Als John Mel im Vorjahr in Lafayette zufällig über den Weg gelaufen war, hatte er ihr unmissverständlich, wenn auch subtil erklärt, dass er Irene nicht verziehen hatte. Allerdings war er kein Typ, der zugeben würde, dass er verloren hatte. Hoffentlich würde die heutige Aktion ihn nicht zu einer Gegenaktion verleiten.
»Aber pass trotzdem auf, John ist nicht ganz dicht.« Melanie machte sich Gedanken über seinen Hang zur Soziopathie. Das machte ihn in ihren Augen gefährlicher, als sie ihrer Freundin gegenüber eingestehen wollte. Andererseits hatte auch Irene den Kurs in Psychologie besucht und musste es selbst wissen.
»Sein Büro mit hübschen Dessous zu verschönern, kann auch ein Schuss sein, der nach hinten losgeht.« Schon sein Plan, Melanie in Lafayette aufzulauern, beunruhigte sie. Ein solches Verhalten passte nicht zu einem normalen Menschen, doch sie behielt ihre Meinung für sich.
»Hat er Ärger bekommen?« Mel wechselte so schnell das Thema, dass Irene mühe hatte, ihr zu folgen.
»Wer? John? Nun, er ging zu Boden, wie ein Sack Kartoffeln.« Bei der Erinnerung an den Anblick stahl sich ein kleines, zufriedenes Lächeln auf ihre Lippen.
»Iry! Ich meinte Julian! Bekam der Ärger?«
»Oh, der. Nein, selbstverständlich nicht! Wie schon gesagt, ich weiß zu viel über Johns voriges Liebesleben.«
»Iry! Erpressung ist etwas Unschönes!«
Irene winkte ab.
»Ich habe noch keine Erpressung ausgesprochen.« Sie lächelte erneut.
»Aber heute hab ich ihn wieder daran erinnert, WAS zwischen uns war – und glaube mir, DAS wird bis weit in seine neue Ehe hinein an seiner Seele nagen.« Sie nahm einen weiteren Schluck von ihrem starken Kaffee. Sie verzog das Gesicht erneut.
»Uh, die könnten hier noch einiges von Matts Kaffeekochkünsten lernen.«
Melanie kam zurück zu dem Punkt, wo Irene zunächst erfolgreich abgelenkt hatte.
»Was ist das mit dir und Julian? Ich meine, wieso ist allein die Erwähnung seines Namens für dich ein Signal, das Thema zu wechseln?«
Irene biss sich auf die Lippen.
»Ähm, keine Ahnung, hab ich das denn?« Irene wirkte abwesend.
»Ja, hast du. Hat er etwas getan? Ich meine, etwas, dass dir Angst macht, oder so?«, tastete sie sich langsam voran.
Scheißpsychologie ... doch nun gab es kein Zurück. Melanie wollte Genaueres wissen.
Hatte Julian ihr Angst gemacht? Irene überlegte.
Nein, eigentlich nicht, bis auf die Sache mit dem Weggehen. Da hatte sie kurz Angst gehabt. Angst davor, ihn zu verlieren. Aber wieso dachte sie so?
»Nein«, sie schüttelte den Kopf. »Nein, er hat mir keine Angst gemacht. Er ist doch – naja, du würdest sagen, er ist einer von den Guten. Es war anders.« Sie überlegte, wie sie Melanie erzählen konnte, was passiert war, ohne die Details näher zu erörtern.
»Ach, keine Ahnung. Vielleicht liegt es ja an unserer letzten Begegnung. Wir – wir hatten eine kleine Diskussion.«
Melanie hob den Kopf und blickte ihre Freundin direkt in die Augen.
»Worum ging es?« Sie würde tatsächlich nicht locker lassen, also beschloss Irene, zumindest einen Teil ihres letzten Gespräches zu erwähnen.
»Naja, er hat zuerst gemeint, er müsse zu Will, seinem Freund, um etwas zu klären. Ich hab ihm dann vorgeworfen, dass er sich zu sehr an der Vergangenheit festhält und sich dadurch nicht um die Gegenwart kümmert, die doch viel wichtiger ist.«
Mel zog die Augenbrauen hoch.
»Du hast ihn also in die Enge getrieben. Sehr schlau.« Sie runzelte die Stirn.
»Okay, wie hat er reagiert?«
»Ähm, naja, er.« Sie atmete tief durch. »Er hat mich gefragt, ob ich denn schon meine Vergangenheit hinter mir gelassen – ob ich die Gegenwart schon willkommen geheißen hab.« Schuldbewusst senkte sie den Blick. Das klang ganz anders, als damals.
Mel nickte wissend.
»Ach so. Er hat den Spieß einfach umgedreht, dieser ...« Gerade noch rechtzeitig verbiss sie sich ein passendes Schimpfwort. »Okay, also hat er sich feige davongestohlen.« Melanie schüttelte ergeben den Kopf.
»Tut mir leid, schätze, da kann man wohl nur abwarten.« Sie kramte in ihrer Tasche nach der Geldbörse.
»Aber wenn das alles so war, wie er gesagt hat. Wenn das stimmt, dass ein – naja, ein Killerbär auch seine Schwester und Mutter getötet hat, dann muss ich sagen, ist es normal, wenn er nach einem solchen Erlebnis zurück zu seinen Wurzeln geht.«
»Er, er war ein wenig durch den Wind und ich ...« Irene zuckte mit den Schultern.
»Ich war auch durcheinander. Matt war noch im Krankenhaus und ich hab mich so allein in dem großen Haus gefühlt. Es war ein bisschen, wie damals. Du weißt schon, als Onkel Ethan gestorben ist.« Sie sank bei der Erinnerung an ihm ein wenig in sich zusammen.
Doch Melanie wusste, wie sich ein solcher Verlust anfühlte, also schlug sie einen sanfteren Tonfall an.
»Ja, ich weiß. Schon vergessen? Bridget und Ian.« Sie schluckte. Auch nach so vielen Jahren tat ihr die Erwähnung der Namen noch weh.
Sie hatte vor Jahren an einem Tauschprogramm zwischen ihrer ehemaligen deutschen Schule und einer amerikanischen Highschool teilgenommen. Zuerst war es ihr sehr schwer gefallen, hier Fuß zu fassen, doch nach einem Jahr hatte sie sich so gut eingelebt, dass sie in den Staaten bei ihren Gasteltern bleiben wollte. Nach langem Hin und Her hatten ihre richtigen Eltern zugestimmt, auch wenn es ihnen sehr schwer gefallen war.
Bridget und Ian waren glücklich über ihre Entscheidung gewesen, da sie niemals eigene Kinder gehabt hatten.
Als Mel auf der Columbia Universität ihr Studium begann, war sie Irene begegnet. Seit dem verband sie eine tiefe Freundschaft.
Leider hatten ihre Gasteltern nie miterlebt, wie Mel ihren Bachelor machte, denn sie starben ein Jahr vor ihrem Collegeabschluss bei einem schweren Autounfall. Danach war Melanie in ein tiefes Loch gestürzt, aus dem sie es nur mit viel Mühe wieder rausgeschafft hatte.
Sanft arbeitete sich die Trauer hoch, doch sie straffte ihre Schultern und schob das Gefühl sofort beiseite. Es war an der Zeit Klartext zu reden.
»Denk mal nach, Iry. Ich meine, Julian hat ein Kindheitstrauma verdrängt und dann hat es ihn wieder eingeholt. Damit muss man erstmal klarkommen.« Sie winkte dem Kellner. »Hör zu, ich muss jetzt Sally anrufen, um zu hören, wie es mit Ghost und Leah so läuft und danach muss ich zu dieser Hot Stone – Massage, aber mal ehrlich. Hast du jemals daran gedacht, ihn anzurufen, ihm einfach zu sagen, dass er zurückkommen soll?« Sie zog bedeutungsvoll die Augenbrauen hoch.
»Ich meine, er will vermutlich sogar zurück, aber wenn du so nachtragend bist, läuft das nicht. Verstehst du?«
Irene schnaubte unwillig.
»Ich bin nicht so nachtragend. Er hat sich nicht einmal bei mir gemeldet, nur bei Matt. Also was soll ich davon halten?«
»Und du hast dich auch nicht bei ihm gemeldet, also seid ihr beide albern. Ach ja, und feige.«
Der Kellner unterbrach mit seinem Auftauchen das Gespräch.
Melanie drückte ihm einen Geldschein in die Hand und rundete den von ihm genannten Beitrag auf.
»Ich bin nicht feige«, protestierte Irene während sie das Café verließen.
»Nur ...«
Mel beendete den Satz für sie.
»Nur nachtragend? Du kannst es halten, wie du willst. Feststeht: Ihr seid beide bescheuert.«
Kurz darauf saßen die beiden Frauen in einem Taxi, dass sie zurück ins Hotel brachte. Sie schwiegen sich für einen Moment an, bis Irene ergeben nickte.
»Vielleicht bin ich ein bisschen bescheuert. Aber Julian hat sich auf der Ranch sauwohl gefühlt, da irre ich mich nicht.«
»Schon gut, du solltest dir nicht soviel den Kopf über Julian zerbrechen«, fuhr Melanie leise fort. Es war an der Zeit Irene abzulenken, außerdem lag ein schöner Abend vor ihnen.
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