Und doch hatte seine Schwester, die mittlerweile mit Nathan, dem Detective, auf dem Grundstück der Thompson zusammenwohnte, darauf bestanden, dass Ryan nicht ganz so unbeschadet aus allem herausging wie vorgesehen. Er durfte zwar weiter in seinem Elternhaus wohnen, wenn ihr jedoch Beschwerden der Nachbarn zu Ohren kamen oder das Haus einem Saustall glich, würde er hochkant rausfliegen. Außerdem musste er für ein halbes Jahr im neu errichteten Zentrum Help for a better life , welches von Annabell Briggs, der Schwester von Michael Thompson, gegründet worden war, für kleines Taschengeld Sozialstunden leisten.
Die Gebäude waren erst vor Kurzem fertiggestellt worden und würden einigen Kranken, die sich normalerweise keine Therapie leisten konnten und es schlimm getroffen hatten, einen Platz bieten.
Annabell, die mittlerweile mit ihrem ehemaligen Pfleger verheiratet war, hatte ihm diese Möglichkeit auf Bewährung ohne mit der Wimper zu zucken geboten, als Lorraine sie gefragt hatte.
Noch immer hatte Ryan die Familienverhältnisse der Thompson-Familie nicht ganz verstanden und wenngleich er morgen im Zentrum als Pfleger anfing, interessierte es ihn auch nicht wirklich. Viel mehr hoffte er auf hübsche Schwestern, die er in seinen Pausen vernaschen konnte. Denn irgendwie schien ihn der vormalige Frauentyp – vollbusig, blond und willig – nicht mehr richtig auf Touren zu bringen.
Zufrieden lächelnd, dass er hoffentlich ab morgen ganz andere, und vor allen Dingen viele Reize geboten bekommen würde, begann er nun doch gut gelaunt aufzuräumen.
»Ms. Higgins? Hätten Sie bitte einen Moment Zeit für mich?«
Langsam drehte sich Laura um und blickte zu der Bürotür, die soeben geöffnet wurde. »Aber natürlich, Ms. Weatherbee!«, lächelte sie und setzte sich in Bewegung. Überall herrschte reges Treiben und leises Stimmengewirr hing in der Luft. Vor wenigen Tagen erst hatte das neue Therapiezentrum seine Tore geöffnet, das mit Hilfe der Help for a better Life Fundation errichtet worden war und langsam aber stetig kamen auch die letzten Langzeitpatienten an.
Noch herrschte überall ein wenig Chaos, neues Personal traf ein, musste eingewiesen und verteilt werden, aber Laura liebte diese Phase. Beim Entstehen dieser Einrichtung dabei zu sein, ihr ein Gesicht zu geben, war genau das, was sie schon immer gewollt hatte. Energisch schob sie das Klemmbrett unter den Arm, betrat das Büro von Susan Weatherbee, ihrer neuen Vorgesetzten und schloss die Tür hinter sich.
»Nehmen Sie bitte Platz«, Susan deutete auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch und schob einige Ordner zur Seite, die sich auf diesem stapelten. »Wenn ich jetzt sage, dass diese Akten die Reste vom großen Chaos sind, klingt das erschreckend, oder?«
Laura grinste. »Nur, wenn man nicht weiß, welchen großen Ansturm das Zentrum bereits in diesen wenigen Wochen erlebt hat, Ms. Weatherbee.«
»Sagen Sie doch Susan zu mir. Und ja, ich schätze, Sie haben Recht. Annabell hatte mich gewarnt, dass es stressig werden könnte, als ich mich dazu entschieden habe, aus der Babypause heraus zumindest halbtags wieder arbeiten zu gehen!«
»Ich freue mich sehr, dass Sie mit an Bord sind, Susan«, lächelte Laura. »Ich habe von Juliette erfahren, welche Geschichte Sie mit Annabell und Ihrem Verlobten verbindet. Ich finde wundervoll, wie sich alles zum Guten gewendet hat. Und dieses Zentrum ist ein Traum!«
»Annabell hat ganze Arbeit geleistet, das stimmt. Aber ich würde gern jetzt über Ihre Aufgaben hier sprechen«, Susan griff nach einer Akte zu ihrer Linken und hielt sie ihr entgegen. »Heute ziehen nicht nur die vorerst letzten Patienten ein, sondern wir bekommen auch einen jungen Mann zu uns, der ... nun ja, Sozialstunden hier ableisten muss.«
Laura griff nach der Akte und schlug sie auf. Das Bild eines jungen Mannes mit blonden Haaren und einem verwegenen Blick, schätzungsweise ungefähr in ihrem Alter, war an einem kurzen Bericht angeheftet. »Ryan Baker«, las sie leise.
»Ryan ist der Bruder meiner Nanny Lorraine«, erklärte Susan. »Er hat eine etwas bewegte Vergangenheit hinter sich. Nach dem Tod seiner Eltern geriet er auf die schiefe Bahn und trat einer Gang bei, die nicht gut für ihn war. Dies ist hier eine Form von Bewährungsstrafe für ihn. Hätte er nicht dabei geholfen, die Bande hochgehen zu lassen, die vor vielen Jahren die Eltern meines Verlobten umgebracht haben, wäre er längst im Gefängnis.«
Laura sah auf und begegnete Susans Blick. »Ich verstehe. Sie möchten, dass ich ihn unter meine Fittiche nehme?«
»Ja, das möchte ich. Juliette«, jetzt lächelten beide Frauen, »hält große Stücke auf Sie und Ihre Zeugnisse sprechen für sich. Ryan ist ... nicht einfach, aber mein Verlobter und seine Schwester haben es sich in den Kopf gesetzt, dass wir ihn auf den rechten Weg zurückbringen können, und fühlen sich ihm gegenüber aus genannten Gründen zu Dank verpflichtet.«
Laura nickte. »Verstehe. Ich werde schon mit Ryan zurechtkommen!«
»Davon bin ich überzeugt! Er sollte um 9 Uhr hier eintreffen und es wäre mir sehr recht, wenn Sie ihn einarbeiten und ihm Aufgaben zuteilen könnten, Laura. Ich denke, dass Sie am besten beurteilen können, wobei Mr. Baker Ihnen eine Hilfe oder ein Hindernis sein wird. Sie haben volle Entscheidungsfreiheit, was das betrifft.«
Laura schloss die Akte und erhob sich. »In Ordnung, ich werde mich darum kümmern.«
Ein paar Minuten später eilte sie erneut den Gang entlang, diesmal auf dem Weg zum Pausenraum. Schon von weitem war leises Stimmengewirr zu hören, das aber immer deutlicher in Gekicher umschwenkte, je näher Laura dem Zimmer kam. Stirnrunzelnd blieb sie stehen. Was gab es denn am frühen Morgen schon zu kichern, und noch dazu so laut, dass man es durch die geschlossene Tür auf dem Gang hören konnte?
Das Bild, das sich ihr bot, als sie die Tür nun öffnete und eintrat, war ... überraschend. Dort stand der junge Mann, den sie bislang nur von dem Foto kannte, das sie mitsamt der Akte augenblicklich fest an ihren Oberkörper drückte. Und er war umringt von einigen Schwesternschülerinnen, die ihn völlig verzückt anhimmelten. Ein leises Seufzen entfuhr ihr. Das fing ja schon gut an.
Eines der Mädchen drehte sich nun, unauffällig, wie sie glaubte, sogar um und öffnete den obersten Knopf ihrer Schwesterntracht, nur um gleich darauf ihre üppige Oberweite mit den Händen etwas besser in Szene zu rücken. Mit einem dumpfen Knall ließ Laura die Tür ins Schloss fallen. »Was geht denn hier vor?«
Wie ein Stall aufgescheuchter Hühner stoben die Schwestern auseinander, sie hatten Laura an der Stimme erkannt und augenblicklich kehrte Ruhe ein. Der junge Mann jedoch konnte nicht wissen, wen er da vor sich hatte. Sein Kopf hob sich zu ihr, seine Augen blitzten und ein charmantes Lächeln trat auf seine Lippen. »Das wird ja immer besser hier! Ich glaube, die Zeit, die ich hier absitzen muss, könnte doch noch recht angenehm werden.«
Langsam machte Laura einige Schritte auf ihn zu. »Angenehm also, ja?«, fragte sie gedehnt. Ryans Blick glitt abschätzend über ihren Körper und sofort presste sie die Akte noch etwas fester an sich. »Ich bin Laura und auf Wunsch der Chefin ab sofort für Sie zuständig.«
»Freut mich, dich kennenzulernen, Laura. Und ... ich mag deine Chefin jetzt schon!«, grinste ihr Gegenüber sie an. »Wir werden bestimmt eine Menge Spaß zusammen haben.«
»Werden wir?« Ihre Augenbrauen hoben sich. »Das wird sich noch zeigen. Ich würde Sie fürs Erste jetzt bitten, mir zu folgen, damit ich Ihnen die Arbeitskleidung übergeben kann, Mr. Baker.«
»Ich folge dir, wohin immer du willst«, Ryan winkte den Schwesternschülerinnen augenzwinkernd zu, was diese erneut kichern ließ. »Man sieht sich, Ladys!«
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