als wir ihn erst halb voll hatten. Donnerwetter! sagte Emil, das hätte ich nicht gedacht. Frauen sind eben Frauen! Da kommen wir nicht mit. Frau Ziegler war noch jung und noch nicht lange verheiratet. Ihr Mann war Zimmermann. Sie konnte arbeiten, deshalb hatte sie die Frau Meisterin auch genommen. Frau Maaß dagegen war die Frau eines Fischers. Sie war Mitte Fünfzig und hatte schon mehrmals bei uns ausgeholfen. Beide Frauen wollten sich ein paar Mark dazu verdienen, um ihre Haushaltskasse aufzubessern. Frau Ziegler unterhielt die ganze Gruppe und es wurde bald herzhaft gelacht. Ich war leider auf Linksaußen und konnte das Gespräch nicht verfolgen. Sicher ging es wieder einmal um den neuesten Dorftratsch, denn alles was im Dorf passierte, ging ja wie ein Lauffeuer von Mund zu Mund.
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