Ben trat mit einem Strohstängel im Mund neben Julian und wies auf den Himmel.
»Siehst du das, Stadtcowboy?« Er verzog lächelnd die Mundwinkel. »Dieses zarte Wolkenband, das so harmlos wirkt?«
Julian verdrehte die Augen.
»Jaja, ich sehe es.«
»Gut, denn sowas bedeutet Ärger, schön langsam müsstest du das wissen«, fügte Ben bedeutungsvoll hinzu.
Julian fiel ein, dass sich das angeblich bevorstehende Unwetter damals im April auch so harmlos angekündigt hatte. Dünne Wolken, leichter Wind. Im Nu war ein ausgewachsener Schneesturm daraus geworden und hatte sie auf der alten Storm-Hütte festgehalten.
»Kann es denn sein, dass das Wetter einfach weiterzieht?«, fragte Julian, nicht mehr ganz so überzeugt.
»Keine Ahnung. Kann es sein, dass die Hölle heute noch zufriert?«, beantwortete Matt die seine Frage mit einer Gegenfrage. Sarkasmus, eindeutig.
»Ähm.« Julian setzte gerade zu einer mit Garantie dummen Antwort an, als Matt ihm zuvorkam.
»Nein, du willst darauf nichts sagen«, meinte Matt kopfschüttelnd.
»Naja, mir würde da schon was einfallen. Klimawandel und so was alles«, erwiderte er breit grinsend.
»Jul.« Matt sprach nicht weiter, sondern wies warnend auf den nicht mehr so klaren Himmel. Julian folgte seufzend seinem Blick.
»Okay, gut, also wer fährt nach Stormy Mills?« Insgeheim hoffte er, das Matt fahren würde, um Irene aufzugabeln, immerhin stand der auf diese Beschützernummer, doch dieser warf ihm nur einen vielsagenden Blick zu.
»Tja, wer viel fragt.«
»Jaja, schon klar.« Julian seufzte schwer. »Gut, und wie stellst du dir das vor?«, fragte Julian. »Ich meine, wir wissen beide, dass sie vermutlich in Schwierigkeiten gerät. Sowas tut sie ja ständig, das ist nichts Neues, aber ehrlich, bist du sicher, dass sie nicht allein mit dem RAV den Berg hier hochkommt? Ich meine, so weit ist es doch gar nicht.« Julian hatte in den letzten Monaten die Gegend kennengelernt. Die Fahrstrecke von hier nach Stormy Mills war ihm inzwischen bekannt, und Irene lebte hier. Sie sollte es noch leichter schaffen als er.
»Sie kennt sich hier doch gut aus, auch wenn sie zugegebenermaßen zeitweise darauf vergisst.« Er spielte auf die Beharrlichkeit von Irene an, mit der sie ständig ihren Willen durchboxen wollte. Matt wirkte ein wenig besorgt.
»Naja, sie fährt ganz gut, aber sie hat keine Schneeketten mit.« Er fuhr sich durch die halblangen Haare.
»Ach ja, übrigens hat sie die niemals mit.« Nun klang er leicht verärgert.
»Nicht, weil es unpraktisch ist, sie im Auto herumliegen zu haben oder weil sie darauf vergisst. Nein, sie mag sie einfach nur nicht.«
Julian grinste erneut, doch er verkniff sich einen Kommentar.
Matt kam gerade richtig in Fahrt.
»Im letzten Winter zum Beispiel, da musste ich sie zweimal von der Straße aufsammeln. Wir können von Glück reden, dass sie einen RAV fährt und keinen Käfer oder sowas. Aber falls es wirklich viel Schnee gibt, wird’s Probleme geben. Wenn sie also von der Straße abkommen sollte, dann ...«
Julian nickte. Die Gegend war wild und es waren schon mehr als genug Menschen hier verschwunden, erfroren, oder verunfallt.
»Schon gut. Ich kenne die Statistiken, alles klar. Ich gable sie also nach dem Kino auf leite sie über die Berge nachhause und sie wird mir einfach so folgen?« Er zog fragend die Augenbrauen hoch, und Matt verzog missmutig den Mund.
»Möglich, dass sie deine Hilfe ablehnt, aber du sollst ja auch nur der Guide sein. Du fährst vor ihr mit dem großen Jeep , und sie folgt dir langsam und sorgfältig mit dem kleinen RAV. Sollte nichts schiefgehen.« Matt klang sicherer als er sich fühlte, doch er wollte Irene nicht allein da draußen rumfahren lassen und Julian kannte sich auf der Ranch noch nicht so gut aus, wie er. Also war es besser, wenn er hier die Arbeit mit Ben fertigmachte, während Julian nach Stormy Mills fuhr und Irene holte. Matt vertraute dessen Fahrkünsten, die herausragend gut waren, auch wenn er ihm das niemals sagen würde. Der zweifelnde Blick seines Freundes machte es ihm jedoch nicht leicht.
»Wenn sie von der Straße abkommen sollte, oder einen Unfall hat, dann ist sie auf sich alleine gestellt. Jul, das Gebiet ist riesig. Da – da kann viel passieren.«
Matt sorgte sich mehr um Irene, als er es sich eingestehen wollte. In letzter Zeit war hier viel passiert. Seit dieses Pärchen vor ein paar Tagen verschwunden war, gab es wilde Gerüchte über Grizzlys. Man munkelte, dass sie sich durch den frühen Wintereinbruch unsicher fühlten und wilderten.
Matt persönlich glaubte nicht an Bärenüberfälle, doch was wusste man schon, wie Bären tickten, wenn sie Angst vor dem Verhungern hatten? Es hatte im Laufe der Jahre immer wieder Tiere gegeben, die Menschen rissen. Und hier in der Gegend gab es genügend Wildtiere. Julian verstand Matts Sorge. Die verschwundenen Personen beschäftigten ihn genauso. Außerdem wimmelte es im Mistydew County von Bären und Pumas. Er hatte großen Respekt vor diesen Tieren, einer der Gründe, weswegen er nur ungern in der Wildnis herumstreifte. Ergeben nickte er.
»Schlüssel stecken?«
Matt nickte dankbar.
»Jep, und der Tank ist voll.«
Als Julian nach kurzem Winken davonging, blickten ihm Ben und Matt hinterher.
»Er holt unsere holde Maid also aus der Stadt. Na dabei wünsche ich ihm viel Spaß.« Er grinste. In den vier Jahren, wo er hier aushalf, hatte er Irene sehr gut kennengelernt. Einerseits gefiel ihm ihre unabhängige Art, andererseits hütete er sich davor, näher auf sie einzugehen. Sie bekam öfter Schwierigkeiten, manchesmal war es ihre eigene Schuld, ein anderes Mal wieder passierte es ihr einfach so. Doch irgendetwas gab es immer.
»Ben, bitte fang du nicht auch noch damit an! Du weißt doch, dass sie auf stur schaltet, wenn sie der Meinung ist, dass sie bevormundet wird.«
»Oh ja, schätze, Jul weiß das auch.«
Matt nickte knapp.
»Ja, und wenn sie sich so dämlich verhält, dann schnappt er sie sich einfach und schmeißt sie ins Auto«, brummelte er grimmig. Grinsend machte Ben sich daran, den Hänger weiter abzuräumen.
»Oja, ich weiß.« Ben mochte Julian, genauso wie er Matt mochte. Für ihn waren beide loyale Männer, die niemals jemandem im Stich lassen würden. Solche gab es nur mehr selten. Einer der Gründe, weswegen er ständig hierher zurückkehrte, und sich keine Arbeit bei benachbarten Ranchern suchte. Außerdem war er sich sicher, dass Julian tatsächlich nicht lange fackelte, wenn Irene auf stur schaltete.
»Dann lassen wir dem City Slicker das Vergnügen, unser Gänseblümchen nachhause zu geleiten. Wird sicher spaßig.«
Matt blickte grimmig drein.
»Gänseblümchen, von wegen«, schnaubte er unwillig. »Wohl eher eine starrsinnige, stachelige Distel«, grummelte er, ehe er Ben folgte.
Stormy Mills
Während die Übereifrigen zu den Ausgängen stürmten, ließ Irene den gesamten Nachspann über sich ergehen. Elvis war immer eine Pause wert, fand sie. Außerdem konnte sie da ungestört ihren Gedanken nachhängen.
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