„Meine Otti hört aber gerne Radio!“
„Ich denke, du willst deiner Ollen von dem ganzen Geschäft nichts erzählen? Du bist ja blau, Emil!“
„Und du und deine Tutti? Ihr seid ja alle beide blau! Wo haste denn deine Tutti?“
„Die zwitschert! Ich sage dir, und wie die zwitschert!“ Und er reibt wieder den feuchten Korken am Flaschenhals. „Nehmen wir noch einen!“
„Prost, Enno!“
Sie trinken, und Borkhausen fährt dann fort: „Aber den Radio, den möchte ich doch mitnehmen. Wenn das olle Dings durchaus nicht in den Koffer rein will, häng ich mir den Kasten mit einem Strick vor die Brust. Dann habe ich die Hände immer noch frei.“
„Das mach, Mensch. Na, denn wollen wir mal zusammenpacken!“
„Ja, das wollen wir. Wird Zeit!“
Aber sie bleiben beide stehen und starren einander blöde grinsend an.
„Wenn man denkt“, fängt Borkhausen dann wieder an, „es ist doch ein schönes Leben. All diese guten Sachen hier“, er nickt, „und wir können uns nehmen, was wir wollen, und tun noch direkt ein gutes Werk, wenn wir's so 'ner Jüdschen fortnehmen, die doch alles gestohlen hat ...“
„Da haste recht, Emil – ein gutes Werk tun wir, am deutschen Volk und unserm Führer. Das sind die guten Zeiten, wo er uns versprochen hat.“
„Und unser Führer hält Wort, der hält Wort, Enno!“
Sie betrachten sich gerührt, Tränen in den Augen.
„Was macht ihr denn hier, ihr beide?“ klingt eine scharfe Stimme von der Tür her.
Sie fahren zusammen und erblicken einen kleinen Burschen in brauner Uniform.
Dann nickt Borkhausen dem Enno langsam und traurig zu: „Das ist der Herr Baldur Persicke, von dem ich dir gesagt habe, Enno! Jetzt kommen die Schwierigkeiten!“
Während die beiden Betrunkenen so miteinander sprechen, hat sich der ganze männliche Teil der Familie Persicke in der Stube versammelt. Zunächst dem Enno und Emil steht der kleine, drahtige Baldur, die Augen funkelnd hinter der scharf geschliffenen Brille, kurz hinter ihm die beiden Brüder in ihren schwarzen SS-Uniformen, aber ohne Mützen, und nahe der Tür, als traue er dem Frieden nicht ganz, der alte Exkneipier Persicke. Auch die Familie Persicke ist alkoholisiert, aber bei ihr hat der Schnaps eine wesentlich andere Wirkung gehabt als bei den beiden Einbrechern. Sie sind nicht so rührselig, dumm und vergeßlich geworden, sondern die Persickes sind noch schärfer, noch gieriger, noch brutaler als in ihrem Normalzustand.
Baldur Persicke fragt scharf:
„Nun, wird's bald? Was macht ihr beide hier? Oder ist das etwa eure Wohnung?“
„Aber Herr Persicke!“ sagt Borkhausen mit klagender Stimme.
Baldur tut, als erkenne er den Mann erst jetzt. „Aber das ist ja der Borkhausen aus der Kellerwohnung im Hinterhaus!“ ruft er ganz erstaunt seinen Brüdern zu. „Aber Herr Borkhausen, was machen Sie denn hier?“ Sein Erstaunen wandelt sich in Spott. „Wär's nicht besser, Sie kümmerten sich – zumal mitten in der Nacht – ein bißchen um Ihre Frau, das gute Ottichen? Ich habe so was gehört, es werden da Feste mit besseren Herren gefeiert, und Ihre Kinder sollen noch am späten Abend betrunken auf dem Hof herumgetorkelt sein. Bringen Sie die Kinder zu Bett, Herr Borkhausen!“
„Schwierigkeiten!“ murmelt der. „Ich hab's gleich gewußt, wie ich die Brillenschlange sah: Schwierigkeiten.“ Er nickt Enno noch einmal traurig zu.
Enno Kluge steht ganz blöde da. Er schwankt leise auf seinen Füßen hin und her, hält die Kognakbuddel in der schlaff niederhängenden Hand und versteht kein Wort von dem, was gesprochen wird.
Borkhausen wendet sich wieder an Baldur Persicke. Sein Ton ist nicht mehr so klagend wie anklagend, er ist plötzlich tief gekränkt. „Wenn meine Frau was tut, was nicht recht ist“, sagt er, „so verantworte ich das, Herr Persicke. Ich bin der Gatte und Vater – nach dem Gesetz. Und wenn meine Kinder besoffen sind, Sie sind auch besoffen, und Sie sind auch noch ein Kind, jawohl, das sind Sie, Mensch!“
Er sieht Baldur zornig an, und Baldur starrt funkelnd zurück. Dann macht er seinen Brüdern ein unmerkliches Zeichen, sich bereitzuhalten.
„Und was machen Sie hier in der Wohnung von der Rosenthal?“ fragt der jüngste Persicke dann scharf.
„Aber ganz nach Verabredung!“ versichert Borkhausen jetzt eifrig. „Alles wie verabredet. Ich und mein Freund, wir gehen jetzt gleich. Wir wollten eigentlich schon gehen. Er auf den Stettiner; ich auf den Anhalter. Jeder zwei Koffer, für Sie bleibt genug.“
Er murmelt die letzten Worte nur, er ist halb im Eindösen.
Baldur betrachtet ihn aufmerksam. Es geht vielleicht ohne alle Gewalttätigkeit, die beiden Kerls sind ja so blöde besoffen. Aber seine Vorsicht warnt ihn. Er faßt den Borkhausen bei der Schulter und fragt scharf: „Und was ist das für ein Mann? Wie heißt der?“
„Enno!“ antwortet Borkhausen mit schwerer Zunge. „Mein Freund Enno ...“
„Und wo wohnt dein Freund Enno?“
„Weiß nicht, Herr Persicke. Nur aus der Kneipe. Stehbierfreund. Lokal: Ferner liefen ...“
Baldur hat sich entschieden. Er stößt plötzlich dem Borkhausen die Faust gegen die Brust, daß der mit einem leisen Schrei hinterrücks auf die Möbel und die Wäsche fällt. „Schwein, verfluchtes!“ brüllt er. „Wie kannst du zu mir Brillenschlange sagen? Ich werde dir zeigen, was ich für ein Kind bin!“
Aber sein Schimpfen ist schon nutzlos geworden, die beiden hören ihn nicht mehr. Die beiden SS-Brüder sind schon zugesprungen und haben jeden mit einem brutal geführten Schlag erledigt.
„So!“ sagt Baldur befriedigt. „In einer kleinen Stunde liefern wir die beiden als ertappte Einbrecher bei der Polizei ab. Unterdes räumen wir runter, was wir gebrauchen können. Aber leise auf den Treppen! Ich habe gelauscht, aber ich habe nicht gehört, daß der alte Quangel von seiner Spätschicht nach Haus gekommen ist.“
Die beiden Brüder nicken. Baldur sieht erst auf die betäubten, blutigen Opfer, dann auf alle die Koffer, die Wäsche, den Radioapparat. Plötzlich lächelt er. Er wendet sich zum Vater: „Na, Vater, wie habe ich das Ding gedreht? Du mit deiner ewigen Angst! Siehst du ...“
Aber er spricht nicht weiter. In der Tür steht nicht, wie erwartet, der Vater, sondern der Vater ist verschwunden, spurlos weg. Statt seiner steht dort der Werkmeister Quangel, dieser Mann mit dem scharfen, kalten Vogelgesicht, und sieht ihn mit seinen dunklen Augen schweigend an.
Als Otto Quangel von seiner Spätschicht nach Haus ging – er hatte, obwohl es wegen des Rückstandes sehr spät geworden war, keine Elektrische genommen, den Groschen konnte er sparen –, da hatte er, vor dem Hause angekommen, gesehen, daß trotz des Verdunklungsbefehls in der Wohnung der Frau Rosenthal Licht brannte. Und bei näherem Zusehen hatte er festgestellt, daß auch bei den Persickes und darunter bei Fromm Licht war, es schimmerte an den Rändern der Rouleaus. Beim Kammergerichtsrat Fromm, von dem man nicht genau wußte, ob er 33 seines Alters oder der Nazis wegen in Pension gegangen war, brannte stets die halbe Nacht Licht, bei dem war es nicht verwunderlich. Und Persickes feierten wohl noch immer den Sieg über Frankreich. Aber daß die alte Rosenthal Licht brannte, und das offen in allen Fenstern, da stimmte etwas nicht. Die alte Frau war so ängstlich und verschüchtert, die würde nie ihre Wohnung so illuminieren.
Da stimmt was nicht! dachte Otto Quangel, während er die Haustür aufschloß und langsam anfing, die Treppen hinaufzusteigen. Er hatte es wie immer unterlassen, das Licht einzuschalten, er war nicht nur für sich sparsam, das heißt genau: Er war es für alle, auch für den Hauswirt. Da stimmt was nicht! Aber was geht es mich an? Die Leute gehen mich gar nichts an! Ich lebe für mich allein. Mit der Anna. Nur wir beide. Außerdem macht vielleicht die Gestapo da oben gerade Haussuchung. Hübsch, wenn ich da reinplatze! Nein, ich gehe schlafen ...
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