1 ...6 7 8 10 11 12 ...21 Franzi rollte mit ihrem Stuhl an Davids Schreibtisch. »Sag ihr, deine Schwester will nach Harvard. Bitte sie um ein paar Tipps.«
»Ist dir entfallen, dass ich gar keine Schwester habe?«
»Dann sag meinetwegen, dass deine Oma nach Harvard will ... Oder die Tochter von der Schwester des Onkels von dem Vater deiner Nachbarin. Es ist ganz egal, was du sagst. Du solltest nur endlich mit ihr sprechen.«
»Oder ich kaufe mir Turnschuhe. Solche Dingsbums zum Joggen.«
»Vergiss es. Sie läuft jeden Tag zehn Kilometer.« Franzi deutete mit einer wenig schmeichelhaften Geste auf Davids Bauch. »Du dagegen hast zehn Kilo Übergewicht, wenn ich das mal so sagen darf, und es würde mich wundern, wenn du auch nur hundert Meter mithalten könntest.«
»Dann könnte morgen der erste Tag eines neuen Lebens sein.«
»Gute Idee. Aber fang dein neues Leben besser mit einer kleinen Runde im Stadtpark bei dir um die Ecke an. Und lass Bob vorher ein Belastungs-EKG machen.«
Darauf ging David nicht ein. Dass er an seiner Kondition arbeiten musste, wusste er selbst. Und wenn Silya auf sportliche Typen stand, würde er das auch tatsächlich tun. »Ich habe vorhin mit Bob telefoniert«, sagte er. »Er meint, du wüsstest was über Silya und diesen Rutter.«
»Alles nur Gerüchte. Aber, hey, wenn ich auf Frauen stünde, würde ich sie bestimmt nicht von der Bettkante schubsen.«
»Wieso?« fragte David verblüfft. »Du meinst, sie steht auf Frauen?«
»Ich meine gar nichts. Ich weiß ja so wenig über sie wie du. Aber wenn du mich fragst, würde es mich wundern, wenn sie lange solo bliebe. Wenn sie es überhaupt ist.«
Franzi nahm einen Anruf entgegen. Ein Kollege, dessen Schicht begann, besetzte den freien Platz links neben ihr. Als sie den Call beendete, bat der Typ sie um einen Rat wegen irgendwelcher juristischen Probleme, die er hatte. David vermutete, dass das eine ganze Weile dauern würde. Er rollte seinen Stuhl zurück und beobachtete Silyas leeres Büro. Franzi hatte natürlich recht. Er wusste überhaupt nichts über Silya. Aber in der Kurzbiografie auf der Firmenseite hatte sie angegeben, sie sei unverheiratet. Das bedeutete nicht unbedingt viel, ließ aber Raum für Hoffnung.
Das Aquarium, wie sie ihr Büro selbst nannte, war ursprünglich als Abstellplatz für Drucker und Faxgeräte genutzt worden. Als Abteilungsleiterin hatte sie sicher Anspruch auf einen größeren und repräsentableren Raum, aber sie hatte das gläserne Büro herrichten lassen, weil es ihr das Gefühl gab, so viel näher am Geschehen in der Abteilung zu sein. Um ihren Mitarbeitern zu zeigen, dass sie jederzeit ansprechbar war, blieb die Tür stets geöffnet.
Sie kam gerade aus einer Konferenz, die wie üblich länger als geplant gedauert hatte, und sie musste noch ein Gespräch mit der Geschäftsführung vorbereiten. Mit einem Lächeln dachte sie an einen ihrer Professoren in Harvard, der die Meinung vertreten hatte, dass jemand, der länger als acht Stunden am Tag arbeite, inkompetent sei. Demnach war ihre Assistentin, die schon längst nach Hause gegangen war, außerordentlich kompetent. Ihr eigener Arbeitstag dagegen würde wie so oft erst nach zwölf Stunden zu Ende sein. Aber sie beschwerte sich nicht, denn genau das hatte sie ja gewollt, als sie den Job angetreten hatte. Wenn man nicht bereit war, härter als die Konkurrenz zu arbeiten, würde man es niemals bis an die Spitze schaffen. Auch das hatte sie während der Jahre ihres Studiums gelernt, immer angespornt von Kommilitonen, die ihr zuweilen genial erschienen waren, und herausgefordert von denen, die in Ermangelung persönlicher Brillanz nächtelang über den Büchern gesessen und winzige Körnchen wirtschaftswissenschaftlicher Zahlen und Fakten, Theorien und Modelle zu monumentalen Gebirgen ökonomischen Wissens aufgehäuft hatten. Nach anfänglichen Schwierigkeiten im ersten Jahr hatte sie die Wirkung von koffeinhaltigen Getränken zu schätzen gelernt und stets zu den Besten ihres Jahrgangs gehört.
Für das Gespräch mit der Geschäftsführung stellte sie eine PowerPoint-Präsentation auf ihrem Laptop zusammen. Dafür brauchte sie einige Dateien, die auf dem Laufwerk des Abteilungsrechners lagen und importiert werden mussten. Während des Übertragungsvorgangs hatte sie etwas Zeit, um einen Blick in ihre Mailbox zu werfen.
Patrick hatte sieben Mails gesendet. Den Betreffzeilen war zu entnehmen, dass sie ausnahmslos persönlicher Natur waren. Silya löschte alle ungelesen und wartete auf eine Reaktion, die auch prompt kam.
- Hey, was ist los??? Wieso löschst du meine Mails???
Die Effizienz hatte sich im letzten Quartal in einigen Bereichen verbessert. Natürlich konnte Silya das nicht der Sollseite ihrer Bilanz als Führungskraft zuschreiben, denn dazu unterstand die Abteilung bis zu diesem Zeitpunkt nicht lange genug ihrer Verantwortung. Aber in den Grafiken, die sie in die Präsentation einfügte, sah das trotzdem ganz gut aus, wie sie fand. Besser so, als andersherum. Negative Entwicklungen, auch wenn sie diese nicht zu verantworten hätte, würden dennoch ein schlechtes Licht auf sie werfen.
- Silya???
Sie war die einzige Frau auf der Führungsebene der Firma. Und dass sie erst vierundzwanzig Jahre alt war und über keinerlei Berufserfahrung verfügte, machte sie erst recht zu einem Objekt argwöhnischer Betrachtung. Fehler, die bei anderen klein und unbedeutend sein mochten, würden bei ihr groß und gravierend sein.
- ???
Sie durfte einfach keinen Fehler machen. Dazu gehörte auch, die Sache mit Patrick diskret zu gestalten. Sie glaubte zwar nicht, dass dieser David Blohm sie im Flur mit Patrick gesehen hatte, trotzdem ärgerte sie ihr eigener Leichtsinn. Überhaupt jemandem die Gelegenheit zu geben, sie in einer mehr oder weniger prekären Situation zu beobachten, war bereits ein Fehler. Obendrein war es peinlich, wie ein verliebter Teenager beim Fummeln erwischt zu werden.
- Steht das s auf dem Nummernschild deines Wagens für supersüß oder supersexy???
- Es steht für superempfindlich bzgl. dummer Sprüche.
Silya wartete kurz, aber es kam keine Antwort mehr. Konzentriert arbeitete sie weiter, bis zwanzig Minuten später eine weitere Mail von Patrick kam. Sie ignorierte ihn eine Weile, wurde dann aber doch neugierig. Er schrieb aber bloß, er habe einen Virus auf seinem Rechner.
- Ich dachte schon, du hättest auch ein s auf deinem Nummernschild. Und das steht für sprachlos …
- Hab ich dich irgendwie verärgert??? Dann steht das s für sorry!! !
- Schon gut, ich ärgere mich nur über mich selbst.
- Wieso???
- Weil es nicht zu meiner Karriereplanung gehört, nach nur einem Monat im Mittelpunkt des Büroklatsches zu stehen.
- Das mit der Wette war nicht so gemeint!!! Bloß ein Joke!!!
- Ich wette trotzdem 50€ gegen dich
- Das ist ok!!! Wir müssen ja nichts überstürzen!!!
- Gibst du so leicht auf?
- ???????????????????????????????????????
- Ich glaube, deine Tastatur ist kaputt.
- Ich bin verwirrt!!!
- Ja, das ist die Wirkung, die ich auf Männer ausübe.
- Auf den Mann von Fleurop auch!!!
- Fleurop? Wen meinst du ?
- Den Typ mit der Rose im Aufzug
Vielleicht war es Zufall, vielleicht nicht. Aber als Silya den Blick hob und über ihren Laptop schaute, da war ihr das Gesicht von David Blohm zugewandt. Sie konnte nicht sagen, ob er zu ihr ins Büro sah, dafür saß er einfach zu weit weg. Es war genauso gut möglich, dass er keinen Call zu bearbeiten hatte und zufällig in ihre Richtung sah, um seinen Augen eine kurze Pause vom monotonen Starren auf den Monitor zu gönnen.
- Du meinst, er hat irgendwelche Gedanken amouröser Art bzgl. meiner Person? Glaub ich nicht. Soweit ich mich erinnern kann, waren das heute die ersten Worte, die wir miteinander gesprochen haben.
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