Die ersten europäischen Siedler Kaliforniens waren russische Pelzhändler, gefolgt von spanischen Missionaren, die 1776 eine Mission namens San Francisco, 1777 eine namens San José und 1781 eine namens Los Angeles gründeten. Als Mexiko von Spanien 1821 unabhängig wurde, gehörte Kalifornien fortan zu Mexiko. Siedler, die aus den US-Territorien nach Kalifornien vorstießen, gründeten eine Art Unabhängigkeitsbewegung und riefen die »Bear Flag Republic«{63} aus. Diese Republik hatte nicht allzu lange Bestand, aber den Bären findet man noch immer in der Staatsfahne und der Spitzname »Bear Flag Republic« findet bis heute Verwendung. 1846 erklärten die USA Mexiko den Krieg und beim Friedensschluss 1848 wurde Oberkalifornien von Mexiko an die USA abgetreten. Niederkalifornien, die so genannte »Baja California«, blieb mexikanisch.
Von Sacramento sollte es mit dem Greyhound um halb acht morgens weiter nach San Francisco gehen. Aber bis acht Uhr tat sich überhaupt nichts. Greyhound-Passagiere gehören sicher zu den gutmütigsten Wesen der USA. Niemand zeigte irgendeine Regung trotz der Verspätung. Um zehn nach acht lief plötzlich jemand wild gestikulierend durch den Busbahnhof und teilte mit, dass der Bus irgendwo eine Reifenpanne hatte. Weitere zehn Minuten später sagte man uns, wir sollten den langsamen »Milk Run« nach San Francisco nehmen. Gerade waren wir am Einsteigen, als der Fahrer des Busses meinte, der andere Bus käme in fünf Minuten. Nun weiß ich bereits seit Boston, dass fünf Minuten bei Greyhound auch drei Stunden bedeuten können, aber es war frühmorgens, und da hatte ich anscheinend noch das naive Gottvertrauen in die Ehrlichkeit der Menschen und wurde belohnt. Der Bus kam tatsächlich und wenig später startete ich in Richtung San Francisco. Der Bus war mit Gitarre spielendenden, langhaarigen, lange Röcke und Sandalen tragenden Hippie-Pärchen besetzt, die mittlerweile um das Utensil eines Kindersitzes erweitert in die frühere Hippie-Metropole unterwegs waren. Natürlich waren auch die obligatorischen Skateboarder dabei, die in der Hügelstadt San Francisco das beste Terrain zum Skaten vorfinden. So war es kaum verwunderlich, dass das Skateboard auch dort erfunden wurde. Viele Reisende waren zu einer Anti-Bush- und Pro-Irak-Demonstration unterwegs. Auf ihren Plakaten konnte ich Sprüche wie »Drop Blair and Bush, not bombs«{64} oder »God bless Iraq, too«{65} lesen. Ich las auch starke Graffiti mit dem Text »Bush is terror«. Die Friedensfahne sah ich mindestens genauso oft wie das Sternenbanner. Amerika war anscheinend nicht mehr so vereint, wie kurz nach 09/11, und die Bevölkerung zeigte nicht mehr die sagenhafte uneingeschränkte Solidarität mit ihrem Präsidenten.
Auch in San Francisco kam ich wieder in den Genuss, lange Wandertouren direkt aus der Stadt zu unternehmen. Es existierte sogar ein Wanderweg über die berühmte Golden-Gate-Bridge nach Marin County. Die Brücke, die 1937 fertiggestellt wurde, sah schon von weitem sehr beeindruckend aus. Damit sie auch immer schön in ihrem rot-orangenen Ton strahlen kann, ist ein Team von Malern permanent damit beschäftigt, die Brücke anzustreichen. In einer Woche verbrauchen sie rund 3.800 Liter Farbe. Wieviel Farbe davon für die Dixie-Klos der Maler verbraucht wird, die ebenfalls in Rotorange auf der Brücke erstrahlen, konnte ich leider nicht erfahren.
Da Sonntag war, dachte ich mir, ich könnte mal wieder in einer Kirche vorbeischauen. Ich bekam den Tipp, im Viertel der Afroamerikaner einen Gospel-Gottesdienst zu besuchen. Erst hatte ich Probleme, die Adresse überhaupt zu finden, denn er fand in einem nach außen hin ziemlich profan wirkenden Gebäude statt. Die vielen Obdachlosen, die dort auf eine warme Mahlzeit nach dem Ende des Gottesdienstes warteten, lotsten mich in den richtigen Eingang, und ich konnte an der enormen Lautstärke vernehmen, dass ich mein Ziel erreicht hatte. Ein Gospel-Chor von vielleicht 40 Männern, Frauen, Afroamerikanern, Asiaten, Weißen und indigenen Amerikanern sang aus vollem Herzen, dass die Wände des Gebäude wackelten. Die Gemeinde sang ebenfalls mit, konnte sie doch den sich an der Wand bewegenden Text wie beim Karaoke ablesen. Dabei wurde geklatscht und sich rhythmisch bewegt, sodass nach dem Anfangslied bereits die ersten Taschentücher und Fächer vom Kirchenpersonal gereicht wurden, um sich abzutupfen und Luft zu bekommen. Der Gottesdienst bestand fast ausschließlich aus Singen, sich Umarmen und Zwiegesprächen zwischen Reverend und Gemeindemitgliedern. Am Ende wurde eine Predigt gehalten, die auf die aktuellen Themen, die San Francisco betreffen, einging. Thema Nummer eins war natürlich der Erfolg der Giants im Baseball. Thema Nummer zwei war die Kriegsgefahr im Irak. Zum Abschluss durfte nochmals lauthals gesungen, heftig getanzt und rhythmisch geklatscht werden, ehe es zum Kaffee trinken und zum Promoten der Artikel kam, die man in der Gemeinde zu einem guten Zweck kaufen kann.
Amerika im Allgemeinen und San Francisco im Speziellen ist wahrlich ein Vielvölkerstaat. Dies kann ich an den verschiedenen Stadtvierteln am besten erkennen. In North Point ist jeder Laternenmast mit der italienischen Fahne versehen, und die Columbus Avenue heißt natürlich »Corso Christophero Colombo«. In Chinatown kann ich ein Fahnentrio der besonderen Art bestaunen. Neben dem Sternenbanner hingen die Fahne der Volksrepublik China und die Fahne von Taiwan friedlich nebeneinander. In der Heimat dürfte das Hissen der jeweiligen Fahne des »anderen« Chinas sicherlich unmöglich sein. Die vielen Asiaten, die heute in der Stadt leben, wurden als Arbeitskräfte für den Eisenbahnbau benötigt. Neben Chinesen waren auch viele Japaner nach San Francisco gezogen. Während des 2. Weltkrieges aber wurden diese in Internierungslager gesteckt, da man Angst hatte, sie würden mit der faschistischen Heimat zusammenarbeiten. Die nun fehlenden Arbeitskräfte wurden aus Mexiko geholt. Mittlerweile sind nur noch rund die Hälfte der Kalifornier europäischen, ein Drittel bereits lateinamerikanischen Ursprungs und etwa elf Prozent Asiaten. Afroamerikaner und indigene Amerikaner bilden den Rest des Völker-Mischmaschs. Während sich die ärmeren Bevölkerungsschichten im Bereich der Bucht von San Francisco niederließen, war es für die reiche Schicht um 1870 zeitgemäß, auf die Hügel oberhalb der Bucht zu ziehen. Da die Pferdefuhrwerke auf den steilen Wegen verunglückten, wurde das so genannte »Cable Car« erfunden, das sicherlich neben der Golden-Gate-Bridge das Wahrzeichen der Stadt ist. Wahrscheinlich ist das Cable Car, das weltweit einzige Transportmittel, wo das Surfen außerhalb des Wagens erlaubt beziehungsweise toleriert wird. Überhaupt leben hier ziemlich heftig abfahrende Gestalten. Während ich mit dem Mountainbike eine Passstraße mit vielleicht 50 km/h hinunterfuhr, wurde ich von einem Skateboarder mit Motorradhelm überholt. Der Skateboarder donnerte den lieben langen Tag die Serpentinenstrasse hinunter und trampte anschließend wieder hinauf.
Von San Francisco zog es mich wieder hinaus in die Natur, genauer gesagt in den Yosemite National Park. Um die sagenhafte Strecke von 379 Kilometern mit öffentlichen Verkehrsmitteln dorthin zurückzulegen, musste ich leider einen vollen Tag einkalkulieren. Der Greyhound brauchte alleine für die 250 Kilometer nach Merced bereits vier Stunden. Da in den USA das Wort »Abstimmung« nur für Wahlen, nicht aber für Fahrpläne zutraf, durfte ich danach fast vier Stunden lang Downtown Merced kennen lernen. Alleine schon an der Namengebung für die Straßen erkannte ich, dass die Kreativität vor Merced stoppte und in der kalifornischen Wüste vergraben wurde. Straßen in Ost-West-Richtung hießen alphabetisch geordnet A Street, B Street etc. – Straßen in Nord-Süd-Richtung heißen 1st Ave., 2nd Ave. usw. Somit konnte ich mich in aller Ruhe meinem Leben auf der Straße widmen. Rasieren auf der Toilette der Greyhound-Busstation, Wäsche waschen im Waschsalon nebenan und Mittagessen im Wendy’s um die Ecke. Man kritisiert die Fastfood-Ketten im Allgemeinen gerne, doch für mich waren Burger King, Wendy’s und Taco Bell Garanten dafür, dass ich mein Budget nicht zu sehr überziehen musste. Für 99 Cent gab es beispielsweise eine gekochte Riesenkartoffel mit Sauercreme, einen großen Cesar Salad oder eine Portion Chili Con Carne. So konnte ich das ansonsten obligatorische »Burger & Fries« Menü erfolgreich von meinem Magen fernhalten.
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